Frauen-Handball:Wie die Großmutter und die Mutter

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Die 18 Jahre alte Emily Bölk setzt bei der EM in Schweden eine Familien-Tradition fort. Nur eine Medaille fehlt ihr noch.

Von Ulrich Hartmann, Göteborg/München

Wenn sich die Missgeschicke quer durchs ganze Kollektiv ziehen, braucht nachher niemand die Schuld bei sich allein zu suchen - das ist das Tröstliche am 20:20-Unentschieden der deutschen Handballerinnen gegen Spanien. An keinem einzelnen der vielen Fehlwürfe in der Schlussphase kann man festmachen, dass sie das Halbfinale bei der Europameisterschaft in Schweden vermutlich verpassen werden: nicht an einem schlimmen Fehlpass und einer vergebenen Großchance von Anne Hubinger, nicht an zwei versäumten Möglichkeiten von Julia Behnke, einem verbockten freien Torwurf von Kerstin Wohlbold oder dem verworfenen Siebenmeter von Svenja Huber in der Schlussminute. In der Nacht zum Dienstag haben die deutschen Spielerinnen wohl alle schlecht geschlafen. Für Rückraumspielerin Isabell Klein war die Nacht wegen eines Nasenbeinbruchs am schlimmsten. Sie kann nicht mehr mitmachen im Turnier.

Mit einem Sieg gegen Spanien hätte den deutschen Frauen im letzten Zwischenrundenspiel an diesem Mittwoch gegen den Gastgeber Schweden (18.30 Uhr/Sport1) ein weiterer Erfolg genügt, um als Gruppenerster ins Halbfinale einzuziehen. So aber müssen sie gegen Schweden nicht nur gewinnen, sondern zugleich auf einen Ausrutscher von Frankreich oder den Niederlanden hoffen - allerdings werden beide ihnen diesen Gefallen kaum tun. Ein verpasster Treffer gegen Spanien könnte also am Ende fehlen zur großen Gelegenheit, erstmals seit 22 Jahren wieder eine EM-Medaille zu gewinnen. Besondere Freude würde dieses Edelmetall bei der Familie Bölk in der niedersächsischen Stadt Buxtehude auslösen: Nachdem Andrea Bölk bei der Heim-EM 1994 zur Silbermedaillen-Mannschaft gehört hatte, wäre die nächste EM-Medaille seitdem etwas ganz Besonderes für ihre 18 Jahre alte Tochter Emily. "Wir haben zu viele Chancen vergeben", sagte die jüngste Spielerin im deutschen Team nach dem Unentschieden gegen Spanien, "wir hätten gewinnen können."

Die Enttäuschung bei der Buxtehuder Bundesligaspielerin wird sich allerdings in Grenzen halten, selbst wenn die Mannschaft am Mittwochabend mit leeren Händen dastünde. Denn allein dass sie mit ihren 18 Jahren für eine EM ins Nationalteam berufen wurde und in den bisherigen fünf Spielen insgesamt 110 Minuten Spielzeit im linken Rückraum bekommen hat, ist für sie ein Erfolg. Als sie im Sommer erfuhr, dass sie nicht für die Juniorinnen-WM in Moskau nominiert ist, verstand sie die Welt nicht mehr; aber als klar wurde, dass sie stattdessen fürs A-Team vorgesehen ist, ging viel früher als erwartet ein Kindheitstraum in Erfüllung.

Handball ist für Emily Bölk nämlich nicht nur deshalb wichtigster Lebensinhalt, weil sie schon als Kind viele Stunden in der Halle verbrachte hat - dieser Sport steckt in ihrer Familie in den Genen. Nicht nur ihre Mutter Andrea, geborene Stein, spielte wie Emily im linken Rückraum lange für den Buxtehuder SV, machte 201 Länderspiele, wurde EM-Zweite 1994 und 1993 sogar Weltmeisterin - auch ihr Vater Matthias spielte Bundesliga-Handball für den VfL Fredenbeck, und die Großmutter mütterlicherseits, Inge Stein, geborene Jeske, spielte in der Nationalmannschaft der DDR. Aus dem Rahmen fiel in dieser Familie nur der Großvater Klaus-Peter Stein: Er wurde Europameister mit den Fußball-Junioren der DDR.

Bundestrainer Biegler sagt, er sei "definitiv zufrieden, egal, was noch kommt"

Emily Bölk hat mithin nicht nur Handball im Blut, sondern auch den Erfolg. Zehn Tore und neun Assists hat sie in den bisher fünf EM-Spielen in Schweden zu den drei Siegen, dem Unentschieden gegen Spanien und der Niederlage gegen Frankreich beigetragen. Ihre Eltern haben die Vorrundenspiele am Ort gesehen. "Sie waren früher schon bei allen Juniorenturnieren dabei", sagt sie, "sie feuern mich an oder bauen mich auf, wenn es mal nicht so läuft - sie wissen, wie ein Sportler tickt und dass ich manchmal ganz schön kritisch mit mir selbst bin." Dieser Anspruch hat schon zu frühem Lorbeer geführt, etwa, als sie mit 16 Jahren bei der U18-Weltmeisterschaft in Mazedonien als beste Spielerin des Turniers geehrt wurde - und mit dem deutschen Team Silber gewann.

Der neue Bundestrainer Michael Biegler, dessen Arbeit entscheidend zum jüngsten Qualitätssprung von Emily Bölk wie auch der ganzen Nationalmannschaft geführt hat, sieht seine Spielerinnen vorsorglich noch nicht auf Medaillenniveau. "Wir sind leistungsmäßig bei Platz fünf oder sechs ganz gut aufgehoben", sagt er. Insofern wäre er nicht unzufrieden, wenn man mit einem Unentschieden gegen Schweden zumindest das Spiel um Platz fünf erreichte: "Ich bin definitiv zufrieden, egal, was noch kommt."

© SZ vom 14.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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