Fußball-Mauschelei:Hütchenspiel ohne Regeln

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Der Weltverband Fifa ersetzt die alte Ethikkommission durch eine neue, nennt aber weder Bestimmungen noch Personal.

Thomas Kistner

"Stopp, stopp", unterbrach Sepp Blatter aufgeregt, als der Kongress just die Installierung seines neuen Ethik-Komitees genehmigen sollte.

Englands Vertreter hatte noch eine Verständnisfrage: "Ist der Prozess fair, wenn es künftig bei Verstößen kein Verfahren bei der Disziplinarkommission gibt und in manchen Fällen der Vorsitzende des Ethikkomitees allein entscheidet, ohne Verhandlung oder Anhörung?" Was man so hört.

Dies zwang Blatter, kurz auf das Kernproblem des neuen Sitten&Moral-Stabes im Weltfußball einzugehen: Die Spielregeln werden später nachgeliefert.

So verpasste sich die Fifa am Donnerstag in der Münchner Messe nur die Hülle einer Ethikkommission. Nach welchen Statuten das vorab als bahnbrechend gefeierte Vorhaben funktionieren und welche Personen es vorantreiben sollen, blieb im Dunkeln.

Festlegen soll dies das Exekutivkomitee, in den Monaten nach der WM. Immerhin 15 Verbandsdelegierte votierten gegen die vage Institution, die Fifa-Justitiar David Will launig als "Gerichtshof ohne Regeln" umschrieb. Die übrigen 180 Delegierten taten, was zu tun war: aufs Ja-Knöpfchen drücken.

Ein "Komitee für Fairplay und soziale Verantwortung" löst das frühere Fairplay/Ethik-Komitee ab, und worum es eigentlich geht bei diesem Hütchenspiel mit der Ethikfrage, zeigt der Blick auf die Entstehungsgeschichte des Kongress-Themas.

Im Februar war ein Sündenfall des Fifa-Vizepräsidenten Jack Warner aufgeflogen, der über seine Familienfirma "Simpaul Travel" in Trinidad die 10.000 WM-Ticketsverhökern wollte, die seinem Heimatverband als WM-Teilnehmer zustehen.

Die Sache machte Wirbel, sogar die Regierung der Tropeninsel schaltete sich ein, Warner sprach von einer politischen Hetzkampagne und brachte seinen Fall vor das (alte) Ethikkomitee. Dieses erkannte, hoppla, einen Interessenskonflikt, es verwies die Sache an die Exekutive.

Warner, erbost darüber, dass der heikle Fall publik wurde, zog also in eine angespannte Sitzung mit den eigenen Vorstandskollegen, denen er erzählte, er habe alle Taue zur Firma "Simpaul" gekappt (zu deren Miteignern seine Söhne zählen) - und er hing gleich seinen Premierminister Patrick Manning hin, mit der pikanten Mitteilung, der habe bei Blatter angerufen und um WM-Tickets gebeten.

Blatter, heißt es, habe den Anrufer nur an einen Assistenten weitergereicht. Am Ende der Sitzung biss der Fifa-Boss mit dem Ansinnen, Warners Fall an die Disziplinarkommission weiterzuleiten, auf Granit beim Gros der lieben Vorstandskollegen: Die schluckten großmütig Warners Version einer Polit-Intrige.

Die Version von Jack, genannt "the Ripper", der über seine Fußball-Ehrenämter binnen kurzem schwerreich wurde und sich etwa die WM-Fernsehrechte für die Karibik wiederholt für jeweils einen Dollar zuschanzen ließ.

Andererseits war Warner, Chef des Nordamerika- und Karibikverbandes Concacaf, stets ein sehr getreuer Stimmlieferant für Blatter-Wahlen, über 35 Voten verfügt sein Tropenreich. Insofern sorgte der Zwist für dicke Luft auf der Chefetage, Jack schmollte und schwänzte Meetings; am Ende aber habe sich Blatter bei ihm entschuldigt, sagte er britischen Journalisten. Doch Jack verzichtet ungern auf ein Rückspiel.

Als Blatter mit seinem neuen Ethik-Stab kam, warf sich Warners Vertrauter und Vorstandskollege Chuck Blazer (USA) in den Weg: Die bisherigen Regeln seien doch untauglich, das habe Warners Fall gezeigt, es müssten neue her.

All die bösen Buben

So kam es, dass die Fifa unter Verweis auf all die bösen Buben im Fußball, vom italienischen Calcio-Sumpf bis zur Hoyzer-Affäre, von Wettbüros bis zu Spielerberatern, einen Riesenschritt Richtung sauberen Sport feierte. Ohne zu sagen, wie die Regeln dafür aussehen.

Die machen die Bosse wieder unter sich aus, und die Vermutung, dass sie eher nach Warners Gusto ausfallen dürften, ist so wenig abwegig wie die Befürchtung um die personelle Besetzung des Gremiums. Keine Leute aus dem eigenen Vorstand sollen drin sitzen, hieß es nur. Wenn das kein Riesenschritt ist.

Warner übrigens publiziert nun eine Autobiografie, als Antwort auf anhaltende Korruptionsvorwürfe gegen seine Person. "From Zero to Hero" soll das tendentiell stark selbstverherrlichende Werk heißen, von der Null zum Helden. Aufschluss darüber, wie sich binnen weniger Jahre all die Nullen auf Jack The Rippers Konten ansammelten, sollte man sich davon eher nicht erhoffen.

"Von Null bis Lebenslänglich", so formulierte Fifa-Justitiar David Will locker das zweite tragende Kongressthema: die Anpassung der Dopingregeln im Fußball an den Code der Antidoping-Weltagentur Wada. Dies erfolgte nun in München, doch hat sich der mächtige Weltverband ein paar Hintertürchen aufgestoßen.

Der Fifa wurde eine Einzelfallprüfung zugestanden, die zweijährige Regelsperre, wie ursprünglich von der Wada gefordert, soll nur "im Prinzip" erfolgen. Diverse Ausnahmen sind möglich, darunter denkwürdige: Etwa, wenn ein Dopingsünder beweisen kann, "dass er die Substanz nicht zur Leistungssteigerung genommen" habe oder "kein signifikantes Verschulden" (Will) bei ihm vorliege.

Am Ende standen Kinder auf der Bühne. Dazu Sepp Blatter und Franz Beckenbauer, der die Kinder als "Zukunft des Fußballs" bezeichnete. "Wollt ihr etwas singen?" rief der Sepp, und die Kinder plapperten sogleich vielsprachig durcheinander.

Herrlich ist so eine einstudierte Fußballwelt, wenn alles auf Knopfdruck funktioniert.

© SZ vom 9.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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