Von Tony Mario Sylva war bislang vor allem bekannt, dass er 2002 und 2005 zum besten Torwart Afrikas gekürt wurde, 2000 mit dem AS Monaco die französische Meisterschaft gewann und 2002 mit dem Senegal an der Fußball-Weltmeisterschaft teilnahm. Der 46-malige Nationalspieler ist aber auch ein ziemlicher Trotzkopf. Das erfuhr sein ehemaliger Klub OSC Lille in diesem Frühling. Eigentlich bis 2009 vertraglich an die Nordfranzosen gebunden, kündigte Sylva, 33, im Mai den Kontrakt einseitig und unterzeichnete einen neuen Vertrag beim türkischen Erstligisten Trabzonspor. Am vergangenen Freitag nun erteilte die "Kommission für den Status von Spielern" beim Weltfußballverband Fifa Sylva die provisorische Freigabe und bestätigte damit den Fall des schottischen Spielers Andrew Webster, der im Januar vom Internationalen Sportgerichtshof (Cas) in Lausanne verhandelt worden war.
Extremer als der Fall Webster
Webster kündigte 2006 ein Jahr vor dem Vertragsende - und ohne Einverständnis seines Klubs Hearts of Midlothian - seinen Kontrakt und wechselte zu Wigan Athletic. Die beiden Parteien stritten damals um die Höhe der Entschädigung, die Hearts verlangten 5,4 Millionen Euro, das Cas aber entschied schließlich im Januar 2008, dass Wigan nur rund 200.000 Euro an die Schotten zahlen musste. Diese Summe entsprach dem Jahresgehalt von Webster. Entscheidend für das Urteil war, dass Webster sich auf Artikel 17, Absatz 1, des Fifa-Statuts über den Transfer von Spielern bezog.
Dieser Paragraph, 2001 auf Druck der EU-Kommission ins Regelwerk aufgenommen, besagt, dass Spieler bei einem Wechsel ihren Vertrag nach einer "geschützten Laufzeit" von drei beziehungsweise zwei Jahren - je nachdem, ob sie bei Unterzeichnung jünger oder älter als 28 Jahre sind - einseitig auflösen können und ihrem alten Verein nur noch das ausstehende Gehalt als Entschädigung zahlen müssen. Wird ein Vertrag zwischen Profi und Verein verlängert, so wird von vorne gezählt, entscheidend ist dann das Datum der Neuabschlusses.
Nun hat die Fifa im Fall Sylva erstmals einem Spieler, der sich auf Artikel 17 beruft, die Freigabe erteilt, obwohl noch keine Einigung zwischen den beiden Vereinen vorgelegen hat. "Der Fall Sylva geht über den Fall Webster hinaus, weil die Fifa bereits eine Spielgenehmigung erteilt hat, obwohl die Vereine noch über die Entschädigung streiten. Damit ist endgültig der Weg für wechselwillige Spieler nach Ablauf der Schutzzeit frei", sagt Christof Wieschemann. Der Anwalt aus Bochum ist Mitglied der ISLA (International Sports Lawyers Association), seit Januar Richter am Deutschen Sportschiedsgericht und vertritt die Interessen von Trabzonspor im Fall Sylva.
20 Millionen für Luca Toni
In ähnlich gelagerten Fällen einigten die Vereine sich in der Vergangenheit häufig auf die Zahlung einer Ablöse. Die Urteile in den Fällen Webster und Sylva setzen nun die Vereine noch mehr den Launen der Spieler aus, als sie dies nach dem Bosman-Urteil von 1995 ohnehin schon sind. Der Belgier Jean-Marc Bosman setzte damals den ablösefreien Wechsel nach Vertragsende durch. Was für einen Sinn ergeben in Zukunft Verträge über eine Laufzeit von vier, fünf Jahren, wenn die Profis sie nach zwei, drei Jahren einseitig kündigen können?
So könnte beispielsweise der italienische Nationalstürmer Luca Toni, 31, nach dieser Saison seinen bis 2011 datierten Vertrag beim FC Bayern München theoretisch einseitig kündigen und für die Entschädigung von zwei Jahresgehältern zurück in seine Heimat wechseln. Dies wären zwar vermutlich mehr als zehn Millionen Euro, sein Marktwert nach den alten Transferregeln dürfte bei einem Wechsel vor Ablauf des Vertrages aber bei rund 20 Millionen Euro liegen. "Wenn die Bayern schlau waren, haben sie, was die Höhe der Entschädigung angeht, entsprechende Klauseln in den Vertrag schreiben lassen. Das ist möglich", sagt Wieschemann.
Im Fall der Münchner könnte eine solche Klausel wie folgt formuliert sein: Sollte Luca Toni aufgrund von Artikel17 wechseln, ist als Entschädigung vom Spieler eine Summe X fällig. Die Praxis wird aber die sein, dass der Verein die Entschädigung für den Spieler leistet.
Auf der nächsten Seite: Neuer Handlungsdruck für die Vereine.
Auch darin sind die Profis im Vorteil zum normalen Arbeitnehmer. Den träfe die Keule des Arbeitsrechts, wenn er einen Zeitvertrag in einem Unternehmen plötzlich einseitig kündigen würde. Artikel 17 ist im Urteil vieler Juristen grundsätzlich nicht eine einseitige Kündigungsmöglichkeit, sondern eine besonders privilegiertete Form des Vertragsbruchs.
Neuer Handlungsdruck
Ein Bewusstsein für die neue Situation sei aber noch nicht überall in der Bundesliga gewachsen. Erst neulich, so Wieschemann, teilte ihm auf Nachfrage ein Vorstandsvorsitzender eines deutschen Erstligisten mit, sein Verein habe in den neu abgeschlossenen Verträgen keine Änderungen im Hinblick auf die Webster-Entscheidung eingefügt. "Das ist blauäugig und borniert", sagt Wieschemann: "Nach dem Urteil Sylva gibt es nun einen neuen Handlungsdruck."
Bislang sind diese Grundsätze allerdings nur auf internationale Transfers anwendbar. Bei nationalen Transfers, beispielsweise innerhalb Deutschlands, erteilt die Deutsche Fußball Liga (DFL) die Spielberechtigung. Anders als die Fifa werde die DFL Transfers, die sich auf Artikel 17 berufen, nicht genehmigen, sagt Wieschemann. Die DFL könne dabei auf eine Vorschrift in der Lizenzordnung verweisen, nach der Spielern die Freigabe bis zum rechtskräftigen Abschluss eines arbeitsrechtlichen Verfahrens zu verweigern ist. "Ich halte die entsprechende Vorschrift allerdings für genauso sittenwidrig wie eine vergleichbare im Eishockeyverband, die das Bundesarbeitsgericht schon 1998 kassiert hat", sagt Wieschemann und fügt an: "Es ist davon auszugehen, dass auch diese Frage alsbald entschieden wird."
Über die fällige Entschädigung für Sylva wird die Fifa voraussichtlich bis Mitte Oktober entscheiden. Am Samstagabend saß Sylva bei Trabzonspors 3:2-Erfolg gegen Antalyaspor allerdings trotz Freigabe nur auf der Bank.