Fußball in Palästina:Das erste Heimspiel

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In einer politisch aufgeladenen Partie trägt Palästina zum ersten Mal ein offizielles Länderspiel auf eigenem Boden aus. Nur aus Gaza dürfen nicht alle kommen.

Thomas Hummel

Selten wurde auf einem Fußballplatz so viel gebetet wie am Sonntagabend auf dem Kunstrasen in Al-Ram. 19 Spieler in weißen Hemden, weißen Hosen und weißen Stutzen verteilten sich vor dem Anpfiff rund um den Anstoßkreis und knieten nieder. Auch nach dem ersten Tor herzten sich die Kicker nur kurz, bevor sie kollektiv auf den Boden fielen zum Gebet. Die Partie im Stadion Faisal Hussein in Al-Ram, einem Vorort von Jerusalem im Westjordanland, war mehr als ein Fußballspiel. Zum ersten Mal trug die Nationalmannschaft Palästinas ein vom Weltverband Fifa anerkanntes Länderspiel auf eigenem Boden aus. Gegen Jordanien gelang ein 1:1.

Beten vor dem Spiel: Palästinas Fußballer vor dem ersten Länderspiel auf heimischem Boden. (Foto: Foto: Reuters)

Wie politisch aufgeladen diese 90 Minuten von Al-Ram waren, verdeutlichte Dschibril Radschub, Präsident des palästinensischen Fußballverbands: "Ich hoffe, dieses Spiel ist ein klare Nachricht für die Welt, dass das palästinensische Volk seine Freiheit verdient hat und einen unabhängigen, demokratischen Staat errichten kann." Die Wendung "Fußballer spielen für ihr Land" erhielt hier eine ganz neue Bedeutung.

Die Bewohner im Westjordanland feierten das lange erhoffte Ereignis entsprechend. 8000 Zuschauer drängelten sich in dem noch nicht fertiggestellten Stadion, davor versammelten sich Menschenmengen vor Leinwänden, um die Partie zu verfolgen. Der für den Deutschen Fußball-Bund anwesende Direktor Helmut Sandrock sagte: "Es war überall zu spüren, welches Selbstwertgefühl den Menschen hier ein solches Spiel gibt und wie stolz sie darauf sind." Hin und wieder drohte die von nationalem Pathos bestimmte Stimmung in Aggressivität zu münden, etwa als der Stadionsprecher vom Fußball als vornehmsten aller Kriege sprach. Oder als die Zuschauer sangen: "Jerusalem ist arabisch!" Die Polizei war mit großem Aufgebot angerückt. Es blieb bei verbalen Auseinandersetzungen.

Blatter lässt sich feiern

Auf den Anpfiff allerdings mussten die Menschen eine Weile warten. Und das nicht nur deshalb, weil die heimischen Spieler ein kollektives Gebet voranstellten. Mehr Zeit noch nahm die Zeremonie der Offiziellen in Anspruch, allen voran Fifa-Präsident Joseph S. Blatter ließ sich feiern.

Der Fußballweltverband darf für sich in Anspruch nehmen, den palästinensischen Fußball in außergewöhnlicher Weise zu fördern. In Al-Ram sagte Blatter pathetisch: "Das Ziel des Fußballs ist es nicht, nur den Ball ins Netz zu schießen, sondern die Welt zu berühren und eine bessere Zukunft zu schaffen. Das ist ein historischer Moment und ein Sieg des Fußballs." Die Fifa hatte das von Israel besetzte Gebiet schon 1998 aufgenommen. Der damalige Friedensvertrag zwischen Israel und Palästina hatte das ermöglicht.

In den Listen taucht zwar bereits 1929 ein Fußballverband Palästina auf. Dieser bewarb sich 1934 sogar als erstes asiatisches Land für eine WM-Teilnahme und nahm an der Qualifikation teil. Allerdings stand das Land damals unter britischem Mandat, Fußball spielten nur die Mandatsträger sowie die bereits zahlreich aus Europa eingewanderten Juden. Die Mannschaft Palästinas bestand zu jener Zeit ausschließlich aus Juden, weshalb die Organisation als Vorläufer des nach dem Zweiten Weltkrieg gegründeten israelischen Fußballverbands gilt.

Heimspiele in Jordanien oder Katar

Ein von Arabern geführter Fußballverband Palästina entstand erst 1962 und agierte lange Zeit isoliert. Erst durch die Fifa-Aufnahme 1998 gelang die Rückkehr auf die internationale Bühne, seither fördert die Fifa den Fußball in Gaza und im Westjordanland auch finanziell. So sollte unter anderem ein Stadion gebaut werden, das den Anforderungen des Weltverbands bei Länderspielen genügt.

Denn Palästina nahm zwar an den Qualifikationen zu den Fußball-Weltmeisterschaften 2002 und 2006 teil, musste aber seine Heimspiele in Jordanien oder Katar austragen. Das lag einerseits an der häufig prekären Sicherheitslage, andererseits aber auch am fehlenden Spielort. Als Israel 2006 das Palästina-Stadion in Gaza bombadierte, erhielt der Plan einen weiteren Rückschlag. Weil die radikal-islamistische Bewegung Hamas inzwischen die Macht in Gaza übernahm, verlegte man die Stadionpläne ins Westjordanland.

In Al-Ram trat nun eine Mannschaft an, die nur zum Teil in den Autonomiegebieten der Palästinenser lebt. Die vergangene Intifada forderte auch vom Sport seinen Tribut, acht Jahre lang ruhte der Spielbetrieb. Nun startet der Verband im Westjordanland wieder den Versuch, zumindest regionale Ligen zu organisieren. Für die Nationalmannschaft sucht er indes auf der ganzen Welt nach Flüchtlingen oder deren Kinder und wurde dabei auch in Chile und Kanada fündig, die meisten Spieler reisten zu dem historischen Spiel aus den arabischen Nachbarstaaten an. Am schwierigsten allerdings war die Teilnahme für die Mitspieler aus dem Gazastreifen.

Seit der Hamas-Machtübernahme haben die Israelis den Gazastreifen praktisch abgeschottet, ein Rein oder Raus ist kaum möglich. Monatelang wurde jetzt verhandelt, fünf Spieler erhielten erst am Freitag die Ausreisegenehmigung der Behörden. Darunter Achmed Kashkash, der nach acht Minuten das 1:0 erzielte und vom emotionalsten Moment seines Lebens sprach. Dennoch fehlte den Palästinensern ein paar wichtige Spieler. Kollege und Linksverteidiger Rami erklärte bei Radio France International: "Wir müssen ohne sie spielen. Aber jeder Moment dieses Spiels zeigt, dass wir als Nation existieren."

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