Handball:Nach der Apokalypse

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Ganz begeistert vom neuen Trainer: Henk Groener (rechts) hat die deutschen Handballerinnen auf die EM eingestimmt. (Foto: Marijan Murat/dpa)

Der Niederländer Henk Groener soll bei der EM in Frankreich das Potenzial der deutschen Handballerinnen wecken.

Von Ulrich Hartmann, Brest/München

Im Grunde haben die deutschen Handballerinnen ihre letzte Chance längst vertan. Als 2016 Michael Biegler zum Bundestrainer ernannt wurde, um die deutschen Frauen nach Jahren in der Mittelmäßigkeit zu einer Medaille bei der Heim-WM 2017 zu führen, da sagte der Vizepräsident Bob Hanning: "Das ist die letzte Chance für den deutschen Frauen-Handball - wenn wir bei der Heim-WM wieder nur 17. werden, können wir den Laden auch abschließen." Die deutschen Frauen sind dann Zwölfter geworden, das war enttäuschend, aber abgeschlossen haben sie den Laden trotzdem nicht. Den Neuanfang nach der Apokalypse übernimmt ein Niederländer: Henk Groener, 58. Er führt die Auswahl nun zur EM nach Frankreich (29. November bis 16. Dezember).

Viele Trainer haben versucht, die Qualitäten der deutschen Handballerinnen hervorzubringen, die man ihnen seit Jahren nachsagt. "Von den Niederlanden aus haben wir die deutsche Mannschaft beobachtet und immer gedacht: Irgendwie fehlt da was", sagt Groener. So dachten alle Bundestrainer: Rainer Osmann von 2009 bis 2010, Heine Jensen von 2011 bis 2014, Jakob Vestergaard 2015 und Biegler von 2016 bis 2017. Alle haben Potenzial im deutschen Frauen-Handball gesehen, aber für mehr als Viertelfinal-Teilnahmen bei den großen Turnieren hat es nie gereicht. Die letzte Medaille war Bronze bei der WM 2007, die letzte Halbfinal-Teilnahme gab es bei der EM 2008. Beide Erfolge gelangen ausgerechnet unter dem Bundestrainer Armin Emrich, mit dem die Frauen-Bundesliga im Clinch lag, wegen unterschiedlicher Interessen. Seit Harmonie herrscht zwischen Liga und Verband, spielt die Frauen-Auswahl nur noch so la la.

Ungefähr so haben auch die niederländischen Handballerinnen gespielt, als Groener 2009 ihr Bondscoach wurde. Er integrierte junger Spielerinnen und führte das Team sukzessive aus der internationalen Bedeutungslosigkeit heraus und hinein ins Endspiel der WM 2015 sowie ins Olympia-Halbfinale 2016. So eine Entwicklung wünschen sie sich nun auch im deutschen Frauen-Handball. Und der Niederländer findet diese Aufgabe offenbar so spannend, dass er dafür, wie er selbst sagt, eine Anfrage des chinesischen Verbands, das Interesse mehrerer europäischer Klubs sowie die Bitte des niederländischen Verbands abgelehnt hat, die Männer zu coachen.

Die deutschen Handballerinnen sind bislang ganz begeistert von Groener. Die Mannschaft ist halb erneuert, nachdem seit der WM zehn Spielerinnen ihren Rücktritt erklärt haben. Die Kapitänin Julia Behnke und die Erfahrenste im Team, Angie Geschke, 33, schwärmen von Groeners Art. "Er gibt viel konstruktive Kritik, er fragt aber auch oft, wie es einem geht - das kommt bei der Mannschaft gut an", sagt Behnke. "Er ist ein warmherziger, fröhlicher und impulsiver Typ", sagt Geschke. Die neue Fröhlichkeit hat einen Zweck: Sie soll das handballerische Potenzial lüften. Im Training übt die Auswahl akribisch defensive Robustheit und offensive Kreativität im nahtlosen Übergang. Behnke sagt: "Wir spielen unter Groener eine aggressivere und offensivere Abwehr; die Philosophie ist wie in der Bundesliga, eine gute Deckung zu stellen und über die erste oder zweite Welle einfache Tore zu machen."

Groener sagt: "Die deutsche Mannschaft hatte immer eine gute Abwehr, aber daraus muss mehr gemacht werden." Verpatzte Großchancen haben bessere Turnier-Ergebnisse gekostet; oft hieß es dann, die Handballerinnen seien an ihren Nerven gescheitert. Groener versucht nun, den Spielerinnen das nötige Selbstvertrauen einzuimpfen. Wie so was geht, erklärt er auch am Johan-Cruyff-Institut in Amsterdam angehenden Trainern, wie denen von der Jugend-Akademie des Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund; der BVB hat eine Partnerschaft mit dem Institut. Groener hat das Coaching-Programm der Lehranstalt entwickelt und überwacht es; zum Unterricht ist er aber nur ein paar Tage im Jahr dort, er muss sich ja jetzt um die deutschen Handballerinnen kümmern.

Und so werden sie auch an seinem Institut darauf achten, was die deutsche Mannschaft in Frankreich bei der EM leistet. Sie muss in der Vorrunde gegen Norwegen (Samstag), Rumänien (Montag) und Tschechien (Mittwoch) mindestens Dritter werden, um in die Zwischenrunde einzuziehen. Der Europameister qualifiziert sich für die WM 2019 und für Olympia 2020, der Zweite und Dritte zunächst für die WM. Henk Groener hält vieles für möglich: "Läuft es gut, werden wir Europameister, läuft es schlecht, fliegen wir in der Vorrunde raus."

© SZ vom 30.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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