Frauen-Abfahrt:Prinzipiell schon zufrieden

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Kira Weidle wird auf der schweren Weltcup-Strecke in Cortina Vierte in der Abfahrt. Beim bisher zweitgrößten Erfolg ihrer Karriere zeigt die 22-Jährige, dass sie mit den Allerbesten mithalten kann.

Von Johannes Knuth, Cortina d'Ampezzo

Kira Weidle nahm ein bisschen Anlauf, dann bahnte sie sich einen Weg durch die Menschenmenge auf dem Marktplatz von Cortina d'Ampezzo. Sie war also ganz gut in Fahrt, als sie endlich auf der Bühne bei den Moderatoren eintraf, beide hielten ihr die Hände hin zum Gruß, aber mit einem derart kräftigen Hallo hatten sie offenkundig nicht gerechnet. "Uh, very strong", sagte einer der Moderatoren ins Mikrofon, nachdem Weidle ihn abgeklatscht hatte. Dann schüttelte er ausdauernd seine Hand.

Veranstaltungen wie am Freitag in Cortina finden jeden Abend vor einem alpinen Skirennen statt, Startnummernauslosung heißt das etwas sperrig im Fachjargon. Die meisten Veranstalter im Weltcup hübschen diesen behördlichen Akt immerhin ein wenig auf: In Adelboden rauschten die Fahrer in den vergangenen Jahren an einem Seil befestigt über den Marktplatz hinweg, über die Köpfe der angeheiterten Menge. Cortina wiederum begrüßt die Skirennfahrerinnen jedes Jahr mit einem kleinen Volksfest, es gibt Glühwein, Eltern kommen mit ihren Kindern, die Pelzträgerinnen (in ihren sehr üppigen Gewändern) mit ihren (sehr schlanken) Hunden. Und die Fahrerinnen, meist die besten Zehn einer jeweiligen Disziplin, die werden ausgefragt, bewertet, bejubelt und beklatscht, und wer ausgefragt und beklatscht wird, der ist im alpinen Weltcup "auf jeden Fall in der erweiterten Weltspitze dabei", wie Weidle in Cortina feststellte. Für die 22-Jährige war es am Freitag die erste Auslosung überhaupt gewesen.

Weidle zeichnet nun ein Merkmal der erweiterten Elite aus: Wenn es drauf ankommt, wird sie stärker

Kira Weidle ist am Tag darauf Vierte in der Abfahrt geworden, es war das zweitbeste Ergebnis ihrer bisherigen Karriere. Sie war damit eine der wenigen Starterinnen, die mit den Allerbesten mithielten: Ramona Siebenhofer aus Österreich gewann nach ihrem ersten Weltcup-Sieg am Freitag auch am Samstag, sechs Hundertstelsekunden vor Landsfrau Nicole Schmidhofer und eine halbe Sekunde vor Abfahrtsweltmeisterin Ilka Stuhec aus Slowenien. Dann kam schon Weidle, eine Zehntelsekunde dahinter, sie ließ wieder einmal die meisten hinter sich - auch Lindsey Vonn, die diesmal Neunte wurde und das mit einer süß-sauren Miene quittierte, oder auch Viktoria Rebensburg, Weidles prominente Teamkollegin. Die war zwar unzufrieden mit ihrer Fahrt, dafür milde gestimmt ob Rang fünf, ihrem besten Resultat in der Abfahrt im bisherigen Winter. Und Weidle, die sei derzeit nun mal "on fire", sagte Rebensburg, was die Belobigte etwas zurückhaltender formulierte: Sie könne "prinzipiell schon zufrieden sein". Prinzipiell schon zufrieden?

„Obwohl sie extrem fokussiert arbeitet, kann sie loslassen“: Kira Weidle bezwingt den Steilhang. (Foto: Francis Bompard/Agence Zoom/Getty Images)

Cortina ist eine der schwersten Ski-Autobahnen im Weltcup der Frauen, sie hat alles, was einer Abfahrerin das Leben erschwert: ein tückischer oberer Teil, der Tofana-Schuss, bei dem man zwischen zwei Felsen hindurchjagt, anspruchsvolle Kurven, schließlich "geht es immer schneller und schneller ins Tal", wie Siegerin Siebenhofer am Samstag mit glänzenden Augen berichtete. Weidle fremdelte sowohl am Freitag, als sie Achte geworden war, als auch am Samstag mit der oberen Passage - aber ab dem Mittelteil erstarkte sie, im Gegensatz zu vielen Konkurrentinnen. Auch das ist ein Merkmal, das die erweiterte Elite auszeichnet, in der sich Weidle mittlerweile bewegt: Wenn es drauf ankommt, können die Mitglieder dieses exklusiven Kreises noch ein wenig zulegen.

Viktoria Rebensburg sieht in Weidle eine WM-Geheimfavoritin

Weidle stammt aus Stuttgart, ihre Familie zog erst nach Nordrhein-Westfalen, später nach Starnberg. Matthias Pohlus, der Trainer des örtlichen Skivereins, erlebte sie als sehr zielstrebig, Weidle trug früh den Berufswunsch Skirennfahrerin vor, mit neun Jahren fuhr sie den Auslauf einer Sprungschanze schnurstracks herunter. Sie debütierte mit 19 im Weltcup, nutze ihre ersten zwei Lehrjahre im Weltcup, um die Strecken auszukundschaften, sich langsam ans Limit zu tasten. Mittlerweile schöpft sie immer selbstbewusster aus diesem Erfahrungsschatz. Der dritte Platz zum Saisonauftakt in Lake Louise war der bisherige Höhepunkt, auch die folgenden Erträge in der Abfahrt zeugen von großer Konstanz: elf, acht, acht, vier. Weidle habe in der bisherigen Saison einen "Riesen-Schritt" gemacht, sagte ihr Cheftrainer Jürgen Graller in Cortina, sie sei technisch versiert, selbstbewusst, nehme Kritik gut an, nachdem die Trainer sie vor einem Jahr noch ein wenig hatten erden müssen. Und Weidle führe noch eine Eigenschaft mit sich, die ihr nicht unbedingt zum Nachteil gereiche, findet Graller: Sie sehe es nicht ein, zu verlieren. Oder in den Worten des Österreichers: "Die wüüü oafach gwinnen."

Wenn das so weiter gehe, befand Rebensburg am Samstag, könne Weidle sogar "zu einer Geheimfavoritin für die WM werden". Wobei ihr Vorgesetzter, Alpinchef Wolfgang Maier, diesen Optimismus nicht ganz teilte. Er lobte Weidles "große Fortschritte", betonte, dass man schon lange nicht mehr zwei Abfahrerinnen unter die besten Fünf eines Weltcups gebracht hatte, elf Jahre ist das mittlerweile her. Michaela Wenig, zuletzt Fünfte in Gröden, hatte am Freitag in Cortina auch noch einen 17. Platz eingereicht. Aber, sagte Maier: "Wir haben noch einiges zu tun, bevor wir das Podium mit Ansage attackieren können."

Im kurvigeren Super-G, der am Sonntag ansteht, lief es für Weidle zuletzt weitaus mäßiger, aber sie wusste schon am Samstag, dass sie Cortina mit einem guten Gefühl verlassen wird: Bei der Auslosung am kommenden Wochenende, vor den Heimrennen in Garmisch, wird sie auf jeden Fall wieder dabei sein.

© SZ vom 20.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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