Frankenderby:Rekordrivalität

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266 Frankenderbys: Die Duelle zwischen dem 1. FC Nürnberg und der SpVgg Greuther Fürth sind fast so alt wie die auf diesem Bild dargestellte erste Eisenbahnstrecke Deutschlands. Die Lokomotive der königlichen Ludwigseisenbahn fuhr erstmals am 7. Dezember 1835 – zwischen Nürnberg und Fürth. (Foto: Scherl/SZ Photo)

Ausgerechnet Erzfeind Greuther Fürth könnte den 1. FC Nürnberg mit einer Niederlage gegen Karlsruhe an den Abgrund zur dritten Liga bringen.

Von Christoph Ruf

David Raum ist in Nürnberg geboren und spielt seit 2006 für Fürth. Die Relevanz des Fernduells, das die beiden fränkischen Zweitligisten am Sonntag austragen, muss man dem Mittelfeldmann also nicht erklären: Verliert Fürth sein Heimspiel gegen den Karlsruher SC, wären die Badener bei einer gleichzeitigen Nürnberger Niederlage in Kiel gerettet - und der Club müsste in die Relegationsspiele gegen den Dritten der dritten Liga. Der neunmalige Deutsche Meister wäre der Drittklassigkeit also einen beträchtlichen Schritt näher gekommen.

Dass es sein Team, für das es tabellarisch um nichts mehr geht, deshalb etwas gemächlicher angehen lassen könnte, dementiert Raum, der beim 0:1 im Rückspiel das einzige Derbytor in dieser Spielzeit erzielte, allerdings energisch: "Die Rivalität ist uns allen bewusst. Und ich denke, das hat man auch beim Derby gesehen, dass wir für unsere Fans, die leider nicht dabei sein konnten, unbedingt gewinnen wollten." Nun aber gehe es nicht um Folklore: "Wir wollen eine gute Saison auch gut zu Ende bringen."

Im optimalen Fall winkt Rang sechs, das wäre die beste Platzierung seit 2014. Zudem haben die Fürther selbst ein Interesse daran, zwei weitere Derbys in der kommenden Saison auszutragen. Die Spiele sind Festtage für den eigenen Anhang, der Ronhof ist immer ausverkauft. "Es gibt auch einige hier, die meinen, dass die Rivalität eher übertrieben ist und sich doch alle auf das älteste Derby des Landes freuen sollten", sagt Martin Curi, der Leiter des Fürther Fanprojekts. "Aber genauso viele fänden es großartig, wenn ihr Verein mal über dem Club stünde und das noch mit zu verantworten hätte."

Letzteres ist die auch trotzige Reaktion der deutlich kleineren Fanszene, die eine Fahrt mit der U-Bahnlinie 1 ins um 400 000 Einwohner größere Nürnberg auch als Reise "in die Vorstadt" bezeichnet. Dementsprechend selten sind direkte Vereinswechsel: Juri Judt war der letzte Spieler, der das Sakrileg begang, 2008 von Fürth nach Nürnberg zu wechseln. Nach einer Anstandsfrist von sechs Jahren ist auch Johannes Geis im vergangenen Sommer in Nürnberg gelandet.

Tatsächlich übertrifft das Fernduell manches der bislang 266 real ausgetragenen Frankenderbys - keine Rivalität im deutschen Fußball wurde öfter auf dem Platz ausgetragen. 139 Mal gewann bislang der Club, der am 30 September 1956 völlig perplex war, als ein Spiel gegen den großen kleinen Rivalen mit 2:7 verloren ging. Der damalige Nürnberger Außenläufer Hans "Bumbes" Schmidt brachte seine Verzweiflung damals sehr plastisch zum Ausdruck: "Die Tränen haben mir in den Augen gestanden, wie die gespielt haben! Und ausgerechnet die Blödel aus Fürth gewinnen das!"

Der Club-Historiker Bernd Siegler kennt noch viele weitere Anekdoten: "Dass der DFB das letzte Derby auf den 13. Juni gelegt hat, zeugt natürlich von großem historischem Gefühl. Oder es war einfach Zufall." Die Hoffnung, dass das Spiel ebenso mit 2:0 gewonnen werden würde wie beim ersten Nürnberger Gewinn der deutschen Meisterschaft, die auf den Tag genau 100 Jahre vorher gefeiert wurde, erfüllte sich nicht - Raum hatte etwas dagegen. "Sie haben natürlich 0:1 verloren", seufzt Siegler. Immerhin: Ein Spielabbruch stand beim Geisterspiel nicht zu befürchten. Den ersten in der Geschichte des deutschen Fußballs hatten 1973 Nürnberger Anhänger provoziert, als sie während eines Derbys Leuchtraketen auf das Spielfeld schossen. Und trotz der positiven Derbybilanz schauen die Club-Fans natürlich in diesem Jahr weit weniger entspannt auf den kommenden Sonntag als die Kleeblatt-Fans.

Zu ernüchternd ist die Bilanz einer Saison, in der der Club ans Tor zur ersten Liga klopfen wollte und stattdessen in akute Abstiegsgefahr geraten ist. Schon vor dem jüngsten 0:6 gegen Stuttgart hatten die Ultras ihre Ohnmacht darüber zum Ausdruck gebracht, wegen Corona tatenlos mitansehen zu müssen, wie die Mannschaft ausgerechnet im 120. Jahr des Vereinsbestehens der dritten Liga entgegen wankt: "Das ist nicht die Mannschaft, die der ruhmreiche und strahlende 1.FC Nürnberg in seinem Jubiläumsjahr verdient. Aus der Entfernung müssen wir tatenlos einer Mannschaft zusehen, die nichts von den grundlegenden Tugenden verkörpert. Ratlos und voller Wut bleiben wir zurück!", schrieben sie. Siegler ist ähnlich schockiert: "Ich habe wohl noch nie solch eine schlechte Saison gesehen. Die Mannschaft hat selbst die wenigen Spiele, die sie gewonnen hat, nur mit Glück nicht verloren." Auch ein langjähriger Club-Fan, der jedes Spiel sieht, aber anonym bleiben will, ist entsetzt: "Corona reicht uns nicht. Wir müssen dann auch noch um den Klassenerhalt zittern und am letzten Spieltag auf die Fürther hoffen." Er wird am Sonntag am Fernseher zusehen, wie sich seine Mannschaft in Kiel schlägt - und dabei immer mit einem Auge nach Fürth schielen - in der Hoffnung auf Schützenhilfe vom ungeliebten Nachbarn. Man müsse dann auf der Arbeit eine Woche lang deren Gefeixe ertragen. Umgekehrt wäre es aber noch schlimmer: "Dann passiert nämlich etwas, was es in 120 Jahren 1. FC Nürnberg noch nie gab: Dass der Club eine Liga unter den Fürthern spielt."

© SZ vom 27.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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