Hammerwerfen der Frauen:Jedes Jahr etwas Neues

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Die Hammerwerferin Betty Heidler, einst Weltrekordlerin und 2012 Olympia-Zweite, enttäuscht mit Platz sieben. Deshalb hat sie sich entschieden, bis zu den Spielen 2016 in Rio ihr Studium ruhen zu lassen.

Von johannes knuth, Peking

Die Hammerwerferin Betty Heidler will jetzt schon etwas sagen, aber leider ist sie ein wenig spät dran. Es herrscht Stau in der Mixed-Zone, die 800-Meter-Läuferinnen Fabienne Kohlmann und Christina Hering müssen den Journalisten erst einmal erklären, warum es nicht ganz gereicht hat für das Finale. Heidler stellt also ihre Sporttasche ab, wartet, macht ein wenig Smalltalk mit Kohlmann, geteiltes Leid tut nicht ganz so weh. Inzwischen erklärt Heidlers Kollegin Kathrin Klaas den Reportern, warum es als Sechstplatzierte mit 73,18 Metern nicht ganz für Platz drei gereicht hat. Und dann ist endlich Heidler dran, die nur mühsam ihre Enttäuschung darüber verbirgt, dass ihre 72,56 Meter nur für Platz sieben gereicht haben, nicht für die erhoffte Medaille. "Ich hab' den Hammer einfach nicht getroffen, ich bin mit den Beinen nicht hinterhergekommen", beginnt sie. Warum? "Das ist genauso eine Frage, warum morgen ein guter und heute ein schlechter Tag ist", sagt sie. Dann fügt sie an, etwas wohltemperierter: "Ich konnte den Fehler nicht mehr korrigieren. Der Wettkampf läuft halt weiter."

Bis zu den Spielen 2016 in Rio lässt Heidler ihr Studium ruhen

Auftritte deutscher Hammerwerfer boten in der Vergangenheit oft Stoff für abendfüllende Rückblicke. Mal war es dramatisch, mal erfolgreich, ab und zu kurios und manchmal stand Heidler einfach nur enttäuscht in der Mixed Zone. Die WM in Peking ist also keine Ausnahme. Wenn auch nicht so, wie Heidler, 31, es sich gewünscht hatte. 2007 wurde sie in Osaka Weltmeisterin, die Kubanerin Yipsi Moreno schnappte ihr im letzten Versuch beinahe noch die Goldmedaille weg. Bei den Olympischen Spielen in London landete ihr Hammer irgendwo bei 77 Metern, so richtig konnte das niemand sagen, das Messgerät mochte plötzlich nicht mehr messen. Dann spuckte es 72 Meter aus. Heidler beendete den Wettkampf als Achte, die drei Besten drehten schon ihre Ehrenrunde, währenddessen flehte Heidler die Kampfrichter an, man möge ihren Wurf doch bitte noch einmal mit dem Maßband messen. Sie taten es, am Ende des Tages hatte Heidler mit 77,12 Metern Bronze gewonnen. Und dann war da diese WM in Moskau, bei der Heidler vor zwei Jahren als Weltrekordhalterin antrat und dann in der Qualifikation strandete, auf Platz 18. Als habe sie ihren Sport verlernt, wie ein Schüler, dem die Zeilen eines auswendig gelernten Gedichts nicht mehr einfallen.

Enttäuscht: Betty Heidler wurde Siebte des Hammerwurf-Finales. (Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images)

Die WM in Peking begann unwesentlich besser. Heidler überstand die Qualifikation nur mit Mühe. In den Wettkampf, den die Weltrekordhalterin Anita Wlodarczyk aus Polen mit 80,85 Metern gewann, fand Heidler nie richtig rein. Sie hatte sich von dieser Saison schon ein wenig mehr erhofft, "ich habe so ein bisschen aufgeräumt", hatte sie bei der Saisoneröffnung im Mai gesagt. Wer nicht bei Polizei, Zoll oder Bundeswehr dient, hat es schwer im deutschen Sport, vor allem in der Leichtathletik. Marie-Laurence Jungfleisch, die am Donnerstag die Hochsprung-Qualifikation locker überstand, ist Erzieherin, sie hat den Beruf erst einmal aufgegeben und sich einen Platz bei der Sportfördergruppe der Bundeswehr organisiert. Andere sind gerade raus aus dem Geschäft, der 400-Meter-Hürdenläufer Felix Franz zum Beispiel. Er studiert Verfahrenstechnik an der Uni Stuttgart, falls er sich für Olympia 2016 qualifizieren sollte, muss er wohl sein Studium beenden, die Professoren wollen die Regelstudienzeit für ihn nicht ausdehnen. Im Juni brach Franz seine Saison ab, eine Viruserkrankung. Und die Jurastudentin Betty Heidler hat ihr Studium zuletzt stillgelegt bis zu den Sommerspielen 2016 in Rio. "Ich kann mich einfach nicht mit Nebenbaustellen aufhalten, die im Leistungssport nichts zu suchen haben", sagt sie, dann fügt sie an: "Jedes Jahr ist anders, da muss man auf sich und die Saison neu reagieren."

Der siebte Platz wird Heidler nicht umhauen, finanziell kommt er ihr aber überhaupt nicht gelegen. Die WM ist die einzig große Bühne, auf der die Hammerwerfer gerade auftreten und für sich werben können; der Leichtathletik-Weltverband IAAF hat sie vor einer Weile von seiner Diamond League in den zweitklassigen Challenge-Betrieb abgeschoben. Dort verdient der Erstplatzierte nicht 10 000 Dollar sondern 2500. "Man fühlt sich ganz schön herabgesetzt in dem, was man macht", sagt Heidler. Dass die Hammerwerfer beim Weltverband protestiert haben? "Ach, das interessiert die bei der IAAF doch überhaupt nicht. Die lachen darüber und legen das auf den nächsten Stapel", sagt Heidler.

Sechste im Hammerwurf-Finale: Kathrin Klaas. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

"Es klingt ein wenig doof", hat Betty Heidler einmal gesagt, "aber ich bin auch immer dankbar für schlechtere Wettkämpfe. Weil man am meisten daraus lernt." Und vielleicht blickt Heidler in einem Jahr tatsächlich auf diese Saison zurück, auf ein Jahr der Lehre.

© SZ vom 28.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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