Hammerwurf:An geheimnisvollen Grenzen

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Binnen eines Jahres hat sich die Russin Chanafejewa auf Weltrekord-Niveau gesteigert - und die beste Deutsche Betty Heidler lacht.

Thomas Hahn

Es ist noch früh am Tage und Betty Heidler ist mal wieder so tief in ihrer eigenen Welt versunken, dass sie noch gar nichts gehört hat vom neuesten Weltrekord in ihrer Disziplin. Bei den russischen Meisterschaften in Tula hat Gulfija Chanafejewa, 24, abends zuvor ihren Hammer 77,26 Meter weit geworfen und damit die alte Bestmarke ihrer Landsfrau Tatjana Lysenko um 20 Zentimeter übertroffen.

"Ich hab' im Moment keine Probleme", sagt Betty Heidler (Foto: Foto: AP)

Betty Heidler hat zuletzt selbst ein paar Rekorde aufgestellt, wenn auch nur nationale. Zunächst vor zwei Wochen in Ostrau mit 72,91 Metern, mit 75,16 eine Woche später in Fränkisch-Kumbach, schließlich mit 75,38 am vergangenen Freitag in Lille. Zwischenzeitlich stand sie auf Platz zwei der Weltrangliste und längst führt der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) sie als Medaillenhoffnung für die EM im August in Göteborg. Aber diese russische Höchstleistung relativiert doch einiges, zumal die Zweitplatzierte in Tula auch nicht schlecht war. Tatjana Lysenko schaffte 76,36 Meter. Was kann man also sagen zu jüngsten Nachrichten? Da lacht Betty Heidler, 22. "Okay. . .", sagt sie und schickt ein paar Höflichkeiten gen Osten, die politisch korrekt sind.

Natürliche Erklärungen für Rekorde

Was soll sie sonst auch sagen zu den Würfen der Russinnen? Was soll man überhaupt sagen zur Leichtathletik in den ersten Wochen dieses Sommers. Der Mensch müsste doch längst an seine Grenzen gestoßen sein im olympischen Kernsport - trotzdem hat diese Saison schon jetzt eine stattliche Zahl an Weltrekorden hervorgebracht. Erst stellte 100-Meter-Weltmeister Justin Gatlin in Doha den Rekord des Jamaikaners Asafa Powell ein (9,77 Sekunden), wenig später eilte Äthiopiens Meseret Defar in New York zur Bestmarke über 5000 Meter (14:24,53 Minuten), am Sonntag legte Powell in Gateshead nach, indem er nochmal 9,77 rannte. Jetzt also hat sich Gulfija Chanafejewa eingebracht, die 2005 noch Europacup-Dritte war und bei der nun offenbar der Knoten derart heftig geplatzt ist, wie der Volksmund es ausdrücken würde, dass es knallt.

Es gibt auch natürliche Erklärungen für die Rekorde. Von Gatlin und Powell sagt man, ihr Fernduell befeuere sie zusätzlich, außerdem erkennen Fachleute bei Powell eine bisher unerreichte technische Leichtigkeit. Auf der Langstrecke dürften die Frauen aus der äthiopischen Hochebene demnächst noch weitere Rekorde vorlegen, weil sie erst seit wenigen Jahren mit professionellem Training dem Beispiel erfolgreicher Landsmänner wie Haile Gebrselassie nacheifern. Und der Hammerwurf der Frauen ist eine so junge Disziplin - seit 2000 erst im olympischen Programm -, dass auch dort noch Steigerungen möglich zu sein scheinen.

Nur der Athlet weiß, wie sauber er ist

Die Dopingfrage stellt sich trotzdem, gerade bei den Kraftfrauen aus Russland. Hammerwurf-Bundestrainer Michael Deyhle aus Frankfurt/Main will das gar nicht länger ausführen und wird dann doch so konkret, dass ziemlich klar wird, was er denkt. Er spricht vom unreifen Antidopingsystem im Osten und sagt: "Man braucht sich nur die Entwicklungen ansehen, die die Damen haben. Bei den einen geht es immer in kleinen Schritten voran, bei anderen in Sechs-Meter-Sprüngen. Und Sechs-Meter-Sprünge sind auf der hohen Leistungsebene nicht möglich." Chanafejewa stellte 2005 beim Europacup in Florenz ihre Saisonbestleistung mit 70,06 Metern auf, bei der WM in Helsinki war sie danach gar nicht dabei. Deyhle ruft: "Erwarten Sie nicht, dass ich einen Kommentar dazu gebe."

Betty Heidler ist noch ein bisschen zurückhaltender, was auch ganz klug ist. Wie sauber er ist, weiß schließlich immer nur der Athlet selbst, und damit steht jeder Sportler der Weltklasse immer ein bisschen unter Verdacht. Betty Heidler sagt nur, dass sie jemanden wie Gulfija Chanafejewa eher selten bei internationalen Meetings antrifft, "was ich nicht ganz verstehe, denn wenn man so gut drauf ist, kann ich das ja auch zeigen". Ansonsten versucht sie, sich unabhängig zu machen von den Gedanken an die geheimnisvolle Russinnen. Ihre Arbeit im Training bleibt ohnehin die gleiche und mit sich selbst hat sie genug zu tun nach ihren wechselhaften Erfahrungen 2005. Ihr vierter Platz von Olympia in Athen 2004 hatte große Hoffnungen geweckt. Zunächst kam sie auch gut voran. Sie wurde U23-Europameisterin, ehe sie bei der WM in der Qualifikation scheiterte. Das hat sie damals sehr getroffen.

Sie sagt: "Ich hab' momentan keine Probleme." Im Winter hat sie mit Erfolg an ihrer Technik gefeilt. Vier Drehungen macht eine Hammerwerferin vor dem Abwurf, die erste soll dabei die langsamste sein, die vierte die schnellste, um das Gerät möglichst gut beschleunigen zu können. Das kriegt sie zur Zeit so gut hin wie noch nie in ihrem Sportlerinnenleben. Das ist ihre Erklärung für ihre eigenen Rekorde. Sie ist zufrieden, ohne ihrem Erfolg zu sehr zu trauen. Sie denkt nicht an EM-Medaillen, für Göteborg nimmt sie sich zunächst mal nur vor, die Qualifikation zu überstehen. Sie findet das in Ordnung. Sie ist schließlich nicht die Favoritin. Wegen der Russinnen mit ihrer geheimnisvollen Kraft.

© SZ vom 14.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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