Frankreich:Nikola, das Schreckgespenst

Lesezeit: 3 min

Mehr als nur ein Psychotrick? Frankreich beordert den gerade erst genesenen Kapitän Karabatic nach Berlin. Schon seine bloße Präsenz soll einen Effekt haben.

Von Joachim Mölter, Berlin

Die Nachricht, dass Nikola Karabatic zur französischen Nationalmannschaft stoßen sollte, hat am Wochenende für viel Aufregung gesorgt in Berlin, einem der vier Vorrunden-Spielorte der Handball-WM. Allein der Gedanke, dass der Titelverteidiger noch mit dem bis vor Kurzem unbestritten besten Akteur des Planeten verstärkt werden könnte, hatte für manche Beobachter etwas Beunruhigendes: Nikola, das Schreckgespenst! Hatte der 34-Jährige nicht im Oktober seine WM-Teilnahme abgesagt wegen einer Operation, die ihn vier bis sechs Monate lahmlegen sollte?

Damals war ein schmerzhafter Schiefstand der großen Zehe korrigiert worden. Und nun also die plötzliche Auferstehung aus dem Krankenstand.

Den deutschen Kapitän Uwe Gensheimer hat die Ankündigung der Franzosen, ihren Regisseur nachkommen zu lassen, nicht ganz so erschreckt oder überrascht wie den Rest der Handball-Welt. Linksaußen Gensheimer ist ein Klubkollege von Karabatic beim französischen Meister Paris St. Germain, deshalb hat er die Rekonvaleszenz seines Nebenmanns natürlich mitbekommen: "Karabatic hat im Dezember schon wieder Laufeinheiten gemacht und in den letzten zwei Wochen mit der zweiten Mannschaft von PSG trainiert."

Dass Karabatic so schnell in den Kreis der Nationalauswahl zurückkehren würde, kam trotzdem unerwartet. Nationaltrainer Didier Dinart entschied sich zu dieser Maßnahme, nachdem sich seine Mannschaft bei ihrem Auftaktsieg (24:22) gegen Außenseiter Brasilien phasenweise sehr schwer getan hatte. "Er ist natürlich ein wichtiger Akteur", sagte Dinart über Karabatic, "aber wir müssen jetzt erst einmal im Training schauen, wie fit er ist und wie schnell wir ihn integrieren können."

Die Integration dürfte das geringere Problem sein: Karabatic hat seit seinem Länderspieldebüt im Jahr 2002 kein großes Turnier verpasst, er hat die große Ära der französischen Handballer mit zwei Olympiasiegen (2008, 2012), drei EM-Titeln (2006, 2010, 2014) und vier WM-Triumphen (2009, 2011, 2015, 2017) geprägt. Das aktuelle Turnier, das von Deutschland und Dänemark gemeinsam ausgerichtet wird, wäre Karabatics achte Weltmeisterschaft. "So glücklich und stolz, in die Gruppe einzusteigen und das Abenteuer mitzumachen", schrieb er auf Twitter.

Ob und wann er zum Einsatz kommt, ist offen. Trainer Dinart hatte Karabatic im Dezember vorsichtshalber in sein 28-Mann-Aufgebot aufgenommen, aus dem er zu Turnierbeginn einen 16er-Kader für die WM auswählen musste. In dem steht Karabatic noch nicht, aber jede Mannschaft kann im Turnierverlauf dreimal wechseln. Theoretisch ist es also möglich, dass Karabatic schon im Vorrundenspiel gegen Deutschland am Dienstag (20.30 Uhr/ZDF) aufläuft, wenn es vermutlich um den Gruppensieg geht. Wahrscheinlicher aber ist, dass er erst in der Hauptrunde ab 19. Januar in Köln eingreift.

"Wir haben so trainiert und uns so vorbereitet, dass wir ohne ihn funktionieren würden", sagt Kentin Mahé. Der ehemalige Flensburger, der gegen Brasilien und am Samstag gegen Serbien (32:21), als Karabatic bereits in Berlin auf der Tribüne saß, in der Rolle des Spielmachers auftauchte, stellt klar: "In allen Köpfen ist der Fakt, dass wir in Zukunft ohne ihn spielen müssen." Trainer Dinart, 41, erklärt unisono: "Wir werden irgendwann mal ohne ihn auskommen müssen." Ihm ist nicht bange vor der Zeit nach Karabatic: "Wir haben genug Qualität, um ein gutes Turnier zu spielen." Assistenztrainer Guillaume Gille, 42, einst lange beim HSV Hamburg aktiv, sagt über Karabatic: "Ihn zu ersetzen, ist natürlich eine Riesenaufgabe, die wir gemeinsam lösen müssen. Wir arbeiten daran."

Willkommener Unterstützer: Die Titelverteidiger begrüßen in Berlin den nachnominierten Altinternationalen Nikola Karabatic. (Foto: Soeren Stache/dpa)

Unbestritten ist, dass Karabatic der Auswahl des Titelverteidigers noch mal einen Qualitätsschub geben kann, sofern er seine Form findet: "Er ist ein Spieler, der den Unterschied ausmachen kann, weil er in der Lage ist, sich den Ball zu nehmen und sich durch sechs Leute durchzuwursteln", sagt der deutsche Torwart Andreas Wolff über den fast zwei Meter großen und rund 100 Kilo schweren Wühler. Andererseits, so gibt Gensheimer zu bedenken, "kann es sein, dass die anderen Spieler dann die Verantwortung an ihn abgeben in kritischen Phasen und dass man sich darauf als Gegner besser einstellen kann." Man erkennt: Allein die Anwesenheit von Nikola Karabatic beschäftigt die Gegner schon.

Kentin Mahé wartet jetzt ab, wie es weitergeht mit Karabatic und der Mannschaft; das sei "noch nicht so im Detail besprochen", sagt er. Am Sonntag haben sie jedenfalls erstmals gemeinsam geübt, und Mahé hatte den Eindruck: "Er ist hier, weil er trainieren kann, weil er fit ist, und nicht, weil er bloß Angst bei den Gegnern verbreiten soll." Ob und wann Mahé, 27, seinen Platz in der Rückraumachse räumen muss, "das werden die Trainer dann entscheiden, wenn er tatsächlich spielfähig ist". Dreieinhalb Monate ohne Spielpraxis gehen ja auch an einem dreimaligen Welthandballer nicht spurlos vorüber.

© SZ vom 14.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: