Formel 1:Sayonara Vergangenheit!

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Auf der Jagd und auf der Suche: Red-Bull-Pilot Max Verstappen, hier am Nürburgring, braucht bald einen neuen Motor. (Foto: Ina Fassbender/Reuters)

Mit dem Ausstieg von Honda sorgt sich die Rennserie darum, wie es weitergeht.

Von Philipp Schneider, Nürburg

Auch die für Motoren zuständigen Ingenieure haben Gefühle, das weiß Fernando Alonso ganz genau. Er hat ja lang genug mit ihnen gespielt. Alonso weiß auch um die Macht der Bilder. Fünf Jahre ist es her, sein McLaren hatte nach dem Einrollen bei der Qualifikation mal wieder gestreikt, da setzte er sich auf den Klappstuhl eines Streckenpostens und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Alonso sah aus wie ein Camper auf einem Festival. Er streikte, weil sein Honda-Motor damit angefangen hatte. Er, der zweimalige Weltmeister, hatte keine Lust auf Hinterherfahren. Alle sollten das sehen.

Fernando Alonso weiß auch um die Macht der Worte. Wäre es möglich, einen Motor zu mobben, Alonso hätte es getan. Immer wieder stänkerte er in seiner Zeit bei McLaren gegen seinen japanischen Antrieb, auf die Spitze trieb er es als Meister der Pointe beim Großen Preis von Japan 2015. Nachdem er mal wieder überholt worden war, schimpfte er ins Mikrofon: "Ich werde auf der Geraden überholt, als wenn ich einen GP2-Renner fahren würde. Das ist peinlich, sehr peinlich." Ein GP2-Motor hat nicht 1000 PS wie der eines Formel-1-Autos, sondern gut 400 weniger. Jahre später hat sich Alonso für diesen Funkspruch entschuldigt, mit dem er die stolzen Ingenieure im Entwicklungszentrum in Sakura beleidigt hatte.

Zu sagen, Alonso hätte Honda im Alleingang aus der Formel 1 getrieben, wäre zu viel der Ehre. Alonsos Ärger verriet gleichwohl viel über die Herausforderung für einen Hersteller, der neu dabei ist: Seit dem Wiedereinstieg der Japaner in die Formel 1 2015 hat ihr Motor nie funktioniert wie geplant. So war es kaum überraschend, als Honda kürzlich verkündete, die Formel 1 nach der Saison 2021 nicht länger mit Motoren zu versorgen. Es ist in der langen Historie der Japaner in der Königsklasse bereits ihr vierter Ausstieg.

"Kommen und Gehen gehört bei ihnen dazu. Nur Ferrari war der Formel 1 immer treu", frohlockte Mattia Binotto, Teamchef von Ferrari, der nun am Nürburgring mit Toto Wolff von Mercedes und Cyril Abiteboul von Renault zu einer Art Motorengipfel zusammenkam. Die drei Hersteller sind nach Hondas Ausstieg ab 2022 allein.

Etwas unerwartet war der Zeitpunkt: Schließlich war Honda nach drei schwierigen Jahren mit McLaren und dem stänkernden Alonso 2018 zunächst zu Toro Rosso gewechselt, ein Jahr später auch zu Red Bull. Viermal gewann seither Red Bull ein Rennen. Doch angesichts von Entwicklungskosten von mehr als einer Milliarde Euro, die seit 2015 flossen, sahen die Japaner in Kombination mit den ohnehin düsteren wirtschaftlichen Zeiten den Moment gekommen, um die Prioritäten ihrer Entwicklungsabteilung neu zu sortieren. Bis 2050 will Honda klimaneutral sein. Sayonara Formel 1! Konnichiwa Elektromotor!

Seither kreist eine große Frage nicht nur über den bald antriebslosen Autos des Dosenherstellers aus Österreich, sondern über der ganzen Formel 1: Was passiert mit der Rennserie, wenn es sich nicht mehr lohnen sollte, mit den komplizierten Hybrid-Antrieben zu werben? Zehn Teams gibt es in der Formel 1, wenn sie bald von drei Herstellern versorgt werden müssen, dann gerät dies bereits zum Kraftakt. Sollten nun noch wahlweise Mercedes, Renault, oder Ferrari aussteigen, dann wäre es vorbei mit der Formel 1, wie man sie kannte.

Im Jahr 2022 verordnet sich die Rennserie zwar ein optisches Lifting, mit neuen Regeln für die Aerodynamik, die das Überholen vereinfachen sollen. Neue Motoren sind allerdings erst ab 2026 geplant. Es dürfte kein neuer Hersteller mehr einsteigen, bevor das neue Reglement greift.

Die Formel 1 muss ein langfristiges Problem lösen, Red Bull ein kurzfristiges. Eine Möglichkeit wäre, dass Dietrich Mateschitz für seine zwei Rennställe die Honda-Infrastruktur übernimmt und künftig selbst die Motoren produziert. Das wäre allerdings ein selbst für den Dosen-Milliardär kostspieliges Unterfangen. Mercedes schließt eine Motorenpartnerschaft mit Red Bull aus. "Nein", sagte Wolff, als er am Nürburgring entsprechend gefragt wurde. Die Motorenabteilung aus Brixworth stoße bereits an ihre Kapazitätsgrenzen. Mercedes fährt mit eigenen Motoren, dazu erhalten noch Racing Point und Williams Antriebe. Ab 2021 kommt noch McLaren dazu.

