Gerald Asamoah:Drei Tage im September

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2006 war für Gerald Asamoah ein Jahr voller Enttäuschungen, aber er denkt positiv: ,,Ich habe alles erlebt und viel daraus gelernt''.

Philipp Selldorf

Vor einigen Tagen hat Gerald Asamoah ein Paket aus Frankreich erhalten. Absender war ein gewisser Pape Malikou Diakathé. Die Sendung enthielt ein Geschenk, und wenn es der Empfänger auch gleich ausgepackt hat, so will er doch nicht verraten, um was es sich handelte.

Nah dran und doch nicht richtig dabei: Gerald Asamoah bei der WM. (Foto: Foto: dpa)

Auf jeden Fall fand er es ,,sehr lieb und sehr nett'', dass der junge Mann, der ihm Ende September im Uefa-Cup Spiel in Nancy mit einem entsetzlichen Foul das Schien- und das Wadenbein brach, kurz vor Weihnachten wieder an ihn dachte. Asamoah kann dem Täter nicht mehr böse sein, nachdem der ihn während der ersten Krankentage in Nancy mehrmals besucht und sich auch danach immer wieder über die Genesung erkundigt hat.

Überhaupt möchte Gerald Asamoah aus diesem Jahr nicht die negative Lehre ziehen, die sich eigentlich anbietet: dass es ein Jahr war, in dem viel schief gelaufen ist und das lauter Enttäuschungen brachte. Lieber meint er: ,,Ich habe alles erlebt und viel daraus gelernt.''

Gedacht war, dass 2006 ein wunderbares Jahr werden würde. Stattdessen beendete er es im Krankenstand und Reha-Zentrum; bei seinem Klub Schalke 04, dem er seit siebeneinhalb Jahren angehört, wurde er vorübergehend suspendiert, weil ein Mitspieler verraten hatte, dass er schlecht über den Trainer gesprochen hatte; sogar der Rausschmiss drohte ihm.

Eine Woche zuvor geriet er in den Mittelpunkt einer landesweiten Rassismusdebatte, nachdem er bei einem Pokalspiel in Rostock von Hansa-Fans systematisch angepöbelt worden war; und die Weltmeisterschaft - vorgesehen als Höhepunkt des Jahres - brachte ihm bittere Enttäuschung. Noch im Mai war Asamoah davon überzeugt, im Sommer mit Deutschlands Nationalelf im Finale zu spielen. ,,Davon gehe ich aus'', behauptete er selbstbewusst.

Doch im Finale standen dann zwei andere Teams, und bei der Trostpartie gegen Portugal ließ Jürgen Klinsmann, wie in den sechs Begegnungen zuvor, andere antreten. 17 Minuten durfte Asamoah bei der WM mitspielen, als die Partie gegen Ecuador (3:0) gelaufen war. Als seine Mitspieler nach dem Sieg im Stuttgarter Stadion die Ovationen des Publikums entgegennahmen und mit verklärten Blicken das Feuerwerk bestaunten, stand Asamoah abseits und war traurig. Irgendwie fühlte er sich ein wenig betrogen.

Furcht vor der Enttarnung

Schließlich hatte er für die WM eine Menge auf sich genommen. Weihnachten vor einem Jahr erlebte Gerald Asamoah deswegen in Angst und Schrecken. Er hielt sich damals mit seiner Frau Linda in New York auf und feierte bei seinen Cousins und bei seiner Tante, die er 16 Jahre nicht gesehen hatte.

Die Tante wohnt in Brooklyn, ,,in einer schlimmen Ecke'', wie Asamoah findet, und wenn er sich im Taxi aus Brooklyn zu seinem Hotel in Manhattan bringen ließ, dann ,,hatte ich ab und zu ein bisschen Angst''. Aber schwerer wog ja noch die Furcht vor der Enttarnung, denn Asamoah hatte zuvor sechs Tage in Tempe in Arizona verbracht, im Institut des Fitnesstrainers Mark Verstegen, und jetzt fragte er sich, was dazu wohl die anderen Nationalspieler sagen würden.

