Fußball-Nationalmannschaft:Jürgen Klinsmann versammelt die engsten Kandidaten

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Klausurtagung für das Staatsprojekt: Beim Kurzlehrgang in Düsseldorf will der Bundestrainer seine Mannen auf die kommenden Monate einschwören.

Philipp Selldorf

Jürgen Klinsmann kommt zwar nur gelegentlich nach Deutschland. Dann aber richtig. Seitdem er am Donnerstag in Frankfurt gelandet ist, ist der kalifornische Bundestrainer im Rahmen seines Non-Stop-Programms an so vielen Orten aufgetaucht, dass man meinen konnte, es müsse mehrere Klinsmänner geben. Seine Terminplaner dirigierten ihn nach Montreux, wo er die Auslosung zur Qualifikation für die EM 2008 verfolgte - ein Thema, das ihn ungefähr so sehr interessiert wie der Wetterbericht von Belutschistan; am Freitag erschien er in Mönchengladbach und begutachtete die Nationalspieler Ballack, Schweinsteiger, Neuville, Jansen und Kahn; am Samstag guckte er in Gelsenkirchen beim Training von Schalke 04 zu, reiste dann weiter zum Bundesligaspiel zwischen Dortmund und Wolfsburg und verwechselte abends im Aktuellen Sportstudio mit freundlichem Lächeln Frau Müller-Hohenstein mit Frau Müller-Wohlfahrt.

Jürgen Klinsmann (Foto: Foto: dpa)

Den Sonntag verbrachte Klinsmann in Bielefeld beim Spiel der Arminia gegen Werder Bremen, und bis Dienstag bleibt er nun im Kreis seiner Nationalspieler und engsten Mitstreiter in Düsseldorf, wo aber keineswegs Stillstand droht.

Beim sogenannten Kurzlehrgang im Hotel Hilton erledigt das Team seit Montag Vormittag im Akkord die vom Verband auferlegten PR-Aufträge: Werbefilme für die DFB-Sponsoren, Fotoaufnahmen, Unterschriftensammlungen für Autogrammkarten. Es gibt ein gemeinsames Abendessen und eine Zusammenkunft, bei der Klinsmann den Spielern das Programm bis zum WM-Start erläutern und Verhaltensregeln mitgeben will.

Asamoah als einziger beim Fitnesstrainer

"Es wird eine Einstimmung auf die nächsten Monate", erklärte der Bundestrainer, "wir wollen den Spielern sagen, was wir von ihnen erwarten und wie wir sie beobachten." Im Wirtschaftsleben würde man von einer Klausurtagung sprechen, mit dem Unterschied, dass es sich hier um eine Mission handelt, die Züge eines Staatsprojektes trägt.

Der Schalker Gerald Asamoah hat iin Anbetracht der großen Herausforderung darauf verzichtet, wie üblich die Weihnachtsferien in seinem Haus in Accra in Ghana zu verbringen. Stattdessen reiste er an einen Ort namens Tempe in Arizona, wo der von Klinsmann engagierte Fitnesstrainer Mark Versteegen ein Institut zur Aufbereitung von Spitzensportlern unterhält. Bis zum Heiligen Abend ließ sich der Angreifer dort trimmen, bevor er sein Programm dann in New York fortsetzte.

Asamoah war der einzige Spieler, der das vom Trainerstab offerierte Angebot wahrgenommen hat. Die Wirkung lässt sich an seiner schlanken Gestalt ablesen, den Effekt aber konnte er am Wochenende nicht demonstrieren - eine Grippe stand seinem Einsatz in der Startelf im Weg.

28 Spieler hat Klinsmann nach Düsseldorf gebeten; nur die Engländer Lehmann und Huth blieben fern, weil ihre Vereine ihnen keinen Freigang erteilten. Einige, die nicht zum erlesenen Kreis dazugehören dürfen, müssen sich nun ernsthaft Gedanken über ihren Sommerurlaub machen. Dietmar Hamann, eine der unglücklichsten und undurchsichtigsten Personalien der Ära Klinsmann, ist in Liverpool trotz regelmäßiger Einsätze beim Europacupsieger in Vergessenheit geraten.

Thomas Brdaric nutzt in Hannover auch die leidenschaftliche Fürsprache seines Trainers Peter Neururer nichts. Seine Aussichten auf die Teilnahme an der WM sind geringer als gering. Ähnlich ergeht es Geheimkandidaten wie Marko Rehmer oder Manuel Friedrich, die trotz der Protektion ihrer Trainer bei den DFB-Trainern keine Aufmerksamkeit mehr erregen.

Tarnsatlantisch tätiger Trainer

Dafür hat sich der Dortmunder Sebastian Kehl für das Treffen qualifiziert, ein Spieler, der bisher unter dem Bundestrainer Klinsmann noch keine Partie bestritten hat. Nun billigt man ihm eine "reelle Chance" zu, wie Joachim Löw versicherte. Eingeladen ist auch, trotz aufsässiger Kommentare zu den Auswahlkriterien des Bundestrainers und einiger Grätschen ins Nichts beim Spiel gegen Wolfsburg, der Vorstopper Christian Wörns. Zwei Länderspiele bleiben den Wackelkandidaten noch, um sich bis Mitte Mai für die Nominierung des 23 Spieler umfassenden Kaders zu empfehlen: Am 1. März in Florenz in Italien und am 22. März in Dortmund gegen die USA.

Ende der Woche wird Klinsmann nach Kalifornien zurückkehren. Einen mondäneren Auftritt als der transatlantisch tätige Bundestrainer haben allenfalls noch die Spieler des FC Bayern: Aus Düsseldorf werden sie im Hubschrauber zum Freundschaftsspiel ihres Klubs am Dienstag nach Aschaffenburg ausgeflogen.

© SZ vom 31.1.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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