Handball:Drei Treffer zu wenig

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Am Ende reichten die Kräfte nicht aus, um den Ansturm der Norwegerinnen um Stine Bredal Oftedal (Mitte) zu trotzen - und vorne selbst zu treeffen. (Foto: Daniel Stiller/imago)

Nach der WM-Niederlage gegen Norwegen und dem knapp verpassten Halbfinale müssen die deutschen Handballerinnen wieder um Olympia bangen.

Von Ulrich Hartmann, Kumamoto/München

Am Mittwoch flossen Tränen bei den deutschen Handballerinnen. Die Enttäuschung war groß, weil nach insgesamt acht Stunden Handball bei der Weltmeisterschaft in Japan lediglich drei Törchen gefehlt haben, um erstmals seit zwölf Jahren wieder in ein WM-Halbfinale einzuziehen. Zieht man auf der langen Liste der vergebenen Möglichkeiten bei diesem Turnier noch das 27:27 gegen Südkorea heran oder das 28:29 gegen Serbien, dann sind es nicht einmal drei Tore, dann ist es sogar nur noch ein einziger Treffer über mehrere Versuche hinweg. Weil diese Hauptrunden-Gruppe aber so eine enge Sache war, entpuppte sich der Fehlgriff der Deutschen nach dem letzten Haken in der Steilwand als besonders verhängnisvoll. Schon ein Unentschieden gegen Norwegen hätte für das Halbfinale gereicht, aber durch die 29:32-Niederlage stürzten sie ab auf den vierten Gruppenrang, der nur noch für das Spiel um WM-Platz sieben berechtigt - am Freitag gegen Schweden. So unsanft aus einem Medaillentraum gerissen zu werden, das ist wahrlich zum Heulen.

Das finale Gruppenspiel gegen Norwegen, den WM-Zweiten von 2017, war ein Spiegelbild des gesamten Turniers. Nur phasenweise konnten die deutschen Handballerinnen zeigen, wie viel Potenzial in ihnen steckt. Torfrau Dinah Eckerle parierte manchen Wurf, die Deckung ging beherzt zur Sache, und die ganze Mannschaft spielte unabhängig vom Spielstand immer ziemlich am Anschlag - doch im Angriff ging viel zu wenig.

Mehrere Male hatten die Deutschen in der Schlussphase Fünf-Tore-Rückstände fast aufgeholt, aber jedes Mal, wenn es um den Ausgleich ging, versagten ihnen die Nerven. Mangelnde Erfahrung statt Nervenschwäche würde Trainer Henk Groener lieber als Manko benennen. Aber am Ende kommt es auf dasselbe heraus: Wie schon frühere Generationen ist die deutsche Mannschaft an ihren Leistungsschwankungen gescheitert. Stolzen Siegen gegen Dänemark und den späteren Halbfinalisten Niederlande stehen ein Punktverlust gegen Südkorea und eine Niederlage gegen Serbien gegenüber. Ohne diese Rückschläge wäre das Ergebnis gegen Norwegen gar nicht mehr von Belang gewesen.

"Enttäuscht" sei er, sagte Groener hernach. Der 59 Jahre alte Niederländer dürfte sich bestätigt fühlen in seiner immer wieder geäußerten Forderung, dass die deutschen Spielerinnen über das Jahr hinweg mehr trainieren sollten und sich insgesamt womöglich nicht genug dem Handball widmen. Viele Athletinnen verfolgen duale Karrieren, arbeiten oder studieren also nebenher. Groener sagt gern kategorisch: "Halbprofis gewinnen keine Medaillen." Und auch wenn er das durchaus provokant meint, so hat er damit für dieses Mal doch wieder Recht behalten. "Wir waren nicht fit genug", sagte er am Mittwoch nach dem achten Spiel binnen zwölf Tagen, "man hat gemerkt, dass die Mädels heute richtig müde waren."

Als Trost bleibt den Handballerinnen noch die Möglichkeit, am Freitag mit einem Sieg gegen Schweden Siebter zu werden und sich mit diesem Platz so gerade eben noch für eines von drei Olympia-Qualifikationsturnieren im kommenden März zu empfehlen. Dieser siebte Platz war vor der WM als Minimalziel formuliert worden, insofern könnten die Tränen der Spielerinnen bald trocknen. Doch überdauern könnte das Gefühl der verpassten Chance, sich für ein WM-Halbfinale zu qualifizieren. So nah dran waren deutsche Handballerinnen schon lange nicht mehr.

"Bitter!", so brachte folglich die Torhüterin Eckerle die Gefühle auf den Punkt. "Enttäuschung pur!", sagte Kapitänin Kim Naidzinavicius. Nachdem sie die beiden vorangegangenen Turniere wegen schwerer Knieverletzungen verpasst hatte, schien es diesmal mit ihrer Unterstützung im zentralen Rückraum besser zu laufen. Die Deutschen gewannen gleich ihre ersten drei Spiele. Doch mit jeder weiteren Partie ließen die Kräfte nach. Von den nächsten fünf Spielen gewannen sie nur noch das gegen die Niederlande, spielten Unentschieden gegen Südkorea und verloren gegen Frankreich, Serbien und Norwegen. "Wir starten so gut ins Turnier, aber wenn es darauf ankommt, dann rufen wir unsere Leistung nicht mehr ab", bilanziert Naidzinavicius.

Für Trainer Groener, vor fast zwei Jahren mit dem Ziel angetreten, die deutschen Handballerinnen mittelfristig in die Weltspitze zu führen, ist es jetzt trotzdem wichtig, dass man sich für das Spiel gegen Schweden noch einmal zusammenrauft. "Jetzt gilt es zu regenerieren und sich vorzubereiten auf das letzte Spiel", fordert er. Gelingt ein Sieg, dann bestehen im März auch realistische Chancen, sich für Olympia in Tokio zu qualifizieren. Dort wäre die Konkurrenz in der Breite nicht so stark wie bei einer Weltmeisterschaft. Japan, Frankreich, Brasilien, Südkorea und Angola sind bislang qualifiziert, da könnten die Deutschen mithalten. Das größere Problem ist es, dieses Turnier im März zu erreichen.

© SZ vom 12.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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