Formel 1:Auf Homer Simpsons Sofa

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Die Misere bei der Traditionsmarke McLaren erreicht eine ungewöhnliche Dimension: Die ehemaligen Weltmeister Fernando Alonso und Jenson Button begegnen der Krise nur noch mit Galgenhumor.

Von René Hofmann, São Paulo/München

Ein Formel-1- Rennen ist für die teilnehmenden Teams immer auch ein Rennen um die besten Bilder. Jede Sekunde im TV zählt: Sie bringt Aufmerksamkeit, und bei den Verhandlungen mit Sponsoren ist das mit die wichtigste Währung. Beim Großen Preis von Brasilien am Wochenende in São Paulo rückte ein Rennstall in der Wertung auf die vorderen Plätze, der dort schon lange nicht mehr zu finden war: McLaren.

Die britische Traditionsschmiede hat ihren vorerst letzten Sieg vor drei Jahren gefeiert - damals triumphierte Jenson Button auf dem Autódromo José Carlos Pace. Davon war der nun 35-Jährige dieses Mal weit entfernt. Überrundet wurde er als Vierzehnter von seinem Teamkollegen Fernando Alonso, 34. Aber die beiden hätten auch überhaupt nicht an den Start gehen müssen. Mit zwei Szenen hatten sie bereits am Samstag, dem Tag der Qualifikation, mehr Blicke auf sich gezogen, als dies am Ende Sieger Nico Rosberg gelingen sollte.

"Normalerweise freust du dich aufs Rennen. Aber dieses Mal waren wir einfach zu langsam", räumte Alonso ein, immerhin der Champion der Jahre 2005 und 2006: "Aber wenigstens hatten wir abseits der Piste ein wenig Spaß." Der sah so aus: Nachdem sein unzuverlässiger Dienstwagen beim Einrollen für die Qualifikation wieder einmal gestreikt hatte, setzte sich der Spanier in den Campingstuhl eines Streckenpostens und verschränkte die Arme.

Später lehnte Alonso sich bequem zurück, stützte die Füße auf seinen Helm, ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen und sah den Kollegen bei der Zeitenjagd zu. Ein vom Ehrgeiz getriebener Rennfahrer, der wie ein Rentner im Fernsehsessel die Beine hochlegt und gemütlich die anderen bei der Arbeit betrachtet - das war eine Steilvorlage. In den Sozialen Netzwerken wurde die Szene geteilt und gemocht und verfremdet. "Plätze, an denen Alonso jetzt lieber wäre": Das Stichwort wurde zum Renner. Schnell kursierten Fotomontagen, die ihm in der lässigen Pose am Strand zeigten, im Altenheim neben eingeschlafenen Omas, auf dem roten Sofa von Homer Simpson.

Legendäre Inszenierung: 2015 in Interlagos stieg Fernando Alonso aus seinem McLaren und sonnte sich gelangweilt auf einem Campingstuhl. (Foto: imago sportfotodienst/Crash Media Group)

Nach der Rückkehr ins Fahrerlager versprach Alonso: Beim Saisonfinale Ende November in Abu Dhabi werde er sich für eine ähnliche Panne besser wappnen: "Dann nehme ich mein Handy mit. Und Sonnencreme."

Das war ein Witz, natürlich. Aber einer mit einem harten Kern, denn Alonso weiß: "Wir waren die ganze Saison über die Letzten. Und wir werden es in Abu Dhabi immer noch sein." Was neu ist: Wie er und Button, immerhin auch ebenfalls ein einstiger Weltmeister (2009), der Misere inzwischen begegnen - mit Galgenhumor.

Beim Rennen zuvor in Mexiko hatte Button durch den vorzeitigen Tausch von extensiv vielen Teilen an seinem Auto die Strafversetzung von unglaublichen 70 Plätzen in der Startaufstellung angehäuft, was so natürlich nicht zu vollziehen war. In Brasilien lief sein Auto ein bisschen zuverlässiger. Den Sprung in den zweiten Qualifikationsdurchgang aber verpasste er auch dort. Auf dem Weg aus der Boxengasse kam er mit Alonso anschließend am Siegertreppchen vorbei. In dem Moment konnten die beiden nicht widerstehen: Sie kletterten auf die Bühne, die für die Besten reserviert ist, lachten und winkten und posierten für die Kameraleute. "Wir haben das Podium gesehen und uns gesagt: ,So nahe kommen wir dem nicht mehr. Also lass' uns wenigstens ein Erinnerungsfoto machen'", schilderte Alonso später die Genese dieser viel beschmunzelten Selbstehrung.

"So nahe kommen wir dem Podium nicht mehr": Die gerade sehr erfolglosen einstigen Weltmeister Button (rechts) und Alonso kapern beim Brasilien-Grand-Prix das Siegerpodest. Screenshot: SZ (Foto: N/A)

Einer aber wird über die Nummer sicher nicht haben lachen können: Team-Patron Ron Dennis, 68. McLaren - das ist sein Werk. Und wenn das Team bisher für eines stand, dann für Humorlosigkeit. McLaren: Das war ernsthafte, harte Arbeit, die stets in einer makellosen Fassade stattzufinden hatte. Es gibt die Geschichte, dass Dennis in der Fabrik, die er von Baron Norman Foster in seiner Heimatstadt Woking errichten ließ, vor der Verkleidung der Wände die Kabelbinder alle in die gleiche Richtung ausrichten ließ.

Welche Sprache er in seinem Reich für angemessen hält, war auch in São Paulo zu hören - als sein Vertrauter Éric Boullier vor die Mikrofone trat und zu erklären versuchte, warum die anderen Autos links und rechts an den McLaren vorbeigezischt waren. Der Teammanager meinte, die lange Start- und Zielgerade der Rennstrecke sei "der Optimierung des ganz speziellen Performance-Umschlags unseres Autos von vorneherein feindlich gegenübergestanden". Das war keineswegs als Witz gemeint. Im Fahrerlager gibt es einen stehenden Begriff für derlei Diplomaten-Gewäsch: Ron Talk.

Fernando Alonso und Jenson Button haben sich lange zurückgehalten. Lange haben sie artig mitgespielt. Seit sich aber immer deutlicher abzeichnet, dass der Motor von Formel-1-Rückkehrer Honda wohl auch übers Jahr hinaus eine Krücke bleiben wird und Dennis kürzlich klar machte, dass er keine Absicht hat, die beiden erfahrenen Kräfte ziehen zu lassen, verrutschen die Masken zusehends. "Es ist eine harte Phase", räumt Alonso ein.

Um den Frust ein wenig zu dämpfen, hat er sich jetzt etwas überlegt. Er will sich um eine Meilenkarte für den Formel-1-Krankenwagen bemühen. Der hat ihn in dieser Saison schließlich schon oft zurück in die Box gebracht, wenn er mit seinem unzuverlässigen McLaren wieder einmal irgendwo gestrandet war.

© SZ vom 18.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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