Mainz ist gerettet:Explosion mit Verzögerung

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Mainz 05 gewinnt ein irres hessisches Derby mit 4:2 nach 0:2-Rückstand - und sichert den Klassenverbleib. Die Fans feiern das ausgelassener als den Einzug in den Europapokal vor einem Jahr.

Von Johannes Aumüller, Mainz

Als alles geschafft ist, als die Spieler den großen Freudentanz aufführen, die Fans den Rasen bevölkern und alle zusammen den vorzeitigen Mainzer Klassenverbleib feiern, sitzt Trainer Martin Schmidt unten in den Katakomben und sagt: "Es ist so seltsam, dass du ein absolut geiles Spiel machst, und am Schluss redest du vordergründig nicht über das Spiel, sondern über die Wartezeit."

Die Wartezeit, die ist eine so fiese wie kuriose Sache an diesem frühen Abend, und sie beginnt ziemlich genau mit dem Schlusspfiff. Da haben die Mainzer im Derby gegen Frankfurt gerade so eine famose Partie hingelegt; da haben sie in der letzten halben Stunde aus einem 0:2 ein 4:2 gemacht; und da können sie mit einem Blick auf die Ergebnistafel leicht hochrechnen, dass der Klassenerhalt vorzeitig gepackt sein müsste. Doch das Signal der sportlichen Leitung ist eindeutig: Ruhig bleiben, ganz ruhig, es ist noch nicht geschafft. Denn das Spiel des Konkurrenten Wolfsburg gegen Gladbach ist wegen eines Gewitters unterbrochen worden, und so ist noch unklar, was der eigene Sieg wert ist.

Die meiste Zeit stehen die Mainzer Spieler daher nach dem Spiel unschlüssig auf dem Platz herum. Irgendwann versammeln sie sich, um sich auf dem großen Videowürfel in der Stadionecke noch einmal die vier eigenen Tore anzusehen. Sie können den nicht eingesetzten Frankfurtern dabei zuschauen, wie die ihre Sprints ziehen müssen. Einige Fans sind schon über den Zaun geklettert, Niko Bungert verteilt an diese ein paar Flaschen Wasser. "Das Warten war brutal", sagte Trainer Schmidt hinterher. "Wenn du so ein Spiel machst, möchtest du eigentlich explodieren, aber das ging nicht. Ein Tor für Wolfsburg wäre wie ein Kopfschuss für uns gewesen."

Kult-Stadionsprecher Hafner gibt die Ergebnisse durch

Irgendwann kommt immerhin die Ansage, dass es in Wolfsburg jetzt weitergeht. Im Hintergrund läuft in Dauerschleife die Vereinshymne, ab und zu meldet sich der Stadionsprecher Klaus Hafner zu Wort, der ist hier Kult, war aber zuletzt wegen gesundheitlicher Probleme nicht im Einsatz, jetzt ist er zu diesem Spiel wieder ans Mikrofon zurückgekehrt, und dann gleich so eine Geschichte. Ein Dank an die Fans, ein Dank an die Spieler für den tollen Tag. Minute 80 in Wolfsburg, teilt Hafner mit, Minute 84, 86, 90, noch drei Minuten Nachspielzeit, noch 30 Sekunden Nachspielzeit. Irgendjemand jubelt, "Spiel läuft noch, Spiel läuft noch". Manch alter Mainzer denkt an vergleichbare Szenen, 2003 in Braunschweig, da schien alles klar zu sein mit dem Erstliga-Aufstieg, bis Frankfurt gegen Reutlingen noch das 6:3 machte.

Doch Braunschweig wiederholt sich nicht. Nach einer mehr als halbstündigen Wartezeit kommt um 17.51 Uhr das Ergebnis aus Wolfsburg. 1:1, das reicht. Das heißt: Streng mathematisch reicht es noch nicht. Aber dafür müsste der Hamburger SV am letzten Spieltag gegen Wolfsburg gewinnen und Mainz sein Spiel in Köln mit mindestens zehn Toren Differenz mehr verlieren als Wolfsburg. Wer glaubt denn an so was? Und so begannen die Spieler und Fans ihre Feier, "das wird heute ausgelassener als vor einem Jahr", sagt Schmidt - damals war den Mainzern überraschend der Einzug in die Europa League gelungen.

Mainz krönt ein sehenswertes Derby

Es wäre allerdings auch gemein gewesen, hätte dieser Nachmittag nicht zur Klassenverbleibsfeier gereicht. Denn es war wirklich ein sehenswertes Spiel, das die Mainzer boten. Von Beginn an waren sie aktiver und druckvoller, ständig zog es sie Richtung Frankfurter Tor, nach 30 Minuten stand mal ein Eckenverhältnis von 5:0 auf der Anzeigetafel. Doch zugleich offenbarten sie so manches Mal Schwächen im Deckungszentrum, und im dritten löchrigen Moment nahm Branimir Hrgota eine Flanke mit der Brust an und schob zum 1:0 für Frankfurt ein (42.). Als nach der Pause Haris Seferovic aus einem Kuddelmuddel heraus auf 2:0 erhöhte (52.), "dachte ich nur noch: Oh mein Gott", berichtete Schmidt. Doch dann folgten die torreichsten 30 Minuten der diesjährigen Mainzer Bundesliga-Saison.

Erst schoss Angreifer Jhon Cordoba nach einem langen Ball und aus abseitsverdächtiger Position zum 1:2 ein (60.). Zwei Minuten später kam eine Flanke, die Stefan Bell zum 2:2 ins Netz köpfelte, und wiederum eine Viertelstunde später flog die nächste Flanke in den Strafraum, diesmal war der eingewechselte Yoshinori Muto zur Stelle - 3:2. Und kurz vor Schluss verwandelte Pablo di Blasis einen Elfmeter (Foul von Michael Hector an Muto) zum Endstand.

Doch dann begann erst einmal das lange Warten auf Wolfsburg. Und es dauerte noch eine halbe Stunde, bis die Mainzer tatsächlich jubeln durften.

© SZ vom 14.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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