Formel 1:"Boaah, pffft!"

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Der Große Preis von Malaysia steht noch immer im Schatten des folgenschweren Crashs von Singapur. Sebastian Vettels Aufarbeitung grenzt dabei an Aussageverweigerung.

Von Elmar Brümmer, Sepang

Großer Preis, großer Crash: Vor zwei Wochen kollidierte der Ferrari-Pilot Kimi Räikkönen (rechts) am Start des Rennens in Singapur mit Sebastian Vettel, der ebenfalls für Ferrari fährt. (Foto: Yong Teck Lim/dpa)

Die Veranstalter in Malaysia stellen die Unfallszene von Singapur zum Auftakt des Rennwochenendes noch einmal nach. Bloß ohne Autos. In einem engen, dunklen Zweckraum sitzen die drei Unfallgegner Sebastian Vettel, Max Verstappen und Kimi Räikkönen auf dem Podium, sie müssen sich vor den Journalisten nebeneinander an einen Tisch zwängen. Diesmal allerdings sitzt Vettel in der Mitte. Und bleibt auch sitzen. Er kann also nicht von der rechten Seite quer rüberziehen über das Podium, bis er links mit irgendwem zusammenstößt. Es wird nur locker geredet. Und diesmal kommen Vettel, Verstappen und Räikkönen ohne Schaden raus - aus ihrer Plauderei über die fünf Sekunden nach dem Start des Rennens von Singapur.

Jene fünf Sekunden, die Vettel im vergangenen Formel-1-Rennen den erwarteten Sieg von der Pole-Position aus gekostet haben, vielleicht sogar den Titel. Fünf Sekunden, in denen Vettel quer über die Rennbahn fuhr, Verstappen in Richtung Räikkönen scheuchte - und schließlich mit dem Ferrari von Räikkönen kollidierte. Wer trägt die Schuld?

Sebastian Vettels Gesichtszüge sind angespannt, sein Körper befindet sich in Abwehrhaltung, er übt sich in der Sprache des Vergessens. Seine Antworten beginnen mit Lauten wie "Boaah" und "Uaaaaah", gern auch mit "Joooooh" oder "Pffft!". Die Aufarbeitung in Malaysia gerät zur Aussageverweigerung. "Alle drei von uns sind damit nicht glücklich. Aber wir müssen nach vorn schauen." Klar, nachdem das mit dem Blick in den Rückspiegel schon auf der Piste nicht richtig geklappt hat. Und war Räikkönen nicht sowieso im toten Winkel? Jede Frage, die sich auf Singapur bezieht, stärkt Vettels Trotz. Auch diese Unbeirrbarkeit hat ihn zum viermaligen Weltmeister gemacht.

Aber war er nicht zu aggressiv bei seinem Manöver? Niki Lauda sieht das so. Viele andere auch. Vettel indes wirkt nicht so, als habe er viel Zeit in die Auseinandersetzung mit sich selbst gesteckt. Er sagt: "So was ist Teil des Rennsports, wir werden nicht das erste und nicht das letzte Mal in diese Situation kommen. Wenn wir ein technisches Problem gehabt hätten, oder ich einen kapitalen Fehler gemacht hätte, wäre es etwas anderes."

Es braucht wohl dieses Gemüt aus Karbon, um mit dem Druck fertig zu werden, der sich aus den Erwartungen von Ferrari-Präsident Sergio Marchionne speist. In den drei Rennen nach der Sommerpause hat Vettel im Duell mit Mercedes-Pilot Lewis Hamilton 42 Punkte verloren, er liegt nun 28 Punkte hinter ihm. Der Brite findet, dass er in dieser Saison die Schwachpunkte Vettels vorgeführt bekommt. Für "die letzte Schwäche" sei er dankbar. "Große Fahrer schlagen für gewöhnlich zurück, also nehme ich an, dass Sebastian hier noch stärker sein wird."

Technisch scheint Mercedes in Sepang prinzipiell im Vorteil zu sein, aber die Hitze, die Reifennutzung und der stets drohende Regen können das Blatt schnell wenden. Vettel hat in Malaysia viermal gewonnen. Am Freitag fehlte es den Silberpfeilen bei den verregneten Trainings-Sessions erstaunlich an Grip. Hamilton als Sechster hatte 1,4 Sekunden Rückstand auf den Tagesbesten - Vettel.

Doch Hamilton kann sich auf die Routine seiner Truppe verlassen, und meist auch auf sich selbst, wenn er einmal die Kontrolle übernommen hat. Für ihn ist diese Zuverlässigkeit der Schlüssel zum WM-Erfolg, seit im Vorjahr der Motor im Heck seines Silberpfeils in der 41. Runde explodierte, als er in Führung lag. Er ist einer von nur zwei Piloten, die bislang alle Rennen zu Ende fahren konnten. Gegen Prognosen, dass er schon im Oktober die Weltmeisterschaft feiern wird, wehrt er sich aber: "Wann es passierten könnte, darüber mache ich mir keine Gedanken. Es geht nur darum, dass es passiert." Den Fortschritt gegenüber dem Saisonstart habe er mit seinen Ingenieuren erreicht: "Wir haben verstanden, wo wir das Auto haben wollen. Es ist klar geworden, was ich von dem Wagen brauche. Ich fahre in der Form meines Lebens."

Hamilton zeigt sich auch überrascht darüber, dass er in Singapur nicht wie erwartet viele Punkte verloren, sondern eine Menge gutgemacht hat. "Natürlich ist das ein Wendepunkt. Aber es gab schon ein paar Wendungen in dieser Saison. Ich will sicherstellen, dass das die letzte war", sagt er. Fernando Alonso, der die Gnadenlosigkeit Hamiltons im Titelkampf aus eigener Erfahrung kennt, ahnt: "Der klare Vorsprung für Lewis bringt Sebastian in eine riskante Situation. Er darf sich jetzt keinen Fehler mehr leisten."

Im vergangenen Jahr ist Vettel in Sepang übrigens ausgeschieden. Er war nach einem Ausbremsmanöver gegen Verstappen mit Nico Rosberg kollidiert. Am Start.

© SZ vom 30.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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