Jedem seiner Spieler hatte Jürgen Klinsmann vor der Wende 05/06 angeboten, während der Winterpause Nachhilfe beim amerikanischen Fitnesstrainer zu nehmen, um noch besser vorbereitet in das Jahr der Weltmeisterschaft zu gehen. ,,Es wollten auch viele kommen'', erzählt Asamoah, ,,aber im Nachhinein war ich der Einzige, der da war. Ich dachte: Scheiße! Wieso bin ich allein hier? Wie soll das jetzt rüberkommen?''

Er fürchtete, sein Einsatz würde ihm den Ruf als Streber eintragen. Mit Recht: ,,Kevin Kuranyi und die anderen haben mich ganz schön hochgenommen. Ich hatte das erwartet.'' Eigentlich hätte er deswegen seine Expedition nach Amerika am liebsten geheimgehalten. Aber Kuranyi bekam seine Strafe. Er wurde nicht zur WM nominiert.

Bekannt für gute Laune: Asamoah. (Foto: Foto: ddp)

Diese Weltmeisterschaft war natürlich trotzdem etwas Großes für Asamoah, auch wenn seine tragende Rolle nur in der Funktion des Ehren-DJs bestand, der vor den Spielen auf den Knopf seines iPods drückte, um die Musik von Xavier Naidoo loszulassen. Vor der WM zählte sich Asamoah zu den Stammkräften, Klinsmann hatte ihn gefördert und ständig eingesetzt, und dann passierte das: ,,Ich kam ein bisschen zu kurz'', sagt er, ,,aber der Trainer hat ja alles richtig gemacht, deswegen kann ich ihn nicht kritisieren.''

Und letztlich, so sagt er, war das Turnier zwar ,,ein enormer Stress, aber auch was Gigantisches. Überall wurde uns zugejubelt. Es war für uns wie auf einer Wolke.''

In den Tagen danach fuhr Asamoah nach Ghana in sein altes Heimatland, wo er ein Haus mit zehn Zimmern besitzt, mit einem Pool und einem Fußballplatz im keineswegs bescheidenen Garten. Die Leute in Ghanas Hauptstadt Accra waren immer noch sehr begeistert über die WM.

Begeisterung in Ghana

Sie waren stolz auf ihr Team, und sie fanden Deutschland toll; die Fans, die es sich hatten leisten können, berichteten nur die schönsten Dinge aus Germany und von den freundlichen Menschen dort. Nur eines irritierte Asamoah: ,,Die meisten haben noch immer nicht kapiert, dass ich nicht mehr in Ghanas Nationalelf spielen darf. Die hoffen immer noch.''

Vielleicht würde er ja tatsächlich anders entscheiden, wenn er noch mal die Wahl zwischen den Nationaltrikots hätte. Dieses Erlebnis, das er Anfang September beim Pokalspiel bei Hansa Rostocks Amateuren hatte, gibt ihm immer noch zu denken. Der geballte Rassismus, der ihm im Ostseestadion begegnete, habe ihm ,,unfassbar wehgetan'', sagt er.

,,Bei der WM war alles super, und dann passiert so etwas. Da kommt auf einmal der ganze Alltag wieder hoch.'' Der Alltag, das sind auch die Erfahrungen, die er gemacht hat, als er noch kein prominenter Bundesligaprofi war, und die Erlebnisse, die ihm seine Frau erzählt: Wie er wegen seiner Hautfarbe an Diskothekentüren abgewiesen, und wie Linda auf der Kirmes in Essen vom Losverkäufer gefragt wurde: ,,Was wollt Ihr? Ihr Neger könnt euch das doch gar nicht leisten.''

Als ihn der Kicker fragte, wie er reagieren würde, wenn ihm auch bei einem Länderspiel mit Deutschland Diskriminierungen widerfahren würde, antwortete Asamoah: ,,Dann müsste ich wirklich nachdenken. Ist es dann noch sinnvoll, für Deutschland zu spielen?''

