Frauenhandball:Sorgenfalten beim Spitzenspiel

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Locker vorbeigezogen: Julia Maidhof (rechts) von der SG BBM Bietigheim setzt sich gegen Dortmunds Paulina Uscinowicz durch. (Foto: Marco Wolf/Imago)

Der deutsche Frauenhandball hat mit einigen grundsätzlichen Problemen zu kämpfen: Das Leistungsgefälle in der Liga ist zu groß, die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit zu gering - und die Aussichten für die Heim-WM 2025 überschaubar.

Von Ulrich Hartmann , Stuttgart/München

"Meine Güte!", zürnte der Trainer André Fuhr mit rotem Gesicht während einer Auszeit im Kreise seiner gepeinigten Handballerinnen. "Meine Güte!" 22 Monate lang hatte seine Mannschaft kein Ligaspiel mehr verloren, doch nach 39 Siegen in Serie ereilte den Meister Borussia Dortmund im Spitzenspiel der Frauen-Bundesliga nun in Stuttgart eine 22:33-Klatsche, beim Gastgeber SG BBM Bietigheim. "SG Bääm", nennt dieser sich gerne selbst, und gemäß dieser triumphalen Lautmalerei hat er die Dortmunderinnen fürs Erste mit einem Knalleffekt entzaubert.

Obwohl noch nicht mal die Hinrunde vorbei ist, deutet alles daraufhin, dass die Bietigheimerinnen nach 2019 wieder Meister werden. Ihr Konto in der Liga steht jetzt bei 20:0 Punkten, und wenn sie sich geschickt anstellen, kann die Mannschaft von Trainer Markus Gaugisch auch die European League sowie den DHB-Pokal gewinnen, das Triple also. Der Gegner im Pokal-Viertelfinale am 29. Januar ist übrigens schon wieder: Borussia Dortmund.

Dessen Trainer hatte sich nach der Niederlage im Spitzentreffen schnell beruhigt und dann gewitzelt, er werde gewiss nicht zurücktreten. Schließlich hat Fuhr seinen Vertrag gerade erst bis 2025 verlängert - nach zwei bemerkenswerten Jahren. In der vorvergangenen Spielzeit, die coronabedingt abgebrochen worden war, wurde die Mannschaft trotz Tabellenführung nicht zum Titelinhaber ernannt. Das hat die Spielerinnen furchtbar gewurmt. Ein Jahr später therapierten sie ihren Frust, indem sie die Meistertrophäe so überlegen auf ihre Seite zogen wie noch keine Auswahl im deutschen Frauen-Handball: Mit 60:0 Punkten sicherten sie sich den Titel.

Doch mit dem Umzug der niederländischen Nationalspielerinnen Kelly Dulfer und Inger Smits von Dortmund nach Bietigheim im Sommer wechselte offenbar auch der künftige Meistertitel vom Westfälischen ins Schwäbische. Die Rückraumspielerinnen hatten Dortmund vergangene Saison cool zum Titel geführt, obwohl sie den Trainer Fuhr latent getriezt haben sollen, nachdem dieser im Herbst 2019 Inger Smits' Vater Gino als Trainer abgelöst hatte. So erzählt es zumindest der BVB-Manager Andreas Heiermann.

Im Schnitt verfolgen rund 500 Zuschauer die Spiele des Tabellenführers

Jetzt sind die beiden Niederländerinnen die Fixsterne in Bietigheim - und dort auch eine Herausforderung für die deutschen Nationalspielerinnen Julia Maidhof, Antje Lauenroth und Luisa Schulze. Von ihnen sah Bundestrainer Henk Groener von seinem Tribünenplatz beim Spitzenspiel recht wenig, weil seine Spielerinnen die Partie zunächst nur von der Bank aus anschauen durften. Später steuerte Maidhof immerhin fünf Treffer bei, Lauenroth und Schulze je einen.

Bietigheim könnte wohl auch mit zwei Mannschaften in der Bundesliga spielen und käme mit beiden unter die besten Fünf. In Dortmund spielen in Alina Grijseels, Amelie Berger und Mia Zschocke zwar auch drei deutsche Nationalkräfte, aber die Enge des BVB-Kaders war im Spitzenspiel an der zunehmenden Ermüdung abzulesen. "Bietigheim hat eine unfassbare Breite und kann durchwechseln - wir nicht", sagte Grijseels. Ihr Vertrag läuft im Sommer aus. In Dortmund müssen sie aufpassen, dass ihnen die derzeit beste deutsche Spielerin nicht auch noch verloren geht.

Nicht gerade förderlich war der deutliche Ausgang des Spitzenspiels auch insofern, als dass die 14 Vereine der Bundesliga ohnehin mit einem unvorteilhaften Leistungsgefälle kämpfen. Bietigheim gewann seine bislang zehn Saisonspiele im Schnitt mit zwölf Toren Differenz. Die qualitative Unausgewogenheit der Liga ist eines von vielen Problemen beim Versuch der Verantwortlichen, den Frauenhandball öffentlich stärker ins Licht zu rücken. "Wir müssen sichtbarer werden", sagte die Bietigheimerin Kim Naidzinavicius, die aus der Nationalmannschaft zurückgetreten ist. Dabei half nun auch nur bedingt, dass das Spitzenspiel live bei Eurosport übertragen wurde. Bietigheim ist mit im Schnitt 501 Zuschauern bei Heimspielen in der Zuschauertabelle nur Sechster, Dortmund mit 295 Zuschauern gar nur Zwölfter.

Effektiver ließe sich die Aufmerksamkeit wohl mithilfe der Nationalmannschaft mehren, doch dessen Weg auf den siebten Platz bei der Weltmeisterschaft im vergangenen Dezember wurde hierzulande nur im Internet gezeigt. Eine bedeutsame Entscheidung für den Frauenhandball steht im Februar an, wenn das Präsidium des Deutschen Handball-Bunds darüber entscheidet, ob man mit dem Bundestrainer Groener über dessen im April endenden Vertrag hinaus weitermacht. So oder so deutet momentan nicht so ganz viel darauf hin, dass Deutschland bereits bei der Heim-WM 2025 um die Medaillen mitspielen kann. Der Weg zu mehr Sichtbarkeit dürfte ein längerer werden.

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