Frauen-Handball:59 Wochen im Paradies

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Ein herausragender Moment für Bietigheim und das deutsche Frauenhandball: Inger Smits (links), Torhüterin Gabriela Moreschi sowie Kelly Dulfer (rechts) posieren in Viborg mit dem Pokal der European League, den sie in Dänemark gewonnen haben. (Foto: Marco Wolf/Imago)

Den Spielerinnen der SG BBM Bietigheim gelingt es, eine über drei Jahrzehnte währende deutsche Flaute im Klub-Handball der Frauen zu beenden. Eine Lokalität zum Feiern des Europapokal-Triumphs zu finden, gestaltet sich schwieriger als der Sieg in Dänemark.

Von Ulrich Hartmann, Viborg/München

Die Handballerinnen der SG BBM Bietigheim gewinnen seit einem Jahr und sieben Wochen jedes Spiel. Am Ende der Saison werden sie wohl vier Titel eingeheimst haben. Am Sonntagabend in dem dänischen Städtchen Viborg wäre die derzeit erfolgreichste Mannschaft des deutschen Handballs allerdings beinahe daran gescheitert, eine Lokalität zum Feiern ihres ersten Europapokal-Triumphs zu finden. Nur eine einzige geeignete Kneipe hatte geöffnet. Aber wie es sich für Siegerinnentypen gehört, nutzten die Schwäbinnen die sich bietende Chance gnadenlos aus und besetzten die 'Bodega Sankt Hans' samt Staff und Fans bis zum frühen Morgen.

Die Bietigheimerinnen können sich an das Gefühl einer Niederlage kaum noch erinnern. Am 31. März 2021 verloren sie beim damals angehenden Meister Borussia Dortmund. Seither haben sie exakt 50 Pflichtspiele absolviert - und alle gewonnen, mit dem 50. Sieg als Höhepunkt.

Mit dem neunten ihrer 50 Seriensiege wurden sie ausgangs der vergangenen Saison noch Pokalsieger, mit dem zehnten gewannen sie zum Auftakt der neuen Saison gegen Dortmund den Supercup, mit dem 46. Sieg wurden sie vor zwei Wochen vorzeitig deutscher Meister und mit dem 50. Sieg, einem nie gefährdeten 31:20-Finalerfolg gegen den Gastgeber Viborg HK, holten sie am Sonntag den Titel in der European League, dem zweitwichtigsten Europapokal-Wettbewerb.

Neuer Hoffnungsträger: Markus Gaugisch ist auch Trainer des Frauennationalteams

Wenn sie am kommenden Samstag auch noch ihr 26. und finales Ligaspiel gegen die TuS Metzingen gewinnen sowie am letzten Mai-Wochenende beide Partien beim Pokal-Final-Four in Stuttgart, dann hätten sie mit ihrem 53. Sieg in Serie nach Supercup, Meisterschaft und European League als vierten Titel auch noch den Pokalsieg sicher.

Die letzte WM-Medaille für deutsche Handballfrauen ist 15 Jahre her. Der letzte Europapokaltitel einer deutschen Frauen-Klubmannschaft war 1992 dem SC Leipzig gelungen. Es folgte eine 30-jährige internationale Flaute. Bietigheims Triumph könnte also eine Zeitenwende markieren. "Das ist ein Impuls für den gesamten deutschen Frauenhandball", sagt Andreas Michelmann als Präsident des Deutschen Handball-Bunds (DHB) und freut sich, dass der für den Bietigheimer Erfolg zuständige Klubcoach seit einem Monat auch Trainer der Frauennationalmannschaft ist. Markus Gaugisch besetzt beide Ämter bis 2023 in Doppelfunktion. Danach will er sich aufs Nationalteam konzentrieren. Nach dem Bietigheimer Triumph sagte Gaugisch: "Für den Verein ist das ein Riesenerfolg, aber es ist auch ein Ausrufezeichen für den deutschen Frauenhandball und zeigt, dass auch in Deutschland etwas geht."

Der Verband versucht, mit einigen Änderungen die nationale Dominanz von Bietigheim zu brechen

Just am Tag des Bietigheimer Europapokalsiegs hat der DHB die Eckpunkte für einige Veränderungen im Frauenhandball veröffentlicht. So sollen ab 2024 nur noch zwölf statt 16 Mannschaften in der Bundesliga spielen, außerdem werden wieder Playoffs eingeführt; für die Hallen gelten dann Mindeststandards, und jeder Klub muss einen Mindestetat von 500.000 Euro ansetzen. Zweite Mannschaften von Bundesligisten dürfen dann sogar bis in die zweite Liga aufsteigen. "Von diesen Maßnahmen erhoffen wir uns eine zunehmende Wettbewerbsintensität in der Bundesliga", sagt der Liga-Vorsitzende Andreas Thiel.

So imponierend der europäische Titel für die Bietigheimerinnen nämlich auch sein mag, in der Bundesliga sind sie in dieser Saison derart dominant, dass ein bisschen mehr Wettbewerb nicht schaden könnte. Einziger ernstzunehmender Wettbewerber war Borussia Dortmund, das nach seinem Titel in der vergangenen Saison die beiden niederländischen Topspielerinnen Kelly Dulfer und Inger Smits an Bietigheim verlor - und mit ihnen den Titel.

Hart im Nehmen: Die Bietigheimerin Xenia Smits (Nr. 22) wurde als herausragende Spielerin des Final-Four-Turniers ausgezeichnet. (Foto: Marco Wolf/Imago)

Favorit auf diesen bleiben die Bietigheimerinnen auch in der nächsten Saison, denn sie verlieren in Luisa Schulze (Neckarsulm), Stine Jörgensen (Kopenhagen) und Lieke van der Linden (Leverkusen) nur drei Spielerinnen. Alle anderen bleiben dem Klub treu, dürften aber trotzdem Probleme bekommen, ein Quadrupel zu wiederholen. Als Meister startet Bietigheim dann nämlich in der Champions League, und dort den Titel zu gewinnen, ist selbst für Deutschlands mit Abstand beste Mannschaft unwahrscheinlich. Dazu sind die Topklubs aus Osteuropa und Skandinavien zu stark.

Immerhin: Das Champions-League-Final-Four findet alljährlich in Budapest statt. Dort fände man sogar Sonntagnachts noch genügend Kneipen.

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