Fußball-WM:Ein einzigartiger Einwanderer

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Ohne Coach Guimaraes wäre Costa Rica um eine erstaunliche Geschichte ärmer.

Peter Burghardt

Es hätte den Immigranten ärger treffen können, das weiß er selbst. An einem Frühlingstag sitzt Alexandre Guimaraes im Schatten eines dieser mächtigen Bäume, die in Costa Rica auch den Übungsplatz der Fußballnationalmannschaft säumen. Die Sonne scheint, Vögel zwitschern, hinter den hügeligen Ausläufern der beschaulichen Hauptstadt San Jose stehen Vulkane.

Costa Ricas brasilianischer Coach Alexandre Guimaraes. (Foto: Foto: Reuters)

Die Verbandsanlage mit dem vielversprechenden Namen Proyecto Gol, Projekt Tor, ist zwar vorerst eine Baustelle, aber auch das stört nicht weiter. Der Trainer trägt Käppi und Sonnenbrille und ist nach dieser Morgenschicht sehr entspannt, die Widrigkeiten im nasskalten Europa stehen da noch bevor.

Er hatte die wenigen Berichterstatter sogar mit Wasserflaschen versorgt, sehr freundlich. "Das Schicksal hat mich in eine privilegierte Situation gebracht", sagt Guimaraes, ein großer, schlanker Mann. Das genießt er, jedenfalls in dieser Umgebung.

Zur Welt gebracht hatte ihn das Schicksal 1959 einige tausend Kilometer weiter südlich, in Maceio an der brasilianischen Nordküste. Später ging es nach Rio de Janeiro, wo der kleine Alexandre jeden Tag den Zuckerhut sah, die Christusstatue auf dem Corcovado, die Strände von Ipanema und Copacabana.

Idol eines fußballverrückten Volkes

Bis heute spricht er Spanisch mit portugiesischem Akzent, liebt die brasilianische Küche, die Musik, den Fußball. Vermutlich wäre er in dem Riesenreich mit seinen begnadeten Künstlern geblieben, hätte die panamerikanische Gesundheitsorganisation die Familie nicht 1971 nach Costa Rica geschickt.

Sein Vater war Arzt und beteiligt an der Bekämpfung der Malaria, die es hier jetzt längst nicht mehr gibt. So kam Guimaraes mit elf Jahren in das kleine Land zwischen Pazifik und Karibik, seinerzeit eine verschlafene Bananenrepublik. Und ist mit 46 nun das Idol eines Volkes, das den Ball nicht weniger verehrt, wie es die Brasilianer tun.

Guima nennen sie den bekanntesten Einwanderer, seit 1984 Staatsbürger. Noch verehren sie den belesenen Experten, sogar mehr als Stürmer Paulo Wanchope. Ohne Guima gäbe es die erstaunliche Geschichte von Costa Rica und den Weltmeisterschaften kaum.

Beim Debüt 1990 in Italien spielte der frühere Basketballer unter dem Serben Bora Milutinovic im Mittelfeld, mit ihm schaffte es der Außenseiter mit Siegen gegen Schottland und Schweden bis ins Achtelfinale. 2002 führte der studierte Sportlehrer Guimaraes die Auswahl nach Japan und Südkorea, wo sie China bezwang, der Türkei ein 1:1 abtrotzte, 2:5 gegen seine alte Heimat Brasilien verlor.

Hospitant bei Hitzfeld und Finke

2005 holte ihn der Verband in letzter Not zurück, mit ihm gelang noch die WM-Qualifikation. Guimarães fühlte sich als Retter, "man hat gemerkt, dass es gut war, was wir gemacht haben". Dann kam die Auslosung in Leipzig. 9. Juni, München, Eröffnungsspiel, Deutschland - Costa Rica.

Manches haben die Fußballer in den feuerroten Trikots erlebt, sie sind das dritte Mal bei einer WM, waren bei Olympia, belegen Rang 26 der Fifa-Rangliste, vor Kolumbien, Polen, Russland, der Schweiz. Aber dieser Auftritt übertrifft alles.

Die halbe Welt wird ihnen zusehen. "Von diesem Termin hängt ab, wie man über Costa Rica spricht", sagt Guimaraes, "das ist eine historische Gelegenheit." Früher saß Guimaraes jeden Samstag vor dem Fernseher und schaute Bundesliga, bewunderte Beckenbauer, Netzer, Overath.

Als er zu spielen aufgehört hatte, hospitierte er 1993 einen Monat lang bei Volker Finke in Freiburg, bei Ottmar Hitzfeld in Dortmund, an der Sporthochschule in Köln. Jetzt ist Alemania der Gegner, wenn die WM angepfiffen wird. "Manche Leute", glaubt Guimaraes, "haben noch gar nicht verstanden, wie einzigartig das für uns ist."

Die meisten der vier Millionen Einwohner haben es sofort kapiert, seit Wochen beschäftigt sie kaum ein anderes Thema. Über das Torwartduell Kahn gegen Lehmann wussten sie so gut Bescheid wie die Deutschen, Fußball ist Lebensinhalt, jedes Dorf besitzt einen Platz, das Fernsehen berichtet ständig.

"Mannschaften wie wir brauchen mehr Zeit"

Wenigen Institutionen vertrauen die Costa Ricaner so sehr wie ihrer Sele, dem Nationalteam, Politiker gelten als korrupt. Nur die Funktionäre blieben zu lange stur und gaben der Liga den Vorzug, ehe Ende April endlich Deportivo Saprissa als Meister ermittelt war.

Fünf Wochen WM-Vorbereitung sind Guimaraes zu wenig, "Mannschaften wie wir brauchen mehr Zeit, wir haben nicht so viele individuelle Stärken." Den Testspielen gegen Iran, Frankreich (jeweils 2:3) und Südkorea (1:0) werden in Europa teilweise klägliche Niederlagen gegen Katalonien (0:2), die Ukraine (0:4), die Tschechische Republik (0:1) folgen und an diesem Donnerstag sogar gegen eine Amateurauswahl von Walldorf (2:3).

Guimaraes wird leiden im Regenwetter, daheim in die Kritik geraten und seine Profis vom offensiven zum defensiven Stil zurückkehren lassen, vielleicht wird auch nur geblufft. Aber das alles spielt in diesen Momenten noch keine Rolle.

"Man lebt gut hier"

Er schwärmt von Costa Rica, seinem Schicksal. Es hat vor sechs Jahrzehnten seine Armee abgeschafft, der aktuelle Präsident Oscar Arias trägt den Friedensnobelpreis. Es pflegt trotz aller Probleme einen viel besseren Lebensstandard als Nachbar Nicaragua, das einen schlimmen Bürgerkrieg zu überstehen hatte.

Es setzt auf Ökotourismus mit Regenwäldern in Nationalparks, gesäumt von Stränden zweier Meere, die nicht mehr als zwei Fahrtstunden entfernt sind, eine Trainingswoche fand in Playa Conchal am Pazifik statt. "Wir haben uns Respekt erworben, auch für unsere Einstellung zu Frieden, Gesundheit, Erziehung", sagt Alexandre Guimaraes, der gebürtige Brasilianer. "Unser Land hat ziemlich viel zu bieten und ein wunderbares Klima, 20, 22, 24 Grad, das ganze Jahr über. Man lebt gut hier."

Dann steht er auf unter seinem Baum, wandert zu seinem Geländewagen und fährt ab aus dem Proyecto Gol, dem Projekt Weltmeisterschaft entgegen.

© SZ vom 3.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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