Glosse:Jungfrau verflucht Messi

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Weil die Weltmeister von 1986 ein Gelübde gebrochen hatten, holt Argentinien keine Titel mehr. Da hilft auch Bonbon-Vergraben und Urinieren nichts.

Von Boris Herrmann

Warum wartet Argentinien seit 1986 auf einen WM-Titel? Weil Maradona nicht mehr kickt? Weil Messi in den größten Spielen schwächelt? Weil der argentinische Verband zu den chaotischsten Organisationen der Südhalbkugel gehört? Möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich. So sehen das jedenfalls die Bewohner des Wallfahrtsortes Tilcara in der nordwestlichen Provinz Jujuy. Dort oben, knapp 2500 Meter über dem Meer, thront die Heilige Jungfrau von Copacabana de Punta Corral. Im Volksmund wird sie die "Mami der Hügel" genannt. Aber die Mami zürnt. Seit fast 32 Jahren schon. Sie hat die argentinische Nationalelf mit einem Fluch belegt. Deshalb klappt es nicht mehr mit dem Titel, sagen die Leute in Tilcara.

Nach Medienberichten, die in Jujuy ein mittelschweres Beben ausgelöst haben, wollen sich jetzt aber ein paar tapfere Veteranen der Weltmeister-Elf von 1986 dieser Sache annehmen. Eine Gruppe um den einstigen Verteidiger Oscar Ruggeri wird demnach in den kommenden Tagen nach Tilcara pilgern, um die heilige Mamita endlich zu besänftigen. Um ein Versprechen einzulösen. Das Team von Trainer Carlos Bilardo hatte sich damals in den Bergen von Jujuy auf die Höhenluft von Mexiko vorbereitet. Der Überlieferung zufolge stand auch ein Bittgebet bei der Jungfrau auf dem Trainingsplan, verbunden mit dem Gelübde: Wenn wir in Mexiko den Pott holen, kommen wir zurück! Doch Mami wartet noch immer auf diese Reverenz.

Die Argentinier durften erst aufs Feld, wenn das Telefon klingelte

Wer nun aber meint, damit sei endlich geklärt, weshalb sich die Generation der Messis und Di Marías bislang vergeblich durch die großen Turniere dribbelt, der hat seinen Seelenfrieden mit der Fußballgeschichte ohne den alten Bilardo gemacht. Der schwört nämlich bei allen Jungfrauen des Himmels und der Erde: "Ein solches Gelübde hat es nie gegeben!" Auch der Weltmeister Ricardo Bochini, "El Bocha", will davon nichts mitbekommen haben. Maradona hat sich in der verzwickten Causa noch nicht zu Wort gemeldet. Der Finaltorschütze und Weltmann Jorge Valdano wiederum erzählte unlängst, dass ihn die abergläubischen Rituale von 1986 extrem genervt hätten. "Es war wie ein Theaterstück, das wir tausend Mal geprobt haben." Teamkollege Ricardo Giusti erzählt: "Wir waren fast wie eine Sekte, und Bilardo war der Guru." Vor jedem Spiel habe der Coach etwa ein Bonbon im Mittelkreis platziert. Der Zeuge José Luis Brown gab zu Protokoll, in der Kabine habe stets ein Telefon gestanden, das einmal klingeln musste, bevor das Team hinaus auf den Rasen durfte. Wer da anrief, wusste niemand außer Bilardo. Er habe dann immer hastig den Hörer abgenommen, "hola" gesagt und wieder aufgelegt. Gemessen daran wäre ein Gelübde an die Mami der Hügel von Tilcara fast schon ein banales Ritual.

Ob es nun stimmt oder nicht, die Argentinier, die ewigen Weltmeister der Verschwörungstheorien, lieben solche Geschichten. Sergio Goycochea, der Elfmeterkiller von 1990, hat umringt von seinen Mitspielern angeblich vor jedem WM-Spiel auf italienischen Rasen uriniert, um den Titelfluch zu brechen. Fast wäre es gelungen, wenn Rudi Völler damals im Endspiel nicht diese Schwalbe ... Falls die Bergsportgruppe Ruggeri dieser Tage bei der Jungfrau von Punta Corral um Gnade bittet, könnte sie mal nachfragen, ob auch dieser Völler mit einem Fluch belegt ist. Sein Verein Bayer Leverkusen wartet ja auch seit Längerem auf einen Titel.

© SZ vom 11.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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