Fußball-Regionalliga:Der Milchleistungsprüfer und sein Lebenswerk

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Beim FC Pipinsried hilft das ganze Dorf mit - und doch hängt alles an Konrad Höß, seinem knauserigen Präsidenten.

Von Ralf Tögel

Wenn man eine Geschichte über den FC Pipinsried erzählen will, dann wird man recht schnell bei Konrad Höß landen. Also kann man die Geschichte auch gleich mit ihm beginnen. Die spielt nordwestlich von Dachau, im Markt Altomünster, zu dem das kleine Pfarrdorf Pipinsried zählt. 557 Einwohner, eine Kirche, ein Wirtshaus, das unregelmäßig öffnet, kaum Geschäfte, kein Bäcker. "Ein verkrachtes Dorf", sagt der 76-Jährige gerne, nach seiner Ansicht ist "Pipinsried tot". Nicht so ganz, denn in Pipinsried gibt es einen Fußballverein - und der wird von diesem Dienstag eine ganze Menge Spektakel und Folklore in das beschauliche Dachauer Hinterland bringen.

Wenn man auf dem Weg dorthin in Langenpettenbach das erste Schild mit dem Namen Pipinsried entdeckt hat, geradewegs auf den Weiler Wagenried zusteuert und nurmehr Felder, Wiesen und hin und wieder einen Bauernhof passiert, dann benötigt man schon etwas Fantasie, um einen Fußball-Viertligisten am Ende seiner Reise zu erwarten. Erst am Kreisverkehr unmittelbar nach dem Ortsschild weißt ein funkelnagelneues Hinweisschild den Weg zum Sportgelände. Dort aber ist die Überraschung groß, inmitten von Feldern eine schmucke Anlage, an allen Ecken und Enden wird noch mit bemerkenswerter Gelassenheit gewerkelt. Der Dienstagabend ist nahe, bis dahin muss alles fertig und herausgeputzt sein, dann wird gegen die Profitruppe des 1. FC Schweinfurt 05 für den FC Pipinsried die Saison in der Regionaliga etwas verspätet eröffnet.

"Fußballer sind gierig, da darf man keinem über den Weg trauen." - Konrad Höß hat in seinen 50 Jahren als FCP-Vorsitzender einiges gelernt. (Foto: Toni Heigl)

Es ist eine märchenhafte Geschichte, die sich da in Pipinsried abspielt, die das ganze Dorf mit Stolz erfüllt - und ganz besonders Konrad Höß. Jetzt sitzt er da, im Schatten der großen Haupttribüne, mit den schicken blauen und gelben Sitzschalen, 250 Stück an der Zahl. 13 000 Euro hätten diese gekostet, seine Stimme wird plötzlich lauter, denn wäre es nach Höß gegangen, dann würde es die bunten Plastikwannen gar nicht geben. Seiner Ansicht nach hätten es auch ein paar Holzlatten getan, so wie in anderen Regionalliga-Stadien, sagt er, über die Betonstufen geschraubt und fertig. Ein gutes Beispiel dafür, wie der Erfinder des FC Pipinsried tickt. Übergangen hätten sie ihn, "Geld zum Fenster hinausgeworfen". Sicher, das Ganze sieht schon schick aus, aber "es war nicht nötig". Eisern sparen, das ist die Maxime des Präsidenten, so hat er über die Jahre hinweg den Verein entwickelt, nach oben gebracht, Schritt für Schritt, Stein für Stein, im wahrsten Sinne des Wortes. Hier mal eine Steintreppe betoniert, dort einen Brunnen gegraben, immer mit Bekannten und Freunden, alles in Eigenleistung.

Früher kamen die Löwen gegen Bezahlung, jetzt zum Punktspiel

Kein anderer hätte das gekonnt, mit einer enervierender Beharrlichkeit und nimmermüdem Einsatz aus einer Wiese in den vergangenen 50 Jahren ein regionaligataugliches Stadion aus dem Boden zu stampfen. Höß war Milchleistungsprüfer von Beruf, in einer ländlich geprägten Gegend kein Nachteil. Er ist viel herumgekommen, kennt die Leute, ist unglaublich gut vernetzt. Der Parkplatz etwa, planiert von einem Freund, der passender Weise ein Bauunternehmen hat. Das ganze Dorf hilft praktisch mit, überall legen Bekannte und Freunde teils in zweiter Generation Hand an, legen Elektrokabel, schließen die neuen Toilettenhäuschen an. Die zeit drängt, Höß kennt jeden, ein paar aufmunternde Worte hier, ein Pläuschchen da.

