Formel 1:Nass und forsch

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Dass Max Verstappen ein überragendes Talent ist, hat die Formel 1 früh registriert. In São Paulo versetzt der Niederländer die Fachwelt mit seiner Fahrzeugbeherrschung im Nassen nun aber erneut ins Staunen.

Von René Hofmann, São Paulo/München

Anerkennung von der Konkurrenz: Das gibt es selten in der Formel 1, zumal in schriftlicher Form. Und deshalb sagt es schon einiges, dass Mercedes-Teamchef Toto Wolff nach dem Großen Preis von Brasilien am Sonntag in den Aussendungen seines Rennstalls nach dem Lob für seine Angestellten - für Sieger Lewis Hamilton und für den zweitplatzierten Nico Rosberg - noch einen weiteren Fahrer expliziert erwähnte: den drittplatzierten Max Verstappen. "Sehr beeindruckend" sei der Red-Bull-Angestellte gefahren, meinte Wolff: "Das war heute ganz klar die Verstappen-Show - eine unglaubliche Leistung und großartige Unterhaltung." Vor den TV-Kameras hatte Wolff zuvor bereits über den 19-Jährigen geschwärmt: "Die physikalischen Gesetzmäßigkeiten wurden neu definiert."

Während die anderen 21 Grand-Prix-Teilnehmer durch die Pfützen pflügten, war Verstappen über diese hinweggesaust - so hatte es in etlichen Szenen wirklich ausgesehen. Auch Niki Lauda, der andere große Mercedes-Vorsprecher, kam nicht umhin, Verstappen ein Kompliment auszusprechen: "Ein künftiger Weltmeister, ganz klar", sagte Lauda, der einst selbst drei Titel einfuhr und wohl auf vier gekommen wäre, wenn er 1976 beim Saisonfinale in Japan nicht ausgestiegen wäre, weil es am Mount Fuji gar so entsetzlich regnete; der Brite James Hunt sicherte sich den Titel damals mit einem Punkt Vorsprung.

Wenn es regnet, schreibt die Formel 1 oft gute Geschichten. Weil die Autos so stark sind, sind sie auf der rutschigen Piste schwer zu bändigen. Dann zeigt sich, wer besonders viel riskiert - und wer eine wirklich besondere Fahrzeugbeherrschung hat. Die meisten der wirklich großen Piloten haben mindestens einmal im Regen geglänzt. Wer auch noch forsch ist, wenn es nass ist, und dabei die Kontrolle behält, der gilt nicht nur als großes Talent, sondern als besonderes.

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(Foto: Mark Thompson/Getty Images)

Der erste Streich: In Kurve eins überholt Max Verstappen Kimi Räikkönen im roten Ferrari.

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(Foto: Mark Thompson/Getty)

Am Ende freut der Red-Bull-Fahrer sich mit seinen Mechanikern über Rang drei.

Was Max Verstappen kann, war bereits häufiger zu ahnen, seit er 2015 in die Formel 1 kam. Der Niederländer zeigte waghalsige Überholmanöver und keinerlei Respekt vor dem Formel-1-Establishment. Mit so gut wie jedem Rivalen hat er sich inzwischen mindestens einmal angelegt. Ende Oktober, beim Gastspiel in Mexiko-City, preschte er so unerschrocken zwischen die beiden Mercedes-Fahrer, die sich um den Titel streiten, dass deren Chef Toto Wolff anschließend zum Telefon griff und Verstappens Vater Jos anrief, der einst selbst in der Formel 1 angetreten war: Ob er nicht mäßigend auf seinen Sohn einwirken könne? Der Teenager Verstappen war bei seinem Vater, als der Anruf einging, aber nicht, als die beiden dann miteinander sprachen. Dazu verließ sein Vater den Raum. Max Verstappen wollte weiter in Ruhe fernsehen.

Die Episode erzählt viel. Sie erzählt, wie groß die Unruhe ist, in die der Youngster die Szenegrößen versetzt hat. Und sie erzählt, wie unbeeindruckt Max Verstappen selbst davon ist. Das Rennen in Brasilien war das erste nach dem Auftritt in Mexiko und dem Anruf. Und gleich in der ersten Kurve attackierte Verstappen den vor ihm gestarteten Kimi Räikkönen, setzte sich innen neben den Ferrari-Fahrer und ließ den inzwischen 37-jährigen Finnen aber so etwas von langsam aussehen. Mit dem WM-Führenden Nico Rosberg, 31, spielte Verstappen später ein ähnliches Spiel.

Nachdem ihn ein verunglückter Reifenpoker zwischenzeitlich auf Rang 14 zurückgeworfen hatte, war beim Schlussspurt hin zum Siegertreppchen Sebastian Vettel, 29, dran. Der viermalige Weltmeister gehört zu den größten Verstappen-Kritikern. Dass der Aufsteiger sein Auto in der Bremszone gerne zappeln lässt, gefällt Vettel nicht. Dieses Mal fühlte er sich beim Überholtwerden geschnitten. Groß beschweren aber wollte er sich gar nicht mehr. "Ich habe schon genug gesagt", sagte Vettel, "ich denke, dass es nicht korrekt war." Der Ferrari-Fahrer ahnt wohl: Verstappen ist einfach zu aufregend, um als Buhmann abgestraft zu werden. Zum achten Mal in diesem Jahr wählten die Fans ihn in Brasilien zum "Fahrer des Rennens".

"Unglaublich" seien so manche Manöver gewesen, gab sich Red-Bull-Teamchef Christian Horner verzückt, Verstappen an diesem Tag zuzusehen, sei wirklich "etwas Besonderes" gewesen. Der derart Gelobte fand für den Tag an dessen Ende nur ein Wort: "Aufregend" sei es gewesen, meinte Verstappen knapp. Das Gefühl hatte auch Nico Rosberg, der einmal Augenzeuge wurde, wie Verstappen unmittelbar vor ihm ins Schleudern geriet, seinen Rennwagen vor dem Einschlag in eine Mauer aber gerade noch abfangen konnte. In dem Moment schoss Rosberg nur eines durch den Kopf: "Was zur Hölle macht er!"

Das Können, in solchen Momenten blitzschnell und doch seelenruhig am Lenkrad in die richtige Richtung zu drehen, zeichnet Verstappen aus. Zudem suchte er auf der nassen Strecke immer wieder an ungewöhnlichen Stellen nach Haftung. Was außerdem half: Der Red Bull ist - anders als der Ferrari etwa - ein Auto, das sich auf rutschigem Untergrund offenbar besonders gutmütig bewegen lässt. Ein Zauberkunststück war es deshalb nicht, was Verstappen im Autódromo in Interlagos glückte.

Einer zeigte sich von dem Hype um den Drittplatzierten denn auch wenig angetan: Lewis Hamilton. Der Brite hatte das Rennen vom Start weg souverän angeführt, in all den Turbulenzen nicht eine Schrecksekunde erlebt und am Ende mit mehr als zehn Sekunden Vorsprung vor Rosberg und mehr als 20 Sekunden vor Verstappen locker gewonnen - und das, obwohl er die ganze Zeit eigentlich "nur rumbummelte", wie Lewis Hamilton wissen ließ.

© SZ vom 16.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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