Handball:Jedem eine Wurfchance

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Volle Ausbeute: Kapitän Uwe Gensheimer trifft gegen Israel sieben Mal. (Foto: Christina Pahnke/sampics)

Die Maßnahmen von Bundestrainer Prokop wirken nicht mehr so radikal wie beim Amtsantritt vor einem Jahr - Verletzungen zwingen ihn vor der WM zu Experimenten.

Von Joachim Mölter, Wetzlar

Was die deutschen Handballer nach ihrem ersten Qualifikationsspiel für die EM 2020 zu sagen hatten, klang verdächtig ähnlich, so als hätten sie es vorher auf einem Medienseminar besprochen und auswendig gelernt. "Wir haben viel ausprobiert, und viel hat funktioniert", resümierte Bundestrainer Christian Prokop nach dem 37:21 (19:9) über Israel am Mittwoch in Wetzlar. Abwehrchef Finn Lemke wiederholte fast wortgleich: "Wir haben einiges ausprobiert, was dann auch gut funktioniert hat." Andere wie Kreisläufer Jannik Kohlbacher formulierten etwas freier: "Viele taktische Dinge, die wir einstudiert hatten, haben schon gut ausgesehen." In keinem Fazit durfte zudem das Schlagwort fehlen vom "Testen unter Wettkampfbedingungen", was Kapitän Uwe Gensheimer so erläuterte: "Klar ist das eine EM-Qualifikation, aber für uns gehört das zur WM-Vorbereitung. Wir wollen diese Woche so gut es geht für die WM nutzen."

Die nächste Weltmeisterschaft wird im Januar 2019 in Deutschland und in Dänemark ausgetragen, sie ist also ein Heimspiel für die Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB), die allenfalls für die angestrebten Finalpartien um die Medaillen ins nördliche Nachbarland reisen müsste. Klar, dass diese Heim-WM Priorität genießt und die Qualifikation für die EM 2020 in Österreich, Norwegen und Schweden dafür zunächst bloß zum Einspielen dient. Zumal es das DHB-Team ja sowieso erst mal mit relativ einfachen Gegnern zu tun hat: Nach Israel wartet am Sonntagabend in Pristina die Mannschaft des Kosovo, die ihr Auftaktspiel am Mittwoch 13:37 gegen Polen verlor.

Auch Kosovo sollte also nicht mehr sein als ein Sparringspartner, um zu festigen, was Trainer Prokop in dieser Woche schon mal für die WM einstudieren will: unter anderem eine offensivere Defensivformation, die sogenannte 3-2-1-Abwehr mit vorgezogenen Verteidigern, sowie eine neue Gegenstoßvariante mit zwei Kreisläufern, die die gegnerische Abwehr zurückdrängen und an den Kreis binden sollen.

"Bei der EM hatten wir Schwierigkeiten, was das Tempospiel angeht", erinnerte Finn Lemke: "Da haben wir wenig Tore generiert. Das versuchen wir zu ändern." Prokop sprach in diesem Zusammenhang allgemein von "Dingen, die wir bei der EM haben vermissen lassen und jetzt peu à peu verbessern wollen". Bei der EM im vorigen Januar in Kroatien, seinem Debüt als Bundestrainer, war ja erheblicher Verbesserungsbedarf zu Tage getreten: Die als Titelverteidiger angetretene DHB-Auswahl war auf Platz neun abgestürzt.

Nun sind Prokops Neuerungen im System offensichtlich nicht mehr so radikal wie vor neun Monaten. Das kann man daran erkennen, dass der wegen des drohenden WM-Ausfalls des verletzten Berliners Paul Drux aktivierte Regisseur Martin Strobel, 32, bei seinem Comeback nach zwei Jahren schnell wieder ins Spiel fand, obwohl er nur noch in der zweiten Liga für HBW Balingen-Weilstetten spielt. Und dass der junge Tim Suton vom TBV Lemgo seine Aufgabe in der zentralen Rückraumposition souverän erledigte. Auch Franz Semper, ebenfalls 21, integrierte sich bei seinem Länderspiel-Debüt mühelos, der Leipziger trug vier Tore aus dem rechten Rückraum bei; erfolgreicher waren nur die etablierten Außen Tobias Reichmann (rechts) und Gensheimer (links) mit jeweils sieben Treffern.

Sempers Einsatz war dem verletzungsbedingten Fehlen des Linkshänder-Trios aus der Europameister-Mannschaft von 2016 geschuldet (Fabian Wiede, Steffen Weinhold, Kai Häfner). "Man sieht, wie schnell es geht, dass sich drei Leute auf einer Position verletzen", erklärte Prokop, warum er gegen Israel alle Nominierten einsetzte. Uwe Gensheimer ergänzte: "Alle Spieler, die hier sind, haben auch die Chance, bei der WM dabei zu sein. Da ist es wichtig, dass alle in die Abläufe reinkommen."

Prokop war jedenfalls zufrieden mit allem und jedem, er lobte diesen und jenes und kehrte das Positive hervor; und die Spieler taten es ihm gleich. Man konnte darüber glatt vergessen, dass all die taktischen und personellen Experimente vor allem deshalb so prima funktionierten, weil die jungen, international unerfahrenen Israelis wenig entgegenzusetzen hatten. Dennoch zeigten sie punktuell Schwachpunkte des DHB-Teams auf, etwa auf dessen rechter Abwehrseite, wo Gil Pomeranz zu fünf Toren kam. Oder mit ihrer schnellen Mitte, mit der sie einige Male den trägen Rückzug der DHB-Auswahl ausnutzten. "Es ist natürlich nicht einfach, bei so einem Spielstand über sechzig Minuten in jeder Aktion hundertprozentig konzentriert zu sein", entschuldigte Gensheimer manch schludriges Verhalten nach der früh hergestellten deutlichen Führung.

Im Hinblick auf die WM übt die DHB-Auswahl außer gegen Kosovo noch im Dezember gegen Polen sowie Anfang Januar gegen Tschechien und Argentinien, alles Leicht- und Mittelgewichte im internationalen Kontext. Ob das reicht, ist fraglich. Um bei der WM in Medaillennähe zu kommen, muss die Mannschaft ja irgendein Schwergewicht dieses Sports aus dem Weg räumen, angefangen mit Titelverteidiger Frankreich und weitergehend mit Europameister Spanien oder Olympiasieger Dänemark. Da kann ein Erfolg über Israel kein Maßstab sein.

© SZ vom 26.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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