Handball-Bundesliga:Wie beim FC Chelsea

Lesezeit: 3 min

Neubeginn oder Rundumschlag? Die Entlassung von Trainer Markus Baur beim TBV Lemgo wirft Fragen auf - und erinnert Bundestrainer Heiner Brand an Vorgänge beim Fußball.

Ulrich Hartmann

Die radikale Erneuerung beim Handball-Bundesligisten TBV Lemgo dauerte nur 20 Stunden. Am Mittwochabend, einen Tag vor dem ersten Bundesliga-Spiel, wurde die Trennung vom Trainer Markus Baur und vom Sportlichen Leiter Daniel Stephan verkündet sowie am Donnerstagnachmittag dann die nicht minder überraschende Rückkehr des Trainers Volker Mudrow. Der 40-Jährige, der schon von 2002 bis Januar 2007 TBV-Trainer gewesen war, dann entlassen wurde und zuletzt bis April die HSG Wetzlar betreute, saß am Abend beim ersten Saisonspiel des TBV Lemgo gegen den SC Magdeburg (bei Redaktionsschluss nicht beendet) bereits auf der Bank. Mit Mudrow, der Lemgo 2003 zur Meisterschaft und 2006 zum Gewinn des EHF-Pokals geführt hat, wollen die Ostwestfalen an bessere Zeiten anknüpfen. Dem Coach Baur hatte der vom Hauptsponsor kontrollierte Beirat dies nicht mehr zugetraut.

Wiedersehen mit Fynn Holpert

Kurz bevor der Handballmanager Fynn Holpert im Sommer 2007 den Bundesligisten TBV Lemgo verließ, hatte er Markus Baur zum ersten Mal ausgemustert. Im Februar 2007 entschied Holpert, den auslaufenden Vertrag mit dem damals 36-jährigen Rückraumspieler nicht zu verlängern. Baur wechselte im Sommer 2007 als Spielertrainer zum schweizerischen Erstligisten Pfadi Winterthur. Holpert wechselte im selben Sommer als Manager zur SG Flensburg-Handewitt. Als Holpert gerade ein halbes Jahr in Flensburg war, kehrte Baur im Januar 2008 als Trainer nach Lemgo zurück. Das war er bis zum Mittwochabend. Einen Tag vor dem ersten Saisonspiel wurde er beurlaubt, denn Holpert ist seit Juli wieder in Lemgo. Zwei Monate nach seiner Rückkehr hat er Baur nun schon zum zweiten Mal ausgemustert.

Holpert ist jetzt beim Hauptsponsor des TBV Lemgo angestellt. Der 42-Jährige ist Vorsitzender einer "Sport GmbH" im Firmenportfolio jenes Hauptsponsors namens "Heristo", der im für alle Entscheidungen maßgeblichen TBV-Beirat fünf von sechs Plätze besetzt - einen davon Holpert. Die Heristo-Holding aus Bad Rothenfelde, deren Firmen unter anderem Wurst, Fischkonserven und Tierfutter produzieren, ist seit 2007 beim TBV Lemgo Mehrheitsgesellschafter sowie Haupt- und Trikotsponsor. Die Handball-Spielbetriebsgesellschaft firmiert unter Verwendung einer Heristo-Marke sogar als "TBV ProVital Lemgo GmbH & Co. KG".

Es ist nicht schwer zu erraten, wer beim TBV Lemgo die Fäden zieht. Auch auf Druck des Sponsors hatte Baur 2008 nicht für die deutsche Mannschaft bei Olympia in Peking spielen dürfen, sondern sich um die Saisonvorbereitung beim TBV kümmern müssen. Bereits im Herbst 2007 hatte Lemgos Sportlicher Leiter Daniel Stephan gesagt: "Einige meinen, die von Heristo regieren bei uns wie Abramowitsch beim FC Chelsea - aber das ist Quatsch!" Jetzt hat Stephan gemerkt, das ist gar kein Quatsch. Am Mittwoch ist er zusammen mit seinem Freund Baur entlassen worden.

Daniel Stephan (36) hat 14 Jahre für Lemgo gespielt und war seit November 2007 Sportlicher Leiter. Baur (38) hat sechs Jahre für Lemgo gespielt und war seit Januar 2008 Trainer. Baur und Stephan gelten beim Publikum als Helden. Sie haben den TBV 2003 als Spieler zur Meisterschaft geführt und hätten ihn nun als Verantwortliche mit der Millionen-Unterstützung vom Hauptsponsor wieder in die Branchenspitze führen sollen. Doch der ambitionierte Jungtrainer Baur ist auch mit einigen seiner speziellen Vorstellungen (Essenspläne und Klangtherapie für die Spieler, Zapfenstreich um 22 Uhr) nicht bei allen gut angekommen.

Mit einer schwachen Rückrunde (sieben Niederlagen in 17 Partien) verspielte die Mannschaft in der vergangenen Saison den zweiten Platz der Hinrunde und als Abschluss-Vierter die direkte Qualifikation für die lukrative Champions League. Als am Wochenende in Leon/Spanien die Möglichkeit zur nachträglichen Qualifikation bestand, verlor der TBV alle drei Spiele gegen Schaffhausen (29:30), Celje (27:28) und Leon (21:31). "In Spanien hat man gemerkt, dass in der Mannschaft etwas nicht stimmt", sagte Holpert.

"Unglaubliches Fehlverhalten"

Im Lemgoer Lokalradio hatte der Baur und Stephan ebenfalls nahestehende Geschäftsführer Volker Zerbe zunächst verwirrenderweise mitgeteilt, "dass wir mit dem Gedanken gespielt haben, Daniel Stephan den Trainerposten zur Verfügung zu stellen - wir haben dann aber anders entschieden". Warum der Trainerkandidat Stephan stattdessen gleich mitentlassen wurde, war vom Verein nicht zu erfahren. "Was da in Lemgo passiert, ist ein unglaubliches Verhalten, das mich an die Methoden im Fußball erinnert", schimpfte am Donnerstag Heiner Brand. Der Bundestrainer pflegt ein gutes Verhältnis zu Baur, der für seine Arbeit in Lemgo viel von Brand übernommen hat. "Am meisten gelernt habe ich in meiner Karriere von Heiner Brand", hat Markus Baur einmal gesagt. Er gilt nach wie vor als Kandidat für die Nachfolge des Bundestrainers, der 2013 aufhören will.

© SZ vom 11.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: