Handball:Mozarts Schüler

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Ein Wurfgewaltiger im Formtief: Steffen Fäth, hier bei der Weltmeisterschaft 2017 gegen Kroatien. (Foto: Alex Grimm/Bongarts/Getty Images)

Beim EM-Sieg 2016 erwuchs Steffen Fäth im DHB-Team zum Leistungsträger, doch nun steckt er zur Unzeit in einem Formtief. Denn bei der Heim-WM im Januar vertraut Bundestrainer Prokop besonders auf Fäths Wurfgewalt.

Von Michael Wilkening, Mannheim

Irgendwann kommt dann noch der Spott hinzu. "Heute hat er keinen Fehler gemacht", sagte ein Zuschauer in der Hohenstaufen-Halle in Göppingen und lächelte. Der Gesichtsausdruck verriet die Häme, die sich hinter den Worten verbarg. Denn der Mann meinte Steffen Fäth und der hatte in den vorausgegangenen 60 Minuten keine Sekunden auf dem Feld gestanden. Der Rückraumspieler der Rhein-Neckar Löwen befindet sich gerade in einem Formtief und kam deshalb in Göppingen nicht zum Einsatz, was schlecht für die Ambitionen des Handball-Pokalsiegers ist, und dramatisch für die der deutschen Nationalmannschaft werden könnte. Bei der Weltmeisterschaft in ein paar Wochen soll Fäth eine wichtige Rolle spielen und die Tore aus dem Rückraum werfen, die in der Sportsprache "einfach" genannt werden. Bundestrainer Christian Prokop betonte zuletzt wiederholt die wichtige Rolle, die der 28-Jährige in seinen Planungen spielt.

Vielleicht ist Fäth in den letzten Wochen zwischendurch einfach mal schwindelig geworden. Bei seinem Auf und Ab ist das gar nicht so komisch, sondern nachvollziehbar. Die Achterbahnfahrt wurde nach dem 28. Oktober rasant, als sich Julius Kühn das Kreuzband im Knie riss. Eigentlich war ja der Rückraum-Schütze der MT Melsungen in der Nationalmannschaft dafür vorgesehen, bei der WM im eigenen Land im linken Rückraum zum Helden zu werden, Fäth war eine Nebenrolle zugedacht. Doch nun ist Fäth plötzlich eminent wichtig. Für den Lehrgang der Nationalmannschaft im Oktober hatte Prokop ihn zunächst gar nicht nominiert, er rückte erst während der Woche für den verletzten Tim Suton nach.

Fäth gilt als sensibel und wirkte in den vergangenen Wochen verunsichert und kam deshalb zuletzt kaum noch zum Einsatz bei den Löwen. Des Öfteren sah man ihn mit hängenden Schultern durch die Halle marschieren.

Bis heute verfolgt der kroatische Olympiasieger Balic Fäths Weg

Wenn die deutschen Handballer bei der WM im Januar allerdings erfolgreich sein wollen, brauchen sie Fäth in einer Form, die der vor drei Jahren gleicht. Auf dem Weg zum überraschenden EM-Sieg der DHB-Auswahl wuchs der Rückraumspieler zu einem Leistungsträger. Bis zum Januar 2016 galt Fäth als Handballer mit viel Talent, ausgestattet mit einem Wurfarm voller Kraft. Während des Turniers in Polen offenbarte er darüber hinaus spielerische Qualitäten, die ihm in dieser Form nicht zugetraut worden waren. Deshalb kam er nicht nur im linken Rückraum, sondern auch auf der Spielmacher-Position zum Einsatz.

Relativ unbemerkt hatte sich Fäth bei seinem Heimatverein HSG Wetzlar weiterentwickelt, weil er klug genug war, von Ivano Balic zu lernen. Der "Mozart des Handballs", der als Spielmacher sein Heimatland Kroatien zum WM-Titel 2003 und dem Olympiasieg 2004 geführt hatte, war zu seinem Karriereausklang in die Handball-Provinz nach Mittelhessen gekommen, hatte das Potenzial in Fäth entdeckt und sein Wissen an den jungen Deutschen weitergegeben. "Ich habe viel von Ivano gelernt", sagte Fäth, der noch nie ein Mann des großen Wortes war.

Noch heute haben die beiden Kontakt, Balic verfolgt den Werdegang von Fäth - und sah vor einem Jahr, wie der bei der Europameisterschaft in Kroatien eine enttäuschende Leistung zeigte. Er litt unter den atmosphärischen Störungen zwischen der Mannschaft und Prokop bei dessen erstem großen Turnier. Der Trainer vermittelte damals Fäth noch kein Vertrauen - und der Rückraumspieler reagierte mit schwachen Auftritten.

Bei der WM im eigenen Land soll das ganz anders sein. Denn der Bundestrainer stützt den wurfgewaltigen Fäth umso mehr. Nach dem 35:23-Sieg am vergangenen Mittwoch gegen Polen, zu dem der 28-Jährige vier Treffer beisteuerte, lobte ihn Prokop ausdrücklich. "Mit Steffen haben wir eine Waffe im Rückraum, ihn möchte ich herausheben", sagte er und fügte an. "Steffen spielt in meinen Überlegungen eine ganz wichtige Rolle." Die Aussagen offenbaren: Es könnte gerade so vor der Heim-WM bald wieder nach oben gehen in Fäths Achterbahn.

© SZ vom 16.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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