180 000 Euro würden die Umbauarbeiten kosten, schätzt Höß, hätte man das Ganze an Fremdfirmen vergeben. Er bekommt es weitgehend umsonst, versichert er, Freundschaftsdienste für sein Lebenswerk. Kleinere Sponsoren gibt es natürlich, über die Jahre habe er zudem ein kleines Polster an Ersparnissen angelegt, weil er jeden Euro, den er ausgibt, zweimal umdreht. Wie viel gibt er nicht preis, Fußballer sind gierig, sagt er, "da darf man keinem über de Weg trauen". Seit 50 Jahren machen er seine Frau Katharina fast alles selbst, Höß ist Platzwart, Hausmeister, kümmerte sich um die Anlage vom Kloputzen bis zum Rasenmähen. Seine Frau bewirtschaftet das Sportheim, belegt die Semmeln für den Kioskverkauf, umsorgt die Spieler wie eine Mutter. Gespart wird auch beim Personal, alle Spieler sind Vertragsamateure, mehr Geld ist bei Höß nicht zu holen. Dafür wird bloß zweimal pro Woche trainiert, erklärt er, der Klub bietet immerhin die Bühne, sich anderswo zu empfehlen - bei überschaubarem Aufwand. Prämien, Handgeld? Höß lacht laut auf: "nicht mit mir!" Es gibt kleinere Sponsoren, das schon, die neue Fläche auf der Rundumbande war im Nu verkauft, die Regionaliga macht den Klub attraktiv.

Höß’ heiliger Rasen: Das für die Regionalliga umgebaute Stadion des FC Pipinsried an der Reichertshauser Straße. (Foto: Toni Heigl)

Das Prinzip ist so einfach wie wirksam: Höß hat sich unermüdlich auf den Fußballplätzen der Region herumgetrieben, aufstrebende Talente gelockt, Spieler, die es nicht zum Profi geschafft aber den Spaß am Kicken nicht verloren haben. Befehligt wird das Ganze immer von einem Spielertrainer, Höß verpflichtet immer einen Novizen, einen Hochtalentierten, der sich erst einmal beweisen muss. So steigt der Klub rasch aus der niedrigsten Klasse auf, Bezirksliga, viele Jahre Landesliga, zuletzt Bayernliga. Mit Spielertrainer Tobias Strobl war er zweimal nah am Aufstieg, dann warf der das Handtuch. Höß holte Fabian Hürzeler, der kam mit Roman Plesche, der seither als Manager wirkt.

Das Duo hat den Aufstieg im ersten Anlauf geschafft und macht keinen Hehl daraus, dass man sich durchaus zutraue, in diesem Geschäft weiterzukommen. Aber erst mal den FC Pipinsried in der Regionalliga etablieren, dafür haben sie ein talentierte MAnsnchaft usammen, nach bewährtem Pipinsrieder Muster. Und es gibt viele neue Ansätze und Ideen: Crowdfunding, Sitzschalen für eine Saison verkaufen, neue Marketingkonzepte, solche Sachen. Früher, erinnert sich Höß, habe man dem TSV 1860 München einmal Geld bezahlt, damit er zum Freundschaftsspiel nach Pipinsried kommt. Demnächst reisen die Löwen wieder an: zum Punktspiel. "Wer hätte das für möglich gehalten?" Doch das alles hat ihn viel Kraft gekostet, Anfang April 2011 hatte er einen Herzinfarkt, zweimal wurde er auf dem Weg in die Klinik reanimiert, lag vier Tage im Koma. Als er erwachte, erkundigte er sich zuerst nach dem Ergebnis der Mannschaft. Ein typischer Höß. Vor einer Woche wurde ihm ein Katheter im Herzen gelegt, dann ein Schrittmacher eingesetzt, manchmal hat er seitdem Schmerzen. Seine Motivation, so sagt er jetzt, sei von 150 auf 35 Prozent gesunken, zu Auswärtsspielen fährt er schon lange nicht mehr mit.

Man hat den Eindruck, dass ihm das Ganze langsam über den Kopf wächst. "Ich denke darüber nach aufzuhören." Ein Satz , den man bisher noch nicht von Konrad Höß gehört hat.

© SZ vom 25.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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