Fußball-Europameisterschaft:Preisverleihung in 2962 Meter Höhe

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Auf der Zugspitze lüftet Bundestrainer Joachim Löw sein Geheimnis: Wer fährt mit zur Fußball-Europameisterschaft?

Philipp Selldorf

Sicher, Joachim Löw könnte die Namen auf einen Zettel schreiben und an die Nachrichtenagenturen faxen, die dann das Land über seine Auswahl der Spieler für den EM-Kader informieren. Aber wie langweilig wäre das, wie profan. Stattdessen wird die Bekanntgabe zelebriert wie eine Preisverleihung, auf Deutschlands höchstem Berg (2962m), der Zugspitze. Den Schauplatz hat Oliver Bierhoff ausgewählt, weil er eine Art deutsch-österreichisch-schweizerisches Dreiländereck markiert. Der DFB führt den Akt als nationales Ereignis auf, was nicht abwegig ist - die Kadernominierung für eine Welt- oder Europameisterschaft bildet traditionell den Mittelpunkt des Tagesgeschehens.

Bundestrainer Joachim Löw (links) in historischer Bergsteiger-Kleidung während der Dreharbeiten zu einem Werbespot. (Foto: Foto: dpa)

Zwar kommen keine Ehrengäste von gesellschaftlichem Rang, und niemand musiziert oder führt Kunststücke auf. Auf dem Podium der Panorama-Lounge sitzen bloß die üblichen Herren, die den Betrieb der Nationalmannschaft verantworten. Aber ihnen ist die Aufmerksamkeit der deutschen Fußball-Gemeinde und eine Spitzenquote gewiss. Sieben Fernsehsender übertragen ab 13.15 Uhr den Auftritt des Bundestrainers, seiner Assistenten Hans-Dieter Flick und Andreas Köpke sowie des Teammanagers Bierhoff.

Mönchskopf, Speck und Apfelstrudel

Seit Tagen dirigiert der zuständige DFB-Pressemann Stephan Brause den Materialtransport über die Zugspitz-Seilbahn. Inklusive Technikern sind 200 Medienvertreter akkreditiert, die nach präzisem Plan auf den schneebedeckten Gipfel befördert werden. Reporter reisen aus Polen und Frankreich, aus Österreich und der Schweiz an. Die örtliche Tourismusgesellschaft lässt gebackenen Mönchskopf reichen (ein Käse), Tiroler Speck und Apfelstrudel. Wie die Show aussieht, wird nicht verraten, aber es bleibt nicht dabei, dass Löw von einem Zettel die Namen verliest.

Als Löw vor zwei Jahren noch an der Seite Jürgen Klinsmanns das Nationalteam trainierte, wurde die Prozedur in Berlin vollzogen, der Hauptstadtsymbolik wegen. Damals hat man die Gewinner in Kurzfilmen vorgestellt, mit David Odonkor als letztem Preisträger. Dessen Nominierung war als Überraschung gedacht und deshalb ein streng gehütetes Geheimnis, erst am Morgen des Vorstellungstages ging Order an die DFB-Mitarbeiter, Bildmaterial von Odonkor zu beschaffen.

Nun hat der Verband wieder Leute zu den Klubs geschickt, um die in Frage kommenden Fußballer zu filmen. Einige auf die Berufung hoffende Spieler, etwa der Schalker Jermaine Jones, müssen sich fragen, warum sie nicht für Aufnahmen herangezogen wurden. Aber vielleicht haben ja Löw und sein Stab, zu dem auch der Chefberater Urs Siegenthaler gehört, bei ihrer Telefonkonferenz am Mittwoch doch noch einen spontanen Beschluss gefasst. Drei Tage hatten die Betreffenden vergangene Woche in Düsseldorf über den Kader beraten, das zunächst angekündigte Klausurtreffen über Pfingsten hat man sich gespart.

Das Geheimnis um die Auserwählten

Ob Löw jemanden nach Sevilla geschickt hat, um frische Bilder von Odonkor zu machen, ist nicht bekannt. Aber nachdem der schnelle Flügelmann eine lange Verletzungsperiode überstanden hat und bei Real Betis einige Einsätze absolvieren durfte, ist er wieder einer der Spieler, die auf den hinteren Startplätzen ins Team gelangen könnten. Zumal Odonkor quasi Löws Entdeckung ist, er hatte 2006 dafür plädiert, das Experiment mit dem Dortmunder zu wagen. Zur Spätlese dürfte auch der Bremer Tim Borowski gehören, der noch im März beim Länderspiel in der Schweiz aus gutem Grund fernbleiben musste. Mittlerweile ist aber Bernd Schneiders Platz frei geworden, und Borowski glückte ein überzeugender Endspurt in der Liga.

Wie damals unter Klinsmanns strenger Aufsicht haben die Beteiligten auch diesmal Diskretion gewahrt, über die Kandidatenwahl ist nichts nach außen gedrungen. Allenfalls Andeutungen hat Löw gemacht, einige Spieler mögen deshalb zuletzt schlecht geschlafen haben: Timo Hildebrand jedenfalls hatte zwischenzeitlich die akute Sorge, er könne seinen Platz an Leverkusens Rene Adler verlieren. Eine Tendenz dazu gibt es jedoch nicht, eher wahrscheinlich ist, dass Löw den drei erprobten Schlussleuten vertraut. Unruhe wegen des üblicherweise nicht maßgeblichen dritten Torwarts zu provozieren, dürfte nicht im Interesse des Bundestrainers liegen.

Bis das Geheimnis um die Auserwählten gelüftet wird, bleibt das zentrale Debattenthema, ob Löw womöglich mehr als die zum Turnier zugelassenen 23 Spieler ins Trainingslager nach Mallorca mitnimmt. Vom 19. Mai an - dem Tag der Abreise auf die Insel - bis zum amtlichen Nominierungsschluss am 28. Mai bliebe ihm dann noch Zeit zur Entscheidung. Aber ob dieses raue Verfahren dem Betriebsklima dienen würde? Die sanfte Zwischenlösung könnte darin bestehen, dass sich einige Spieler daheim als stille Reserve bereithalten.

© SZ vom 16.05.2008/mb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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