Formel 1:Nicht ums Eck gekommen

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Ohne Ferrari sogar schneller? Sebastian Vettel sprintet – hier aber nur zur Hymnenzeremonie in Barcelona. (Foto: Charles Coates/Getty)

Falsche Reifen, schlechte Regie, langsam in den Kurven - Ferrari ist im Titelkampf abgehängt, gibt sich aber seltsam heiter. Allen voran Technik-Chef Mattia Binotto.

Von Philipp Schneider, Barcelona

Eine wohltemperierte Nachbarschaft ist wichtig. Insbesondere, wenn man viel gemeinsam reist. Im Fahrerlager des Circuit de Catalunya ragen ganz vorne zwei Häuser empor. Das erste ist silbern lackiert. Das daneben rot. Ihre privilegierten Grundstücke haben sich Mercedes und Ferrari mit ihrer Leistung verdient, ihre Nachbarschaft wird sozusagen öffentlich zur Schau gestellt, weil sie es doch sind, die mit ihrer Rivalität den Betrieb am Laufen halten. Die Formel 1 ist allerdings keine Soap. Getratscht wird nicht. Auch dann nicht, wenn die Lebensumstände eines Nachbarn plötzlich merkwürdig anmuten. Die Wolffs aus dem silbernen Haus und die Binottos aus dem roten Haus gehen respektvoll miteinander um. Sie sind so von Respekt voreinander durchdrungen, dass es bisweilen schwierig ist, die Wahrheit aus ihnen herauszuschütteln. Was sollten sie auch sagen zur Frage, die dieses Jahr in neonhellen Großbuchstaben über der ganzen Rennserie flackert: Welche Clownerie hat Besitz ergriffen von der Scuderia Ferrari?

Toto Wolff, Chef im silbernen Haus, und Mattia Binotto, Chef im roten, empfingen nach dem fünften Rennen des Jahres wie gewohnt ihre Gäste. Geredet wurde über die große Leere, die nun um sich griff in der Formel 1 nach dem fünften Doppelsieg von Mercedes. Und über die Ursachen des kolossalen Leistungsabfalls bei Ferrari, nachdem Sebastian Vettel zwei Jahre lang gegen Lewis Hamilton um die Weltmeisterschaft gefahren war. Interessanterweise schienen diese Themen Wolff unangenehmer zu sein als Binotto. Sein Team bringe halt die bestmögliche Leistung, der Rest liege nicht in seinen Händen, meinte Wolff. "Aber wer glaubt, er könne über Wasser gehen, bekommt bei nächster Gelegenheit einen Schlag ins Gesicht."

Ein Desaster? Ach was, sagt der neue Teamchef, man sei noch jung

Ferrari ist das Team, dem jenes Wasser bis zum Kinn steht, nachdem sich seine zwei Piloten in Barcelona auch noch Max Verstappen im Red Bull geschlagen geben mussten, der auch den dritten Platz in der WM-Wertung einnimmt. Bei 48 Punkten Rückstand auf Hamilton ist Vettel im Grunde raus aus dem Wettbewerb. Und es ist nicht seine Schuld. Der Ferrari SF90 funktioniert nicht so, wie er sollte. Er hat viel Kraft, ist schnell auf langen Geraden. Aber er verliert irre viel Zeit in langsamen Kurven. Ach ja: Das nächste Rennen ist übrigens die Hafenrundfahrt in Monaco.

Frage an Binotto: Sollte sich herausstellen, dass die Schwäche des Ferrari an seinem technischen Konzept liegt, wäre das ein Desaster? Ach was, sagt Binotto, der langjährige Technikchef, der seit diesem Jahr zusätzlich die Würden eines Teamchefs verliehen bekommen hat. Ein Desaster sei das nicht. "Wir verbessern uns als Team. Wir sind ein recht junges Team! Wir befinden uns mitten in einer Lernphase." Ach? Man dachte ja, dass die Scuderia, das älteste Team der Formel 1, sehnsüchtig auf einen Weltmeisterpokal wartet - seit 2007 auf einen Fahrertitel, seit 2008 auf den Konstrukteurstitel. Der Rennstall aus Maranello investiert jedes Jahr mehr als 300 Millionen Euro in diesen Traum, hat 2019 das Budget noch einmal erhöht. Ein junges Team in einer Lernphase?

In Momenten großer Niederlagen wird der charismatische Binotto bisweilen von einer lebensumarmenden Heiterkeit erfüllt, die auf den Beobachter befremdlich wirken kann. So war es nach dem Auftakt in Melbourne, so war es nun in Barcelona. Einem Rennen, das mitentschieden wurde von zwei strittigen Regieanweisungen von Ferraris Kommandostand. In der ersten Rennphase zögerten die Strategen lange mit der Entscheidung, Charles Leclerc an Vettel vorbei zu lotsen. Obwohl Vettel einen Bremsplatten hatte und den Plätzetausch freiwillig anbot. Später zögerten sie erneut. Als Vettel auf weicheren Reifen rollte und anders als Leclerc eine Zweistopp-Strategie verfolgte. Nun bremste Leclerc Vettel. Zehn Runden lang. "Wir mussten ja erst einmal feststellen, ob der Hintermann tatsächlich schneller ist", flötete Binotto. Und es sei auch so: "Wir verlieren nicht nur in engen Kurven, wir verlieren in allen Kurven!" Die Fahrer kämpften mit Untersteuern, am Mangel an Abtrieb könne es nicht allein liegen. "Es kommen auch noch Balance und Reifenmanagement dazu." Es liegt sozusagen an allem, was einen Rennwagen im Innersten zusammenhält.

In Phasen der Dominanz gehe die größte Gefahr für Weltreiche und auch erfolgreiche Teams in der Formel 1 von einem Mangel an ebenbürtigen Gegner aus, hat Wolff vor der Saison gesagt. Der Moment scheint nun gekommen. Ob er sich vorstellen könne, dass Mercedes 2019 alle 21 Rennen gewinnt? "Es sind noch 16 Rennen zu fahren." Ob sein Team das stärkste der Geschichte sei? "So etwas zu sagen, wäre arrogant. Aber vielleicht blicken wir in 20 Jahren auf dieses Team zurück und sagen: Es war das stärkste." Gelacht hat in diesem Moment niemand.

© SZ vom 14.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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