Frauen:Mutig wie eine Klippenspringerin

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Coco Vandeweghe stammt aus einer Familie ehrgeiziger Wettkämpfer. Im Halbfinale trifft sie auf Venus Williams.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Die Vandeweghes sind nicht gerade eine Durchschnittsfamilie. Coco Vandeweghe hat am Dienstag erzählt, wie das bei ihnen so abläuft. Im Pool trat sie einst gegen ihre Mutter an. Das war ein Fehler: Tauna, als Schwimmerin 1976 bei Olympia in Montreal dabei, entkam ihr locker. Beim Basketball zeigt ihr Kiki die Grenzen auf. Der Onkel war NBA-Profi bei den New York Knicks und später als Manager daran beteiligt, Dirk Nowitzki zu den Dallas Mavericks zu lotsen. Bruder Beau spielt professionell Volleyball, da ist er der Beste. Coco selbst wäre beinahe Ringerin geworden. Auf die Matte mir ihr sollte man nicht. Die Oma übrigens war Miss America. Wettbewerb liegt dieser Familie im Blut.

Inzwischen ist Coco aber "schlau genug", wie sie sagt, "sich nicht mehr mit den anderen anzulegen". Es spielt ja auch niemand mehr ernsthaft Tennis gegen sie. Coco Vandeweghe aus Rancho Sante Fe in Kalifornien ist das Gatsby-Girl des Clans, gerne eine Spur größenwahnsinnig, voller Energie, mutig wie ein Klippenspringer. Jetzt steht sie erstmals in ihrer Karriere im Halbfinale eines Grand-Slam-Turniers. Sie wird sich vom 35. Weltranglistenplatz mindestens auf den 20. verbessern. Einerseits, gibt sie zu, sei ihr Erfolg "crazy", verrückt, weil ausgerechnet Venus Williams ihre Gegnerin am Donnerstag bei den Australian Open sein wird. Der lief sie als Kind für ein Autogramm hinter, vergeblich damals. Aber die 25-Jährige stellte auch klar: "Noch bin ich nicht zufrieden."

Volle Kraft voraus: die angriffslustige Amerikanerin Coco Vandeweghe auf ihrem Weg ins Halbfinale der Australian Open. (Foto: Dita Alangkara/AP)

Dass sie die etwas andere Sportlerin ist, die auch verbal jederzeit so unberechenbar und derb agiert wie als angriffslustige Spielerin, erleben gerade die Zuschauer in Melbourne. Im Achtelfinale hatte Vandeweghe die Titelverteidigerin Angelique Kerber 6:2, 6:3 überrollt und anschließend gemeint, sie habe sich "beschissen gefühlt" auf dem Center Court. Am Dienstag beherrschte sie die spanische Mitfavoritin Garbiñe Muguruza (6:4, 6:0), danach sagte sie: "Ich habe meinen Coach vorher gebeten, ob er Toilettenpapier hat." So nervös sei sie gewesen. Da lachte das Publikum in der Rod Laver Arena erneut verschämt.

Mit ihrer forschen Art ist sie eine Grenzgängerin. Für ihre aufreizend coole Geste, nachdem sie Kerber bezwungen hatte und fast nicht jubelte, sondern nur entschuldigend die Arme hob, erntete sie ein paar böse Kommentare. Man kann sie aber auch erfrischend finden. Weil bei ihr immer was passiert und sie sich jedem Duell stellt. "Ich ziehe eigentlich nie zurück", versichert Vandeweghe. Diese Aussage belegen schon die Namen der in Melbourne von ihr Besiegten: Roberta Vinci stand 2015 im US-Open-Endspiel, Eugenie Bouchard (die der Amerikanerin immerhin einen Satz abnahm) 2014 im Wimbledon-Finale. Kerber ist die Weltranglisten-Erste, Muguruza French-Open-Champion 2016. Die Spanierin sagte später, trotz der Niederlage bedaure sie "null" - "wenn jemand die Kraft hat zu zerstören, diese Art von Schlägen zu spielen, ist es schwierig, ehrlich".

Vandeweghe beherrscht tatsächlich alle Varianten ihres Sports. Allerdings sind ihre Leistungen so facettenreich wie ihre Persönlichkeit. An guten Tagen wirkt sie wie die neue Nummer eins. An schlechten kriecht sie vom Platz, weil sie mehr "unforced errors", unerzwungene Fehler, in der Statistik stehen hat, als überhaupt Punkte ausgespielt wurden. Sie kann die Bälle streuen wie ein Bäcker den Puderzucker. Deshalb ist für sie das Wichtigste, "dass ich mich nur auf mein Spiel fokussiere". Das ist schon Stress genug. Ihr Potenzial ist aber dank ihres natürlichen Gefühls für den Ball riesig und ein wesentlicher Grund dafür, warum Craig Kardon sie als Trainer übernahm. Kardon hat schon mit Größen wie Martina Navratilova, Mary Pierce und Lindsey Davenport gearbeitet.

Die imposante Rod Laver Arena wird am Donnerstag zum dritten Mal ihre Bühne sein, ein Autogramm will sie dann nicht mehr von ihrer Gegnerin. Das hat sie längst. Das hatte sich Coco Vandeweghe besorgt, als sie das erste Mal mit Venus Williams, der siebenmaligen Grand-Slam-Siegerin, gemeinsam im Fed-Cup-Team der USA stand. Diesmal hat sie nur ihren eigenen Erfolg im Sinn: "Wenn ich einmal zu rollen anfange, ist es wie bei einem Güterzug", sprach sie lächelnd: "Man kann ihn nicht mehr stoppen." Zweifellos: eine echte Vandeweghe.

© SZ vom 25.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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