Gruppe A:Ecuador stürmt den Mount Schalke

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Beim überraschenden 2:0 gegen Polen feiern die Südamerikaner ihren ersten Sieg im Flachland seit gut fünf Jahren.

Ralf Wiegand

Viel flacher kann eine Gegend kaum sein als das Gebiet rund um die Schalker WM-Arena. Zwischen 25 und 95 Metern hoch liegt die dazugehörige Stadt Gelsenkirchen im Regierungsbezirk Münster, die seit gestern aber eine bemerkenswerte Erhebung hat, so hoch wie die Gipfel der Anden: den Mount Schalke. Dort besiegte die ecuadorianische Nationalmannschaft Polen 2:0 (1:0) - schon im zweiten Spiel dieser Weltmeisterschaft bestaunen Experten die erste Überraschung.

Statistisch betrachtet war vor der fantastischen Kulisse in der Arena mit allerlei zu rechnen, aber nicht mit einem Sieg der Südamerikaner. Aus ecuadorianischer Sicht handelt es sich bei Gelsenkirchen ja um eine Art Atlantis, eine Stadt irgendwo ganz tief unten. Der ecuadorianische Verband bittet zu seinen Heimspielen ja entweder ins Estadio Olimpico Atahualpa oder auf die Anlage des Klubs Liga Deportiva Universitaria de Quito, auf jeden Fall aber in die Hauptstadt Quito auf 2800 Metern Höhe.

Dort geht den meisten Gegnern zwar so früh die Puste aus, dass sich Ecuadors Fußballer mit sieben Heimsiegen zum zweiten Mal nacheinander für eine WM qualifiziert haben. Andererseits benehmen sie sich dafür im Flachland seit gut fünf Jahren ungefähr so wie Heidi in der großen Stadt: Sie vermissen die Berge und verlieren jedes Spiel. Den einzigen Auswärtssieg in der Qualifikation schafften die Ecuadorianer in Boliviens Hauptstadt La Paz, noch 1200 Meter höher gelegen als Quito.

Deshalb erwartete die halbe Welt - zumindest aber ganz Polen - einen Sieg ihrer Mannschaft. Sagenhafte 35000 Landsleute in Rot und Weiß hatten es irgendwie geschafft, Karten für die Schalker Arena zugelost zu bekommen, es war ein Heimspiel für das Team von Trainer Pawel Janas. Nichts war mehr zu spüren von dem Argwohn der vergangenen Wochen, mit dem jedes Testspiel des polnischen Nationalteams betrachtet wurde - der außerdem den knorrigen Trainer im Teamquartier Barsingshausen in eine Art Eremitendasein trieb: Er sprach einfach mit niemandem mehr. Alles das war vergessen, stattdessen gingen erwartungsvolle Blitzlichtgewitter über den Tribünen nieder, als das Spiel der beiden deutschen Gruppengegner begann.

Polen mangelt es an Kreativität und Inspiration

Und bis zum Schluss wollten die polnischen Fans den Glauben in ihre Elf nicht verlieren, obwohl diese von dem Moment an gegen eine ecuadorianische Mauer anrannte, in dem die Südamerikaner in Führung gingen. Es war ein einfaches Tor, Einwurf, Kopfballverlängerung, schon stand Carlos Tenorio vor Polens Torwart Artur Boruc, der keine Chance hatte (24. Minute). Boruc war tagelang zuvor im Mittelpunkt endloser Diskussion gestanden, weil Coach Janas sich nicht auf einen Torwart festlegen mochte. Ein Torwart-Problem hat Polen aber nicht.

Dafür ungezählte andere. Vor allem mangelt es den Polen an Kreativität und Inspiration. Spielmacher Mirolsav Szymkowiak, seit Wochen in der Krise, fand auch am Freitag nicht aus ihr heraus. Die Bundesligaprofis Jacek Krzynowek (demnächst Wolfsburg) und Ebi Smolarek (Dortmund) beackerten zwar fleißig die Flügel, brachten aber kaum verwertbare Vorlagen zustande. Und von dem hoch gehandelten Stürmer Maciej Zurwawski ging keinerlei Gefahr aus für die Ecuadorianer. Zur Pause hatten die Polen exakt null Mal aufs Tor geschossen.

Ecuador hatte die Europäer überrascht, auf ganzer Linie. Die ganze Woche über hatten sie beteuert, vorsichtig und eher defensiv zu Werke gehen zu wollen, gemessen daran wurden sie erstaunlich früh recht frech. 0:3 hatten sie das bisher einzige Länderspiel dieser Nationen im November letzten Jahres verloren, in einem Hochwasserspiel in Barcelona. Nur fünf Spieler aus dem damaligen Team standen gestern Abend in der ersten Anden-Elf. Angeführt vom ungemein abwehrstarken Kapitän Ivan Hurtado wuchs das Selbstbewusstsein von Minute zu Minute und reichte auch nach dem Seitenwechsel aus, das höhere Tempo der nun entschlosseneren Polen mitzugehen. Irgendwie brachten sie stets noch ein Bein dazwischen, sonderlich pfiffig stellten sich die Polen aber auch nicht an.

"Ein Sieg im ersten Spiel ist wie ein Passwort für die nächste Runde", hatte der polnische Abwehrspieler Michal Zewlakow zuvor gesagt - den Code hatten aber die Ecuadorianer geknackt. In die ebenso gleichförmigen wie folgenlosen Angriffswellen der Polen hinein setzten sie den entscheidenden Konter in der 80. Minute. Ein Pass in den Strafraum von Edison Mendez fand den eingewechselten Ivan Kaviedes, der nur quer auf Agustin Delgado hinüberlegen musste. Zwei Pfostentreffer der Polen konnten nicht mehr verhindern, dass Schalke ab sofort in den Anden liegt.

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