Hamburger SV:Der bunte Vogel kehrt zurück

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In Istanbul war Ailton unglücklich: Nun hat HSV-Sportchef Dietmar Beiersdorfer einen Coup gelandet und den Kugelblitz an die Elbe geholt. Der Brasilianer könnte bereits am Samstag in Nürnberg seinen Einstand feiern.

Jörg Marwedel

Man hat sich auf turbulente Tage eingestellt beim Hamburger SV. Schon jetzt herrsche im Umfeld "ein Aufruhr, als ob wir eine Spielgenehmigung für Sylvie van der Vaart beantragt hätten", scherzte Vorstandsmitglied Katja Kraus in Anspielung auf die außerordentliche Popularität der schönen Ehefrau des HSV-Regisseurs Rafael van der Vaart. Die helle Aufregung hat indes ein Spieler ausgelöst, den Sportchef Dietmar Beiersdorfer am heutigen Dienstag quasi im Handgepäck aus Istanbul nach Hamburg mitbringen und der verblüfften Öffentlichkeit vorstellen will: Goncalves da Silva, genannt Ailton. Rund 500.000 Euro Leihgebühr bis Saisonende und eine anschließende Kaufoption hat Beiersdorfer mit Ailtons Arbeitgeber Besiktas Istanbul ausgehandelt.

Am Samstag vielleicht schon im Dress des HSV: Ailton (Foto: Foto: AP)

Der 32-jährige Profi, dessen Vertrag in Istanbul angeblich mit 1,5 Millionen Euro netto pro Jahr dotiert war, soll dabei große Abstriche gemacht haben und für fünf Monate deutlich weniger als eine Million Euro kassieren - brutto. Gestern Nachmittag fehlte nur noch die formale Freigabe, schon am Samstag soll Ailton beim Rückrundenstart beim 1.FC Nürnberg sein Debüt geben.

Bedenken im Aufsichtsrat

Damit bekommt die Fußball-Bundesliga einen ihrer buntesten Vögel der vergangenen Jahre zurück. Auf Ailtons Visitenkarte stehen 102 Tore in 198 Bundesligaspielen für Werder Bremen und Schalke 04; er war 2004 Deutscher Meister mit Werder, Torschützenkönig und "Fußballer des Jahres". Und er lieferte dem Boulevard Geschichten am Fließband. Mal verhandelte der Brasilianer in Katar über ein Engagement für die Nationalmannschaft des Wüstenstaats, mal ließ er sich nackt mit einer Königskrone auf dem Kopf fotografieren. Und auch nach sieben Jahren Bundesliga amüsierte er das Publikum noch mit seinen putzigen Deutsch-Brocken: "Schnell, Tor, Sieg, das Ailton."

Gleichwohl ist die Rückkehr des Stürmers in "das Land, das ich gern mag" wohl einer der umstrittensten Transfers dieses Winters. Im Aufsichtsrat des HSV musste Beiersdorfer bis zuletzt gegen Bedenken ankämpfen. Auch mit sich selbst hat er ringen müssen, denn die Verpflichtung des in die Jahre kommenden Torjägers bedeutet eine vorübergehende Abkehr vom so erfolgreichen Prinzip, nur noch jüngere Topspieler mit weiterem sportlichen Wachstumspotenzial zu holen, das eine Steigerung des Marktwertes fast garantiert.

Unglücklich bei Besiktas

Doch Beiersdorfer stand nach den ins Stocken geratenen Verhandlungen mit den Angreifern Nikola Zigic, 26, von Roter Stern Belgrad und Valeri Bojinov, 19, vom AC Florenz sowie dem an einer zweistelligen Millionen-Forderung gescheiterten Transfer des Ausnahmetalents Dagoberto Pelentier, 22, vom brasilianischen Klub Paranaense unter Druck. Unstrittig ist nämlich, dass es dem Bundesligazweiten zuletzt an erstklassigen Stürmern mangelte. Der als "Missverständnis" eingestufte Emile Mpenza wurde schon nach Katar abgeschoben, was im Etat Platz für neue Lösungen schaffte; Benjamin Lauth (zwei Saisontore) befindet sich im Dauertief, Naohiro Takahara blieb in der Hinrunde gar ohne Treffer. Nur Sergej Barbarez wies mit sechs Toren eine passable Ausbeute vor.

Doch auch Ailtons berufliche Vita ist seit dem Karriere-Höhepunkt mit Werder vor allem eine Geschichte des Frusts. In Schalke, wo sich die Mitspieler gelegentlich über die Arbeitsmoral des exzentrischen Kollegen beklagten, verabschiedete man ihn vergangenen Sommer nach nur zwölf Monaten und immerhin 14 Toren mit Freuden in Richtung Istanbul. Dort wiederum wurde der Profi noch weniger glücklich als in Gelsenkirchen, das er regelmäßig zu Abstechern in seine alte Heimat Bremen verließ. Auch bei Besiktas klagte er bald über mangelnde Anerkennung. Als ihm der neue Trainer, der Franzose Jean Tigana, vorhielt, er sei "zu alt und zu schwer", war das Band zerschnitten. Im November, als sich Borussia Dortmund für seine Dienste interessierte, sagte Ailton: "Ich bete, dass Besiktas mich nach Dortmund lässt."

Zuletzt hat er für den neuen Job beim Ha,burger SV gebetet, und die Kollegen in Hamburg haben ihn erhört. "Die Jungs haben sich unterhalten, ob es passen würde, und es gab nicht eine negative Stimme in der Mannschaft", berichtete Trainer Thomas Doll und wischte Zweifel am Charakter des emotionalen Torjägers beiseite: "Sonst hätte er nicht auf unserer Liste gestanden." Kapitän Daniel van Buyten sagte: "Toni ist ein guter Stürmer mit einer tollen Torquote. Er kann uns weiterhelfen." Auch vom alten Nord-Rivalen kam prompt ein Glückwunsch. "Toni ist ein echter Gewinn für die Bundesliga", meinte Werders Geschäftsführer Klaus Allofs, "er polarisiert und interessiert". In Bremen jedenfalls habe man "nie ein Problem mit ihm" gehabt. Letzteres war dann doch ein bisschen geflunkert.

© SZ vom 24.1.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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