Frauen-Endspiel:Willkommen im Klub

Lesezeit: 5 min

Angelique Kerber gehört von nun an zu den deutschen Tennisspielerinnen, die ein Grand-Slam-Finale erreichten. Es ist ein kleiner, elitärer Kreis.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Die neue deutsche Ausnahmesportlerin schaute fokussiert, als stünde sie auf dem Platz der Rod Laver Arena, wo sie gerade herrliche Momente erlebt hat. Die besten ihrer Karriere. Sie überlegte. Steffi Graf fiel ihr sofort ein, klar. Anke Huber auch. Sabine Lisicki lag nahe, ist ja ihre eigene Generation. "Ah, Sylvia Hanika", meinte Kerber dann. Der Name sagte ihr immerhin etwas. Helga Niessen? Die seit der Heirat Niessen-Masthoff heißt? Da gab Kerber das Ratespiel auf. Man darf ihr das nicht vorwerfen. Für 1970, als Niessen im Finale der French Open stand, hat Kerber eine gute Entschuldigung vorzuweisen. Sie wurde erst 1988 geboren.

Spätestens an diesem Wochenende wird Angelique Kerber all die Namen abspeichern, schließlich sind es Kolleginnen eines elitären Klubs. Um aufgenommen zu werden, muss man ein Grand-Slam-Endspiel erreicht haben - wie sie.

"Dass ich später mal sagen kann, vielleicht ja sogar irgendwann meinen Enkeln, dass ich im Finale war, das ist etwas ganz Besonderes" - diese Gedanken hatte Kerber bereits vor ihrem letzten Duell bei den Australian Open, in dem sie sich mit Serena Williams aus den USA messen durfte (Samstag, 9.30 Uhr/Eurosport), der 21-maligen Grand-Slam-Siegerin. Bei einem Triumph würde Kerber von Rang sechs auf Rang zwei der Weltrangliste klettern; bei einer Niederlage wird sie Vierte. In jedem Fall hat Kerber erreicht, dass Tennis in Deutschland wieder wahrgenommen wird. Halbfinals sind gut, wie das von Andrea Petkovic 2014 in Paris. Aber ein Endspiel eines Grand-Slams -das ist eine andere Dimension. Selbst bei einer Niederlage bleibt lebenslang ein Etikett - das der Finalistin. Ein historischer Überblick:

Wimbledon 2013: Sabine Lisicki - Marion Bartoli (Frankreich) 1:6, 4:6

Sabine Lisicki etwa wird - solange sie nicht doch noch ein Grand-Slam-Turnier gewinnt - für immer die Wimbledon-Finalistin sein. Oder Bum-Bum-Bine, wie sie damals getauft wurde. Was waren das für verrückte zwei Wochen. Lisicki schoss die favorisierten Samantha Stosur, Serena Williams, Agnieszka Radwanska vom Rasen. "Finaaaaale!"!, tönte der Boulevard - und klagte: Warum läuft Wimbledon nicht im Öffentlich-Rechtlichen? Wie bei Boris, wie bei Steffi? Ja, Lisickis Finale hatte eine Dimension. Tennisdeutschland war auf Entzug, sie war neuer Stoff.

Gegen Bartoli ging sie dann förmlich unter, weinte noch vor dem letzten Ball. Ihr war das letzte große Match entglitten. Auch das hatte eine Dimension. "Ich konnte nicht hinschauen", sagte sie, als die Französin sich feiern ließ, "es wäre zu schwer für mich gewesen." Zu gerne hätte man erlebt, was passiert wäre, hätte Lisicki gewonnen. Mit ihr, mit Deutschland. "Ein Sieg wäre das i-Tüpfelchen gewesen", sagte Michael Stich, der 1991 in Wimbledon das Finale gegen Becker gewann.

Stefanie Graf

Steffi Graf ist immer noch die Messlatte im globalen Frauen-Profitennis, jeder Vergleich mit ihr ist unfair (außer man heißt Serena Williams). 22 Grand Slams gewann Graf, in neun weiteren Finals stand sie. Darunter waren furiose Siege. Wie ihr erster 1987, als sie im Generationen-Duell bei den French Open Martina Navratilova 8:6 im dritten Satz niederslicte. In 34 Minuten wiederum kann man Brötchen holen - oder in Paris triumphieren. In dieser Zeit fertigte Graf 1988 die bedauernswerte Russin Natascha Zverewa 6:0, 6:0 ab.

Dass die heute 46-Jährige stets überlegen siegte und Becker der Schlachten-Beauftragte war, ist ein Bild, das sich gerne hält. Es stimmt nur nicht. 13 ihrer 22 Titel holte sie im dritten Satz. Graf war eine unfassbare Beißerin, die zig Krimis bot.