In dieser Zeit bekam Asamoah eine Menge Post. Viele Leute, die gar nichts dafür konnten, entschuldigten sich bei ihm, sie versuchten ihm Mut zu machen, und es klingt zwar lustig, aber ist doch ernst gemeint, wenn der Schalker Asamoah sagt: ,,Ich habe sogar aus Dortmund Briefe bekommen, das hat mich gefreut.''

Asamoah brauchte in dieser Zeit viel Trost, denn auf die Rostocker Geschehnisse folgte ein paar Tage später der Streit mit seinen Vorgesetzten in Schalke. Kein gewöhnlicher Streit, sondern ein Stück aus dem Intrigenstadel, das wochenlang für Unfrieden im Klub sorgte. Im kleinen Kreis hatte Asamoah über den Trainer Mirko Slomka gelästert, und nachdem ein Mitspieler die Post aus der Kabine weitertrug, wusste es bald das ganze Land.

Der Verein, in Gestalt von Manager Müller und Trainer Slomka, verhängte eine interne Spielsperre gegen den Publikumsliebling und Vorzeige-Schalker. In aller Öffentlichkeit führten die Streitparteien dann ein unsinniges Schauspiel um Schuld und Sühne auf, das für alle Beteiligten ziemlich peinlich ausfiel. ,,Insgesamt'', resümiert Asamoah, ,,war das eine sehr große Enttäuschung. Da ging Vertrauen verloren.''

Der Zeugwart flüchtet

Der Unglücksmonat September war damit aber nicht vorbei. Noch stand ja die Begegnung mit Pape Malikou Diakathé in Nancy aus. Mittlerweile ist Asamoah überzeugt davon, dass er dem Foul des senegalesischen Verteidigers auch deswegen zum Opfer gefallen ist, weil er diesen Ärger mit Slomka und Schalke gehabt hatte.

,,Wenn du Probleme und Stress hast, dann ist der Bewegungsablauf anders. Man bewegt sich nicht so natürlich'', meint er. Der Beinbruch war dann außer für Asamoah vor allem ein Problem für den Zeugwart Enrico Heil, der den Anblick des durchgetrennten Knochens nicht ertragen konnte und aus der Kabine fliehen musste. Da hatte Asamoah längst die Fassung zurückgewonnen und, wie er sich gern erinnert, ,,gleich wieder ein paar Späße mit dem Doktor gemacht''.

Während die Mitspieler nach Gelsenkirchen zurückkehrten, blieb er zur Operation und Behandlung in Nancy zurück, die Heimkehr erfolgte Tage später im Krankenwagen, und die folgenden Wochen waren zwar mühsam, aber nicht die Schlechtesten: ,,Als es mir schlecht ging, waren alle da'', sagt der Patient, ,,das war etwas sehr Schönes. Da habe ich gesehen, wer für mich wichtig ist.'' Auch Jürgen Klinsmann rief ein paar Mal an.

Weihnachten verbringt Asamoah diesmal zum Glück nicht in Amerika, sondern in Ghana. Fast die ganze Familie wird dabei sein, der Vater, Großeltern, und etliche ,,Cousins''. Von denen ist oft die Rede, es muss sehr viele geben. In Accra wird zwar kein Tannenbaum im Wohnzimmer stehen, und Geschenke sind auch nicht vorgesehen, ,,aber es wird viel gegessen und ein Riesenfest gefeiert, mit Musik und Hin und Her'', wie der Hausherr berichtet. Hinter 2006 hat er einen Haken gemacht.

Dieses anstrengende Jahr sei nur mit jenem zu vergleichen, in dem sein Herzfehler entdeckt wurde und seine Fußballerkarriere beendet schien, sagt er. Das war 1999. Was wird dann 2007 kommen? ,,Ich hoffe, dass wir Meister werden und ich das entscheidende Tor schieße'', sagt Gerald Asamoah, ,,es kann ja nur besser werden als 2006.'' Das wird es ganz sicher. Im März kommt Nachwuchs. Zwillinge sind unterwegs. Inoffizielle Berechnungen ergeben: Es werden Kinder der WM sein.

© SZ vom 23.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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