Formel 1:Ein Butler zu wenig

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Beim Heim-Grand-Prix in Monza lähmt sich Ferrari mit einer Diskussion um die Zukunft von Kimi Räikkönen - und schadet Sebastian Vettel im Titelkampf.

Von Philipp Schneider, Monza

Es gibt Abende, da begreift man, dass der Autodromo Nazionale di Monza keine Rennstrecke ist. Er ist ein Gesamtkunstwerk. Niemand baut eine Rennstrecke inmitten eines Königlichen Parks, der umrandet wird von einer löchrigen Steinmauer, in dem alte Platanen Schatten spenden und Spaziergänger an einer Villa der Habsburger vorbeilaufen, wenn er nicht einen tieferen Sinn erkannt hat hinter dem möglichst schnellen Kreisen von Autos.

Wer am Samstagabend nach der Qualifikation den Königlichen Park in Richtung Westen verließ, der lief durch eine Flut von roten Gestalten, die sich nach ein paar hundert Metern zu einem roten Fleck verdichteten. Vor der Bar "Pit Stop", Ecke Via Cesare Battisti, Via Enzo Ferrari. Dort standen die Tifosi und lachten. Eine Hand am Bierglas, die andere wo auch immer. Die Tifosi blickten hoch in den Himmel, in dem nun auch noch die Abendsonne den Horizont in jenes seltene Pastellorange tauchte, in dem sich mit viel Liebe Spuren von Rot erkennen ließen. Zwei Ferraris in der ersten Startreihe. Der brennende Himmel. Das Bier. Was war das herrlich! Es dämmerte dem Betrachter: Das Kunstwerk Monza wurde geschaffen, damit dort immer ein Mann im Ferrari der Schnellste sein möge.

Zehn Piloten gelang das seit 1950. Alberto Ascari, nach dem eine Kurve benannt wurde, war 1951 der Erste. Phil Hill. John Surtees. Ludovico Scarfiotti. Clay Regazzoni. Jody Scheckter. Gerhard Berger. Michael Schumacher. Rubens Barrichello. Und, zuletzt 2010: Fernando Alonso. Wer in Monza mit Ferrari gewinnt, der hängt im Pit Stop für die Ewigkeit an der Wand.

Sebastian Vettel hätte der Elfte sein können. Aber er hat den Sieg weggeworfen. Am Sonntag, in der ersten Runde des Rennens. In der zweiten Schikane, die nicht nach einem Fahrer benannt wurde, sondern einem Bewässerungskanal: "Roggia". Und Ferrari hat ihm dabei assistiert. Den Rennstall trifft zumindest eine Teilschuld.

Sucht die Schuld vielleicht nicht oft genug bei sich: Titelkandidat Sebastian Vettel schmollt. (Foto: Marc Sutton/Imago)

Es war ein klassischer Rennunfall in der Roggia, und als solchen bewerteten ihn auch die Rennkommissare. Geahndet wurde weder Lewis Hamilton, der sich, von Position drei gestartet, in der Roggia rechts vorbeizwängte am direkt vor ihm losgerollten Vettel. Noch Vettel selbst, der seinen Ferrari nach rechts zog, als der Weg bereits versperrt war von Hamiltons Mercedes. Und der sich mit diesem Manöver, obgleich er Hamilton in seiner ersten Reaktion über Funk Dummheit unterstellte, nach dem Rennen sehr schnell wieder sammelte und lediglich darauf bestand, Hamilton habe ihm "zu wenig Platz" gelassen.

So oder so brachte sich Vettel, der sich beim Zusammenprall den Frontflügel demolierte, sich drehte, vom Ende des Feldes eine Aufholjagd startete und nur Vierter wurde, früh um die Chance auf einen Rennsieg. Er hätte defensiver fahren, sich notfalls überholen lassen, und auf den Geschwindigkeitsvorteil seines Ferrari vertrauen können. So gewann Hamilton ein Rennen, das er nie hätte gewinnen dürfen. Nach einer Qualifikation, nach der er sich gefragt habe: "Was stelle ich nur an hinter den zwei Ferraris, damit ich nicht zu viele Punkte verliere?" Er verlor keine, sondern schnappte sich nach einer langen Fahrt im Windschatten von Räikkönen acht Runden vor Schluss die Höchstzahl. Sieben Rennen sind noch zu fahren, auf 30 Punkte hat Hamilton seinen Vorsprung vergrößert. Die Formel 1 verlässt nun Europa. Und mit ihr reist eine Debatte. Sie kreist um die Frage, ob Ferrari zwar endlich mal das schnellste Auto der Rennserie konstruiert hat, es dieses aber nicht schlau zu nutzen weiß, weil der Rennstall führungslos irrlichtert.

Völlig unstrittig ist, dass die Scuderia ohne Not ein Thema nach Monza geschleppt hat: Die Frage, ob Kimi Räikkönen, 38, auch im nächsten Jahr noch im Cockpit an der Seite von Vettel sitzen wird. Oder ob er abgelöst werden wird vom erst 20-jährigen Charles Leclerc. Der talentierte Monegasse fährt im Ferrari-Kundenteam von Sauber. Leclerc gilt als Zögling des Ende Juli verstorbenen Fiat-Chefs Sergio Marchionne. Die italienischen Zeitungen beschäftigte in Monza fast nichts so sehr wie die Frage, ob Marchionne vor seinem Tod, ob schriftlich oder nicht, Leclerc das Versprechen gegeben habe, dass er 2019 für Ferrari fahren darf. Die Gerüchte halten sich, dass am angeblich schon vereinbarten Wechsel, trotz eines möglichen Sinneswandels bei Marchionnes Nachfolger, auch deshalb festgehalten werden soll, weil Leclerc von Nicolas Todt, dem Sohn von Weltverbands-Präsident Jean Todt, gemanaged wird. Dass Ferrari, zumindest öffentlich, die Zukunft von Räikkönen offen ließ, sorgte in Monza für große Unruhe.

Andererseits, Räikkönens Abschied wäre in Monza zum ungünstigsten Zeitpunkt verkündet worden. Fährt er doch so schnell wie lange nicht. Schon in Spa wurde er in der Qualifikation nur gebremst, weil ihm sein Team beim entscheidenden Reifenwechsel das Auto nicht betankte. Und in Monza fuhr Räikkönen am Samstag die Bestzeit. Auch, weil sich Ferrari dazu entschied, Räikkönen seine schnellste Runde im Windschatten von Vettel fahren zu lassen. Nicht umgekehrt. Windschatten ist in Monza, wo es einen Vollgas-Anteil von 75 Prozent gibt, entscheidend.

Wäre es also aus Sicht von Ferrari nicht klüger gewesen, Vettel auf die Pole Position zu lotsen? Hätte Räikkönen Vettel nicht besser nach hinten abgesichert, damit Ferraris Titelkandidat nicht mit höherer Wahrscheinlichkeit in einen Unfall verwickelt wird? Und war es wirklich notwendig, dass der Rennverlauf keine abgesprochene Strategie zwischen Räikkönen und Vettel offenbarte? Die Teamkollegen fuhren vor Vettels Crash ein Rennen. Gegeneinander.

"Wir beschäftigen Piloten, keine Butler", antwortete der kauzige Teamchef Maurizio Arrivabene. Das klang ehrenwert. Aber auch naiv. Zwei Tage, nachdem Konkurrent Mercedes angekündigt hatte, notfalls eine Teamorder auszusprechen, um die Hierarchie zwischen Hamilton und Valtteri Bottas auf Titelkurs festzutackern.

Die Journalisten gaben sich in Monza sehr viel Mühe, Vettel Worte der Kritik an seinem Team zu entlocken. In den buntesten Varianten wurde im Prinzip die immer gleiche Frage gestellt: Ob eine klare Hackordnung zwischen ihm und Räikkönen das Fiasko nicht verhindert hätte? Vettel wehrte sich tapfer. Es war klar zu erkennen, dass er die teaminterne Stimmung nicht mit einer Antwort zusätzlich vermiesen wollte. Irgendwann sagte er: "Ich habe den Leuten, die es betrifft, meine Meinung gesagt." Er erwarte nichts und "habe noch nie etwas geschenkt bekommen".

So aber lässt sich ein Szenario bei Ferrari nicht ausschließen: Dass Räikkönen schon von seinem bevorstehenden Abschied weiß. Und dass sich Ferraris letzter Weltmeister aus dem Jahr 2007 nichts mehr sagen lässt von der Scuderia. Dann wäre Vettel auf sich gestellt. Ganz allein im Kampf mit Hamilton und Valtteri Bottas. Hamiltons Butler.

© SZ vom 04.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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