Australian Open 1996: Anke Huber - Monica Seles (USA) 4:6, 1:6

Anke Huber war die, die im Schatten von Steffi Graf stand, aber auch viele Erfolge feierte. Dazu zählte indes nicht ihr Milchschnitten-Werbespot. Sie bekam früh das Etikette "Wunderkind" aufgedrückt, hielt den überirdischen Erwartungen natürlich nicht stand und hatte trotzdem eine tolle Karriere. Am 28. Januar 1996 stand sie in Melbourne auf dem Center Court und durfte hören: "Sie wird noch einige Grand-Slam-Endspiele erreichen." Das sagte Monica Seles, die gegen Huber 6:4, 6:1 gewonnen hatte. Im Rückblick weiß man: Seles hatte sich geirrt. Huber hatte in ihrem einzigen Finale Chancen, sie war in Form, das hatte sie im Turnier gezeigt. Die starke Spanierin Conchita Martinez rang sie im Viertelfinale in drei Sätzen nieder. Gegen Seles gelang Huber ein Break, zum 3:2, sie schlug auf. 15 Minuten dauerte dieses eine Spiel - "es war wohl das längste Spiel, das ich je mitgemacht habe", sagte Seles, die etwas Übergewicht hatte und doch knallhart schlug. Sie war vom Typ her wie Bartoli, nur unerbittlicher als Spielerin.

"Ich war nahe dran", tröstete sich Huber, die in der Weltrangliste auf Platz fünf stieg. Sie habe gemerkt, "dass ich alle schlagen kann, Steffi und Monica ausgenommen", das sagte sie auch noch. Huber ist heute mit dem Fußball-Spielerberater Roger Wittmann verheiratet, hat zwei Kinder. Beim Porsche Grand Prix in Stuttgart wirkt sie als Sportliche Leiterin.

French Open 1981: Sylvia Hanika - Hana Mandlikova (ČSSR ) 2:6, 4:6

Die Münchnerin Sylvia Hanika hat ihren Platz in der deutschen Tennisgeschichte. Sie war die Vorbotin des deutschen Tennisbooms. Sie war die erste Deutsche in den Top Ten der WTA-Weltrangliste, die 1975 eingeführt wurde. Ihr größter Triumph gelang ihr bei der WTA Championship 1982 in New York, als sie im Finale nach einem 1:6, 1:3-Rückstand Navratilova bezwang (1:6, 6:3, 6:4). Die heute 56-Jährige stand ein Jahr zuvor bei einem Grand-Slam-Turnier im Finale. In Paris bezwang sie zwar Navratilova, aber im Endspiel unterlag sie Hana Mandlikova deutlich.

Hanika war 1983 Weltranglisten-Fünfte, acht Jahre lang schloss sie das Saisonende in den Top 20 ab. Trotzdem erhielt sie selten eine entsprechende Würdigung. Bezeichnend eine Einordnung der Wochenzeitung Die Zeit aus dem Jahr 1979: "Helga Masthoff, eineinhalb Jahrzehnte die dominierende Persönlichkeit im deutschen Damentennis, mit über 50 Meistertiteln dekoriert und erst in diesem Jahr durch Sylvia Hanika vom ersten Ranglistenplatz verdrängt, war stets und ganz ,Lady' auf dem Center Court. Ein größerer Kontrast lässt sich kaum denken: Im Vergleich mit ihr wirkt die stämmige Münchnerin wie eine Mittelstürmerin auf dem Platz. Zwei Welten des Damentennis."

French Open 1970: Helga Niessen - Margaret Court (Australien) 2:6, 4:6

Helga Niessen (Masthoff) aus Essen war die Steffi Graf der Sechziger- und Siebzigerjahre. Sie war die deutsche Tennis-Instanz. 121 nationale Titel holte sie, eine unfassbare Bilanz, immer noch. In der Welt zählte sie zu den zehn besten Spielerinnen. Sie gewann bei den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko City, als Tennis noch ein Demonstrations-Wettbewerb war, Gold in Einzel und Doppel (mit Edda Budding). Ihr Stil war elegant, sie platzierte die Bälle mit Cleverness. Ihre Größe half ihr zusätzlich, sie maß 1,83 Meter. 1974 besiegte sie im Finale der German Open in Hamburg Martina Navratilova.

1970 in Paris wurde Niessen an Nummer sieben gesetzt. Auf dem Weg ins Finale verlor sie nur einen Satz, beim 2:6, 8:6, 6:1 gegen die legendäre Amerikanerin Billie Jean King. Gegen Margaret Court, die mit 24 Grand-Slam-Siegen (von denen sie die meisten als Amateurin errang) bis heute unerreicht ist, war sie im Finale chancenlos. Court wurde "the arm" genannt, weil sie am Netz kaum passierbar war.

Die heute 74-jährige Helga Niessen-Masthoff hat sich später in Gran Canaria niedergelassen und erlebte 2007 ein schlimmen Moment. Ihr Hotel auf der Insel brannte zu einem Großteil ab. "Grundsätzlich ist das nicht mehr meine Welt", sagte sie einmal übers Tennisgeschäft. Das war keine Floskel. Sie hielt ihre Prinzipien. 1975 schlug sie 100 000 Dollar für die Teilnahme bei einer Showtennis-Runde aus. Sie wollte Amateurin bleiben.

© SZ vom 30.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: