Glosse:Tiger Fedor hat's geahnt

Lesezeit: 2 min

(Foto: SZ)

Seit Krake Paul gilt das sog. Orakeln als anerkannter Zweig der Sportwissenschaften. Aber die Qualität der Vorhersagen unterliegt Schwankungen.

Von Claudio Catuogno

Zella hatte das Unglück kommen sehen, aber niemand bei der Nationalmannschaft hatte auf sie gehört. Zella ist eine für ihre Verhältnisse zierliche Dame, die im Stuttgarter Zoo eine Anstellung als Orakel hat. Indem sie mit Flaggen bedruckte Bälle aus einem Korb angelt, sagt sie den Ausgang von WM-Spielen voraus. Dafür braucht es jene gesunde Mischung aus Sachverstand und Intuition, für die Elefantendamen bekannt sind, weshalb man es schon ein bisschen ernster hätte nehmen können, dass Zella der deutschen Elf ein Ausscheiden nach der Vorrunde prognostiziert hatte.

Aber beim DFB wollte ihr niemand glauben, womöglich, weil Zella auf Senegal als neuen Weltmeister tippte. Ein Beleg der Unkenntnis muss das aber nicht sein. Senegal gilt als Elefantennation, Zella war vermutlich befangen. Was auch erklärt, warum sie in Uruguay und Dänemark zwei weitere Elefantenländer ganz weit vorne sieht.

Seit Krake Paul während der WM 2010 in einem Oberhausener Aquarium den Sieger aller deutschen Spiele sowie des Finales richtig vorhergesagt hat, gilt das sog. Orakeln als anerkannter Zweig der Sportwissenschaften. Man muss aber zugeben, dass die Qualität der Vorhersagen statistischen Schwankungen unterliegt. "WM-Orakel aus NRW sind uneins", meldete der WDR am Tag vor dem Südkoreaspiel - das Kölner Landschwein Harry sah Deutschland als Sieger, die Gelsenkirchener Eisbären Lara und Nanook äußerten sich uneinheitlich, was von Experten als Hinweis auf ein Remis gewertet wurde. Spitze Bemerkungen zog der sibirische Tiger Fedor aus dem Allwetterzoo Münster auf sich, weil er sich durch das Aufreißen einer mit Fleisch gefüllten Pappschachtel auf Südkorea als Sieger festlegte: Da sei der Hunger wohl größer als der Verstand, hieß es. Genau an dieser Hybris ist der deutsche Fußball gescheitert.

Was neu ist: Der Lebensraum der Orakel geht inzwischen über die klassische Zoohaltung hinaus. Das beweist ein Wesen aus Bordesholm, das seine Prognosen unter dem Namen @Ralf_Stegner verbreitet und sich selbst als "Landes- und Fraktionsvorsitzender der @SPDsh und stellvertretender @SPDde-Vorsitzender" vorstellt. Dass @Ralf_Stegner nicht vor Irrtümern gefeit ist, zeigte sich, als er in der zweiten Halbzeit des Deutschlandspiels gegen Schweden die Empfehlung twitterte: "Vielleicht sollte Löw den Kroos rausnehmen." Angesichts des weiteren Spielverlaufs brachte @Ralf_Stegner dieser Hinweis viel Spott ein. Doch @Ralf_Stegner hat daraus insofern die richtigen Schlüsse gezogen, als er sich nicht beirren ließ und gegen Südkorea erneut mit einer Weissagung auftrat: "Jetzt versuchen wir es mit alter sozialdemokratischer Taktik: Den Gegner lange in Sicherheit wiegen, aber dann...". In Fachkreisen hat diese Vorhersage das Orakel @Ralf_Stegner rehabilitiert. Entsprach das Resultat des Spiels doch im Wesentlichen dem Abschneiden der SPD bei der letzten Bundestagswahl.

Ebenfalls sein Debüt als Orakel gab bei dieser WM ein Kunstprodukt namens "Joachim Löw für Schüco". Im heimischen Fernsehen lief dieses Orakel immer kurz vor den deutschen Spielen im Morgenmantel herum und trug dabei ein Tablett durch ein sehr schönes Heim. Seine Vorhersage bündelte sich in dem Satz: "Zu Hause ist, sich grenzenlos wohlzufühlen." Erst in der Rückschau erschließt sich die Kraft dieser Prophezeiung, denn die Prognose des "Joachim Löw für Schüco" hat einen sehr wahren Kern. Nicht, dass sich die deutschen Fußballer und ihr Trainer, der so ähnlich heißt wie das Orakel aus dem Werbefernsehen, gerade grenzenlos wohlfühlen dürften. Aber zu Hause, das sind sie ja eindeutig doch.

© SZ vom 30.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: