Fußball in England:Der 200-Millionen-Euro-Schuss

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"Was wir geschafft haben, ist ein Märchen": Huddersfields Trainer David Wagner (links) und Elfmeterschütze Christopher Schindler feiern den Aufstieg. (Foto: Mike Egerton/dpa)

Zwei Deutsche befördern Huddersfield Town nach 45 Jahren Absenz zurück in die Premier League: Trainer David Wagner und Verteidiger Christopher Schindler.

Von Sven Haist, London

In der Ehrenloge konnte Dean Hoyle nicht mehr hinsehen und auch nicht mehr hinhören. Der Besitzer des englischen Fußballklubs Huddersfield Town presste sein Gesicht auf das Tribünengeländer, er hielt sich die Ohren zu. Der wohl entscheidende Elfmeter im Playoff-Finale um den Premier-League-Aufstieg gegen Reading stand bevor, Hoyle ertrug die Anspannung nicht mehr.

Auf dem Spielfeld legte sich Christopher Schindler den Ball zurecht. Schindler kommt aus dem Land, das auf der Insel den Ruf besitzt, Elfmeter immer zu verwandeln: Er ist in München geboren. Nur hatte der Abwehrspieler kaum Erfahrung, was Elfmeter angeht. Schon gar nicht unter der Beobachtung von 76 682 Zuschauern im Wembley, der englischen Fußball-Kathedrale. Und es war ja auch noch so, dass sich Huddersfields Saison mit 54 Pflichtspielen auf diesen einen Schuss reduzierte, im Guten wie im Schlechten. Ein Treffer würde dem Klub mindestens 200 Millionen Euro bringen - und dem Team ein Rendezvous mit einigen der besten Spielern der Welt.

Besitzer Hoyle sieht den Klub nicht als finanzielles, sondern als emotionales Investment

Schindler nahm also Anlauf, ein paar Meter, die Augen auf den Ball fixiert. Er schoss in die linke untere Ecke, Readings Torwart ahnte das, sprang in Richtung des Balls, doch den Schuss konnte er nicht abwehren. Huddersfield hatte gewonnen, 4:3 (0:0, 0:0) im Elfmeterschießen. Und Schindler war jetzt der Mann, der wohl einen netten Eintrag in der Klub-Historie bekommt: als der Mann, der Huddersfield in die Premier League geschossen hatte. "Dieses Gefühl ist unglaublich. Ich kann es nicht beschreiben", sagte er. Mit seinem Heimatklub TSV 1860 München ist ihm ja der Aufstieg in die Bundesliga verwehrt geblieben. Nun werde jedes Spiel in der Premier League ein Highlight, versicherte er.

Nach 45 Jahren Absenz kehrt der dreimalige englische Meister Huddersfield Town zurück in die erste Liga. Der sportliche Erfolg gibt der rauen Textilindustriestadt in der Nähe von Leeds neuen Glanz. Am Dienstagabend dürften die meisten der 200 000 Einwohner ihre Idole mit offenen Armen empfangen, wenn Mannschaft und Fans bei einem Straßenumzug feiern.

Und was machte Hoyle, der Klubchef, der nicht mehr zusehen konnte? Er ließ sich unmittelbar nach dem Triumph auf den Betonboden des Stadions fallen. Wenige Kilometer von Huddersfield aufgewachsen, sieht Hoyle, 50, den Klub nicht als finanzielles, sondern emotionales Investment. Tränen der Rührung liefen ihm übers Gesicht, die Familie half ihm wieder auf. "Ein Traum ist in Erfüllung gegangen, der beste Moment meines Lebens", sagte er.

Die Wucht des Ereignisses riss jeden mit bei Huddersfield, außer David Wagner, geboren in Frankfurt, einst Nachwuchstrainer in Hoffenheim und Dortmund, seit 2015 Chefcoach in Huddersfield. Ganz in Schwarz gekleidet wendete er sich am Seitenrand ab. Er hätte aufs Spielfeld rennen können wie alle anderen auch; stattdessen genoss er den größten Erfolg seiner Trainerkarriere in sich gekehrt. Bei der Pokalübergabe für den Championship-Playoff-Sieger, den die Teams auf den Tabellenrängen drei bis sechs ermitteln (Huddersfield wurde Fünfter), war es dann vorbei mit Wagners Zurückhaltung. Die Trophäe bekam ein Küsschen, und die Fans sahen ein Tänzchen. "Was wir geschafft haben, ist eine unglaubliche Geschichte - ein Märchen", sagt Wagner. Den Spielern habe er vor der Partie gesagt, dass sie Legenden werden können: "Jetzt sind sie Legenden!"

Bei Wagners Verpflichtung im November 2015 äußerte Hoyle die Hoffnung, den chronisch abstiegsgefährdeten Klub wegzuführen von den unteren Rängen und ihm eine Identität zu geben. Dafür musste Wagner, 45, zunächst Vorbehalte überwinden. Im Gegensatz zu seinem Kumpel Jürgen Klopp reiste er nicht mit dem Renommee eines Meistertrainers nach England, sondern als Amateurcoach von Borussia Dortmund. Wagner lässt ähnlich Fußball spielen wie Klopp, er hat auch die Fähigkeit, ein Team durch seine positive Ausstrahlung für ein Ziel zu begeistern.

Der gewaltige Leistungssprung nach Rang 19 in der Vorsaison hat seinen Ursprung in einer klugen Transferstrategie. Für vergleichsweise wenig Geld, etwa fünf Millionen Euro, deckte sich Huddersfield mit neuen Spielern ein, fünf davon aus Deutschland. Teambildende Maßnahmen förderten den Zusammenhalt, vor dem Duell mit Reading etwa ging es für fünf Tage in ein Trainingslager nach Portugal. Nicht ungelegen kam Wagner zudem die teils konservative Herangehensweise der Konkurrenz, die den Neuerungen im modernen Fußball wenig aufgeschlossen gegenübersteht. So konnte sich Wagner zu einem Vordenker der Liga entwickeln.

Die erfolgreiche Pionierarbeit in Huddersfield dürfte andere englische Klubs animiren, sich vermehrt auf dem deutschen Spieler- und Trainermarkt umzusehen (jüngstes Beispiel: Daniel Farke/Norwich). Eine Ahnung, wohin das führen könnte, gibt es in der nächsten Premier-League-Saison: Zweimal werden die Klubs Huddersfield und Liverpool - beide Städte trennen etwa 100 Kilometer - aufeinandertreffen, und mit ihnen die Freunde Jürgen Klopp und David Wagner.

© SZ vom 31.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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