GP von Istanbul:Es kribbelt im Gasfuß

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Fernando Alonso zeigt im Training erneut Nerven - im Duell mit Michael Schumacher wird der Ton rauer.

Elmar Brümmer

Zu den wenigen Offenbarungen, die der Große Preis der Türkei bislang mit sich brachte, gehört die Schuhmode von Michael Schumacher und Fernando Alonso. Beide kommen zur Fragestunde in ledernen Badeschlappen, als ob sie zeigen wollen, dass der zunehmend an Dramatik gewinnende Saisonverlauf für ein Kribbeln bis in den großen Zeh sorgt. Die TV-Kameras halten voll drauf.

Noch liegt er in Führung: Der Spanier Fernando Alonso (Foto: Foto: dpa)

Fünf Rennen vor Schluss gibt es bei einem Punktestand von 100 zu 90 zu Gunsten Alonsos nichts Nebensächliches mehr, auch nicht in Nebensätzen. Alles spitzt sich zu, die Entscheidung im Titelrennen, wie die Verkündung der langfristigen Lebensplanung von Michael Schumacher. Auch wenn die angewendete Taktik grundverschieden ist - Aggressivität im Rennwagen, Defensive neben der Piste.

Spiel auf Zeit

Im Ferrari-Vorzelt schleppt sich die sportliche Analyse, basierend auf dem verkorksten und verschenkten Ungarn-Grand-Prix, dahin. Bis die Routinefrage nach Schumachers Zukunft gestellt wird, und die Routineantwort ("Nichts Neues, mehr in 14 Tagen") von dem 37-Jährigen um die Nuance ergänzt wird: "Vielleicht kriege ich ja auch noch mehr Zeit..." Seismografisch werden solche Wörter registriert und interpretiert. Kein Wunder, das Spiel auf Zeit dauert schon Monate.

Dass ausgerechnet der penible Teamchef und Stratege Jean Todt und der durch und durch analytische Kerpener Rennfahrer aus einer reinen Sommerlaune heraus über das weitere Schicksal ihres Lebenswerkes entscheiden, ist kaum anzunehmen. Neben dem Arbeitsplatz von Schumacher geht es auch um viele andere in Maranello.

Bei aller Aufregung, die so ein Titelduell gut vertragen kann, möge doch keiner glauben, dass die Entscheidung intern nicht schon längst gefallen ist. Alles nur noch eine Frage der Verkündung, für die sich Ferrari den Großen Preis von Italien in zwei Wochen in Monza vorbehalten hat.

Die kleinste Chance, den Gegner zu verunsichern, muss genutzt werden. Von nun an entscheidet neben den Reifen auch die nervliche Verfassung der Fahrer und ihrer Teams über den Ausgang der WM, wie das Chaosrennen von Budapest bewiesen hat. Schumacher ruinierte sich bei seiner radikalen Aufholjagd das Auto, das Rennen und eine Hand voll zusätzlicher Punkte; Fernando Alonso verlor ein nach dem Reifenwechsel nicht richtiges Hinterrad - es war der erste hausgemachte Ausfall bei ihm seit zwei Jahren.

Er sinniert: "Ich hätte das Rennen ansonsten gewonnen. Und zehn Punkte mehr auf dem Konto wären eine angenehme Ausgangslage." Anders ausgedrückt: Wohl die vorzeitige Titel-Entscheidung. Das Rennen in Ungarn nennt das Fachblatt Motorsport aktuell Rennstall-übergreifend ein "Spiegelbild menschlicher Fehlleistungen".

Die Gangart wird härter, der Ton rauer, der Druck stärker. Renault-Teamchef Flavio Briatore: "Da lastet schon ein gewaltiger Druck auf beiden." Auf die Fehler in Budapest angesprochen, würde Schumacher heute - "natürlich" - vieles anders machen.

Aber auch im Abwägen von Schwächen und Stärken agiert er auf Sicht: "Im richtigen Moment waren wir in dieser Saison doch stark. Und in den letzten Rennen hat es mich überrascht, wie viel Boden wir gut machen konnten."

Nervenstärke als Vorteil des Deutschen

Fernando Alonso gesteht, dass zu den großen Vorteilen seines Verfolgers vor allem dessen Nervenstärke gehört. Der Spanier selbst übt sich im Relativieren, vor allem nach dem endgültigen Verbot des Schwingungsdämpfers im Renault, der bislang für die hervorragende Balance des Weltmeisterautos verantwortlich war.

Davon mag der Champion plötzlich gar nichts mehr wissen. Er nimmt die schwarze Sonnenbrille ab, kneift die Augen zusammen, und versucht so uninteressiert wie möglich zu wirken: "Ach, das. Ich spüre gar keinen Unterschied beim Fahren."

Man fragt sich nur, warum dann die Aufregung um das Ersatzteil so groß war? Jetzt bloß keine Schwächen zugeben, oder sich gar einreden. Allein auf die dämpfende Wirkung von Worten kann er auf Dauer nicht setzen.

Schumachers Aufholjagd

Michael Schumachers Aufholjagd, die fast schon mit brachialer Gewalt gegen sich, sein Auto und die anderen vonstatten ging, zeugt nicht nur vom Willen, sondern auch vom Glauben, ganz nah dran zu sein. Faktisch ist das richtig, seit Mitte März in Malaysia war sein Punkterückstand nicht so klein. "Biss zum letzten" titelte eine Auto-Illustrierte bewusst doppeldeutig.

Wenn, wie zuletzt, mit übertriebenem Ehrgeiz nur ein Pünktchen dabei herausspringt, muss aber auch konstatiert werden: Wie gewonnen, so zerronnen. Wer behält die Nerven? Auf der Auslaufrunde der zweiten Trainingsstunde von Istanbul kollidierte Alonso mit dem Red-Bull-Testfahrer Robert Doornbos. Ähnlich ungewöhnliche Schwächen und Verfehlungen hatten ihn und Schumacher bereits in Ungarn wertvolle Startplätze gekostet. Es kribbelt im Gasfuß, tatsächlich.

© SZ vom 26.8.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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