Formel 1:Sanftes Wohnmobil

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Und wieder ein Doppelerfolg: Die Silberpfeile von Lewis Hamilton und Valtteri Bottas dominieren die Formel 1. (Foto: Albert Gea/Reuters)

Fünf Rennen, fünf Doppelerfolge für Mercedes: Die Formel 1 wollte 2019 spannender werden, wurde aber eintöniger.

Von Philipp Schneider

Adrian Newey hat kürzlich erzählt, wie ein Mensch dazu kommt, sein Leben der Aufgabe zu widmen, Rennwagen zu konstruieren, in denen wiederum andere Menschen von Titel zu Titel rasen und dabei so berühmt werden, dass die Menschheit ihre Namen auch Jahrzehnte später nicht vergessen hat. Im Gegensatz zum eigenen Namen. Newey hat diese Geschichte nicht nur erzählt, sondern aufgeschrieben, seine Biografie trägt den wunderbaren Titel " Wie man ein Auto baut".

Wunderbar ist der Titel, weil er etwas zum Ausdruck bringt, was in Neweys Heimat, der englischen Grafschaft Warwickshire, als Understatement bezeichnet wird. Newey baut ja nicht einfach nur Autos. Er hat die Weltmeisterrenner für Alain Prost, Mika Häkkinen und Sebastian Vettel konstruiert. Seine Rennwagen gewannen zehn Fahrer- und zehn Konstrukteursweltmeisterschaften. Er schuf all seine Werke mit einer solchen Akribie und Beflissenheit, dass ihn das amerikanische Magazin The New Yorker als "Michelangelo des Motorsports" bezeichnet hat.

Für Newey ging es einst damit los, dass er aufwuchs am Ende einer ländlichen Nebenstraße in einem Vorort von Stratford-upon-Avon. Das Grundstück grenzte hinten an einen stinkenden Schweinemastbetrieb, wo Neweys Vater eine Tierarztpraxis betrieb. Er behandelte Kleintiere, ebenso wie das Nutzvieh der umliegenden Bauernhöfe. Newey war also schon von klein auf gewohnt, als Assistent den Wassereimer und die Kälberstricke zu reichen. "Ich habe so viele neugeborene Kälber und Lämmer gesehen, dass es mir für mein ganzes Leben gereicht hat", schreibt Newey. Viel spannender fand der Fünfjährige die Dinge, die sein Vater in der Garage machte. Er schraubte dort an alten Autos und bereitete mit Akribie die Campingfahrten nach Schottland vor: Der Vater baute einen Monat vor Abreise eine Waage auf und sparte beim Packen mit so viel Leidenschaft Gewicht ein, dass er es für eine gute Idee hielt, den Zahnbürsten die Griffe zu kürzen.

In der Formel 1 gibt es immer wieder mal Phasen, in denen ein Team allen anderen davonfährt. Fast immer haben diese Teams ihre Dominanz genialen Designern wie Newey zu verdanken. Den Männern im Hintergrund, deren Namen nur die Freaks kennen. Für die Motorsportler, die in nicht konkurrenzfähigen Autos nicht hinterherkommen, sind solche Phasen eine überaus frustrierende Erfahrung. Aber es hilft ja nichts, die Formel 1 ist in dieser Hinsicht dem Schweinebetrieb nicht unähnlich, in dessen Nähe Newey einst aufwuchs.

Ferrari dominierte die Formel 1 von 2000 bis 2004, McLaren 1988 und 1989, Williams 1992 und 1993, Red Bull in den Jahren 2011 bis 2013 - und nun gibt es also das Team von Mercedes, das die Rennserie schon im sechsten Jahr nacheinander diktiert und in den bisherigen fünf Saisonrennen jeweils einen Doppelerfolg geschafft hat. Eine solche Monotonie wie 2019 gab es noch nie in der Geschichte der Serie. Für den amerikanischen Unterhaltungskonzern Liberty Media, der sich im dritten Jahr als Rechteinhaber der Formel 1 verwirklichen darf, ist diese Entwicklung eine erzählerische Katastrophe.

Viel mehr noch als früher dem Einmannbetrieb Bernie Ecclestone geht es den Amerikanern ja um Storytelling. Um simple Geschichten also, deren Überschriften sich auf den sogenannten Küchenzuruf reduzieren lassen. Aus diesem Grund haben sie in der vergangenen Saison einem Kamerateam von Netflix Zugang in die Boxengasse gewährt. Sie wollen die Rennfahrerleben ihrer Piloten daheim an die Fernsehcouches tragen, sie wollen über Netflix die relevante Zielgruppe erreichen. Von all den Geschichten, die die Formel 1 zu erzählen hätte, würde ein Plot alle anderen überstrahlen: Sebastian Vettel und sein Duell mit Lewis Hamilton - ein viermaliger Weltmeister fährt in diesem Jahr gegen einen fünfmaligen! Bloß: Fährt er leider doch nicht. Weil sein Auto konstruktionsbedingt nicht heranreicht an das von Hamilton. Weil der Ferrari SF90 in den Kurven zu viel Zeit verliert auf den Mercedes W10.

Diese Geschichte - die Geschichte eines Duells, das nun doch kein Duell wurde - lässt sich natürlich nicht ganz so gut erzählen. Und noch viel schlechter bebildern. Womit denn? Mit einem Zoom auf den Frontflügel der Scuderia? Mit Infrarotaufnahmen von Vettels glühenden Reifen?

Ironischerweise ist die Formel 1 in diesem Jahr auch deshalb langweiliger geworden, weil sie spannender werden wollte. Um den Zuschauern mehr Überholmanöver anzubieten, wurde 2019 das aerodynamische Reglement reformiert. Die Idee war: Die Einführung von simpleren Flügeln sollte die Luftverwirbelungen so verändern, dass es für das hinterherfahrende Auto leichter sein würde, sich in eine Position zu bringen, aus der es sich gut überholen lässt. Newey schreibt: "Heute, in der Formel 1, studieren wir Jahr für Jahr jede Einzelheit des technischen Reglements für die kommende Saison, und eine meiner Aufgaben - vielleicht sogar meine liebste - ist es, ins Praktische zu übersetzen, was in den Vorschriften tatsächlich steht - nicht, was die Regelmacher damit erreichen wollen." Noch besser als Newey, der für Red Bull arbeitet, übersetzten diesmal seine Kollegen von Mercedes das neue Reglement in das Gegenteil dessen, was die Regelmacher erreichen wollten. Das Geheimnis hinter der Dominanz von Lewis Hamilton und Valtteri Bottas ist ein sagenhafter Abtrieb ihrer Rennwagen. Während Vettel in den Kurven ins Schlittern gerät, klebt der Mercedes auf dem Asphalt wie ein Autoscooter. Für Hamilton dürfte sich sein Weg zum sechsten Titel schon sehr bald anfühlen wie eine Reise im sanft gefederten Wohnmobil. Er bedauert dies allerdings fast ebenso sehr wie Vettel.

Einst hatte Hamilton seine Rivalität mit Vettel als eine epische beschrieben. Sie sei wie Federer gegen Nadal. Und jetzt? "Es macht nicht mehr so viel Spaß", hat er am Sonntag in Barcelona erzählt. "Das, was die Formel 1 ausmacht, sind die Momente, in denen du gegen ein oder zwei andere Teams kämpft. Wenn die Autos unterschiedliche Stärken und Schwächen haben und es darum geht, die Stärken auszuspielen." In diesem Jahr ist es wieder wie Federer gegen Nadal. Nur spielt Nadal mit einem Holzschläger.

© SZ vom 18.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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