Frankreich:Noch ein Döschen Spinat

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Mit sechs Spielern, die schon 1998 Weltmeister wurden, zieht Frankreich beim Turnier der alten Männer ins Finale ein.

Christian Zaschke

Die Geschichte, dass er gegen seinen Willen im französischen Nationalteam spielt, hat der Innenverteidiger Lilian Thuram in den vergangenen Tagen gern erzählt. Nationaltrainer Raymond Domenech hatte ihn einfach nominiert, obwohl Thuram sich vom internationalen Fußball verabschiedet hatte.

"Ich sollte gar nicht hier sein", stellte Thuram in der Nacht zum Donnerstag fest. Hier, das waren in diesem Moment die Katakomben des Münchner Stadions, aber was er mit hier meinte, war das WM-Finale am Sonntag in Berlin. Unglaublich sei es, so ein Finale zu erreichen, führte er aus, und schob dann lässig hinterher: "Obwohl es mein zweites ist."

Großer Zusammenhalt

Mit diesem Satz deutete er an, was den Franzosen letztlich half, die Portugiesen 1:0 zu besiegen: große Erfahrung. Die Mannschaft ist recht alt, neben Thuram standen auch Fabien Barthez, Patrick Vieira, Zinedine Zidane, Thierry Henry und David Trezeguet im Kader der Mannschaft, die vor acht Jahren den Titel gewonnen hatte.

"Wir haben den großen Zusammenhalt unserer Mannschaft gezeigt", sagte Thuram, "und unsere Erfahrung hat den Unterschied ausgemacht." Der 34-Jährige war zum Spieler des Spiels bestimmt worden, und nachdem diese Auszeichnung im Viertelfinale dem ebenfalls 34 Jahre alten Zinedine Zidane zuteil geworden war, scheint es, als würde die WM an ihrem Ende ein Turnier der alten Männer (bester Spieler bei Finalgegner Italien war bisher Fabio Cannavaro, 32).

Erstaunlich, wie fit die Herren alle sind, insbesondere wenn man bedenkt, dass sie im Herbst ihrer Karriere in einem sehr heißen Sommer antreten.

Neben der Erfahrung basiert die französische Stärke auf einem eminent sicheren Block in der Defensive. Thuram und Gallas bilden die Innenverteidigung, davor sichern die im Turnierverlauf oft gelobten Makelele, 33, und Vieria, 30, (von dem man beim FC Arsenal glaubte, er habe seinen Zenit überschritten, weshalb man ihn zu Juventus Turin ziehen ließ). Dieser Viererblock befreit Zidane von den Aufgaben in der Defensive und gibt ihm die Möglichkeit zu glänzen; ohne den Block wäre Zidanes Wiedergeburt als Spielmacher nicht denkbar.

Strafstoß aus dem Grenzgebiet

Gegen Portugal war Zidane nicht so effektiv wie gegen Brasilien, als er sein bestes Spiel seit Jahren zeigte. Erneut fiel jedoch auf, wie agil er sich über den Platz bewegte, und im Vergleich zu seinen müden Vorstellungen bei Real Madrid wirkte er wie Popeye unmittelbar nach dem Genuss von zwei Dosen Spinat.

Oder war es das bisschen Höhentraining, das die Franzosen vor dem Turnier absolviert haben? Irgendwie hat er seinen Körper auf jeden Fall in kurzer Zeit in eine blendende Verfassung gebracht, was ihm auch das Denken auf dem Platz erleichtert.

Er hat seinen Blick für das Spiel wiedergefunden, das er lenkt und dessen Rhythmus er bestimmt. Die Mitspieler suchen ihn nun wieder und liefern die Bälle pflichtschuldig bei ihm ab, auf dass der Meister sie über das Feld verteile.

So war es auch nur konsequent, dass er selbst in der 33. Minute zum Elfmeter schritt. Henry war von Ricardo Carvalho gefoult worden, es war ein Strafstoß aus dem dicht besiedelten Grenzgebiet zwischen "Kann man geben" und "Muss man nicht geben". Zidane wartete recht lange, bevor er den Schuss ausführte.

Nach einer Berechnung, die der englische Guardian während der WM in Auftrag gab (das Schicksal der englischen Mannschaft bereits ahnend), wird ein Treffer unwahrscheinlicher, je länger der Schütze wartet. Zidane schien sich jedoch einfach nur sehr viel Zeit zu nehmen, um sich auf den Schuss zu konzentrieren, der die Partie entschied.

Vergeblich in die richtige Ecke

Er achtete überhaupt nicht auf Torwart Ricardo, und als er anlief, wirkte es, als habe er die Ecke vor dem Schuss verraten. Zidane schoss nach links, Ricardo flog vergeblich in die richtige Ecke, es stand 1:0.

Die Franzosen nutzten ihre Erfahrung in der Folge nicht, um das Spiel zu beruhigen, sondern um es in den Schlaf zu wiegen; eine durchaus interessante Art, die Kontrolle zu behalten, allerdings keine sonderlich ansehnliche.

"Es war schwerer als gegen Brasilien", sagte Trainer Domenech, und Vieira befand: "Ohne Zweifel war es unser härtestes Spiel im Turnier." Dahinter steckte keineswegs die Absicht, Viertelfinalgegner Brasilien zu beleidigen, es war vielmehr der Erklärungsversuch dafür, warum das Spiel in der zweiten Halbzeit bisweilen auf ein äußerst niedriges Niveau sank.

Das ist am Ende den Siegern solcher Spiele egal. Henry sagte noch in den Katakomben: "Wir müssen jetzt aus unseren Köpfen kriegen, dass wir durch und im Finale sind. Wir müssen uns konzentrieren und mit der Spielvorbereitung beginnen." Was man gegen die starken Italiener vorhabe, wurde er gefragt.

"Sie haben zuletzt lange abgewartet", sagte Henry, "wir wollen also ein frühes Tor schießen." An diesem Plan ist grundsätzlich nichts auszusetzen; allerdings hat Italien während der WM erst ein Tor kassiert, ein Eigentor von Zaccardo. Doch wenn der Viererblock wieder so sicher steht und Zidane noch ein Döschen Spinat probiert, könnte es was werden. "Zidane hat uns zehn Jahre lang verzaubert", sagte Domenech. Am Sonntag zeigt er seinen letzten Trick.

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