Denkbar wäre eine Rückkehr zu Ferrari, Red Bulls Motorenlieferant 2006. "Es ist etwas, worüber wir uns Gedanken machen sollten", sagt Binotto. - "Ein Team wie Red Bull ist kein Standardkunde", bemerkte jedoch Red-Bull-Chef Christian Horner, "unsere Ziele sind extrem hoch, wir wollen Siege holen." Das ist mit dem zurzeit eher röchelnden Ferrari-Motor schwer möglich.

Außerdem denkbar: eine Rückkehr zu Renault. Zwischen 2010 und 2013 räumte eine Liaison zwischen Franzosen, Österreichern und Sebastian Vettel vier Weltmeisterschaften ab. Doch seit Anbeginn der Ära der Hybrid-Motoren 2014 gab es Probleme: die Partnerschaft endete im Streit - und mit Red Bulls Wechsel zu Honda. In der Not wurde nun das Tomahawk vergraben. Am Nürburgring säuselte Horner vorsorglich freundliche Worte in Richtung der Franzosen. Renault sei "jetzt eine andere Organisation als das letzte Mal, als sie uns beliefert haben", sagte Horner.

Bleibt die Frage, wie die Motoren der Formel 1 in Zukunft aufgebaut sein sollen. Dass Vettel und Hamilton seit 2014 mit hocheffizienten Technikwunderwerken kreisen, das hat die Formel 1 womöglich versäumt, aggressiver zu kommunizieren. Die Hybride werden von gleich zwei Elektromotoren angetrieben. Man kann also zumindest nicht sagen, die Formel 1 hätte ihre Bedrohung durch die Nachhaltigkeitsbewegung nicht frühzeitig erkannt. Die Komplexität dieser Antriebe ist allerdings ein Problem für die Formel 1: Sie verursacht immense Kosten und erschwert Privatteams den Einstieg.

Inmitten dieser Endzeit-Debatte nach der Bekanntgabe des Honda-Ausstiegs sorgte nun ausgerechnet Herbert Diess für Träumereien in der Branche. Der Vorstandsvorsitzende des VW-Konzerns, der stärker als alle anderen deutschen Hersteller auf Elektrifizierung setzt, überraschte mit einer Lästerei gegenüber der Formel E: "Die Formel 1 wird CO2-neutral, indem sie synthetische Kraftstoffe nutzen wird. Sie ist viel aufregender, spaßiger, mehr Rennsport und ein besserer Technik-Wettkampf als die Formel E, die in Stadtzentren ein paar Runden im Spielmodus dreht", stichelte Diess. Nanu? War diese Liebeserklärung an die Formel 1 vielleicht der Vorbote eines Einstiegs - etwa von der VW-Tochter Audi?

Stefano Domenicali, der ehemalige Ferrari-Teamchef und künftige Boss der Formel 1, hat die Möglichkeit eines Engagements für Audi einst geprüft. Der Flirt wurde nie ernst. Aber eine Absage für die Ewigkeit bedeutete sie auch nicht.

Als wahrscheinliches Szenario gilt, dass die Formel 1 die Motorennovelle von 2026 vorzieht. Auto, Motor und Sport berichtete, nach dem Grand Prix in Portimao in zwei Wochen gebe es eine Strategiesitzung der Teamchefs, mit Weltverbandspräsident Jean Todt und Vertretern von Formel-1-Eigner Liberty Media. Dort sollen Szenarien besprochen werden, wie Formel-1-Motoren 1 günstiger konzipiert und zugleich so grün angestrichen werden können, dass sich auf dem Höhepunkt der Klimakrise keiner mehr an ihnen reiben kann. Wer die Debatte über Sinn oder Unsinn der Formel 1 fair führen möchte, muss zugeben, dass die 20 kreiselnden Autos, die sonntags nicht mal 1000 Kilometer zurücklegen, in der großen Klimabilanz der Menschheit zu vernachlässigen sind. Problematisch für das Klima ist bei der Formel 1 das, was das TV-Bild nicht zeigt: die Weltreisen der Zuschauer und Teams.

Das Übel hat der Motorsport mit anderen Sportarten gemein: Der Klimaforscher Patrick Fortyr hat ermittelt, wie die Bilanz der Fans in der Fußball-Bundesliga vor Corona ausfiel: 7753 Tonnen CO2 produzieren sie demnach an nur einem Spieltag. Über die Saison sind das 263 000 Tonnen. Für diesen Wert könnten die 20 Fahrer der Formel 1 unter Ausschluss der Öffentlichkeit 720 Jahre lang rasen.

Das Problem der Formel 1 ist also ein anderes: Das öffentliche Zurschaustellen des sinnbefreiten Kreisens von Verbrennungsmotoren.

© SZ vom 12.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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