Formel 1:Jammer, jammer

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Lauter nachdenkliche Gesichter: Sebastian Vettel und Ferrari hoffen in Japan nach zuletzt schweren Wochen auf Besserung. (Foto: Lars Baron/ Getty Images)

Ein launischer Mercedes, Crashs und Pannen bei Ferrari: Vor dem Großen Preis von Suzuka taucht das Titelrennen der Formel 1 in eine neue Phase ein. Denn ab jetzt klagen alle Protagonisten.

Von Philipp Schneider, Suzuka

Ein Formel 1-Grand-Prix ist vor allem ein Ort der Geräusche. Schon bevor das Rennen gestartet wird, ist es an keiner Ecke ruhig, zu keiner Zeit still, nicht einmal am Donnerstag, bevor die Motoren überhaupt angeworfen werden. In Suzuka haben sie am Tag der offenen Boxengasse Heerscharen von Schulkindern an den Garagen vorbeigeführt. Die Kinder haben unheimlich viel gekichert, auch weil die japanischen Mechaniker, von denen heutzutage fast jedes Team ein paar besitzt, teilweise lustige Hüte aufgezogen haben, um die japanischen Kinder zum Kichern zu bringen. Vor allem in den Garagen gibt es einiges zu hören. Es wird geschraubt und optimiert, das irre Geräusch etwa, das die Druckluft-betriebenen Schlagschrauber beim Reifenwechsel machen, vergisst man nie. Nichts auf der Welt klingt ähnlich, kein Mensch, kein Tier, kein Werkzeug, kein Küchengerät. Rattatapfiüüüiüiü!

Im Auto sei "irgendwo der Gremlin drin", sagt Mercedes' Chef Toto Wolff

Nun begab es sich in Suzuka, dass sich über eben diesen Klangteppich von Mensch und Maschine für ein paar Minuten die herrlich raue Stimme von Gloria Gaynor legte. Aus einer der Garagen wummerte aus gefühlt mannshohen Boxen "I will survive". Jener beliebte Song, in dem das Lyrische Ich die Geschichte erzählt, wie es sich von einem psychischen Zusammenbruch erholt. Entsprechend schnell wurden Wetten angenommen: Wer hatte die Platte wohl aufgelegt? Mercedes oder Ferrari? Auf die Idee, dass es die Männer von Force India waren, kam niemand. Die hatten schließlich gar keinen Grund für eine musikalische Therapie.

Der Grand Prix von Malaysia hat am vergangenen Wochenende eine neue Phase im Titelrennen eingeleitet. Ab jetzt jammern alle Protagonisten. Nicht länger nur die von Ferrari, auch jene von Mercedes. In beiden Teams ist große Verunsicherung zu spüren. Sepang war ja keine schöne Erfahrung für Sebastian Vettel und Lewis Hamilton. Zwar hatte Vettel eine irre Aufholjagd gezeigt, er war vom letzten Startplatz vorgefahren auf Position vier. Hamilton wiederum war Zweiter geworden und hatte damit seinen Vorsprung auf Vettel in der Gesamtwertung ausgebaut, auf 34 Punkte. Allerdings hatte sein Auto "irgendwo den Gremlin drin", ein kleines Fabel-Monster also, wie Mercedes-Chef Toto Wolff sagt, der in Sepang gemeinsam mit den Ingenieuren - wie schon in Spa und Singapur - an den Launen des Silberpfeils verzweifelt war. Vettels Ferrari wiederum war in Sepang, wie schon in Spa und Singapur, das schnellste Auto. Die Scuderia hatte sich diesmal aber mit einem technischen Defekt vor dem Qualifying um den möglichen Sieg gebracht. Und nicht mit einem Crash in der ersten Runde wie noch in Singapur. "Wir haben vom Pech Ferraris profitiert. Das macht mir keine Freude", sagt Wolff.

Einen weiteren völlig unnötigen Unfall hatte Vettel noch in der Auslaufrunde erlebt. Und wohl auch verursacht. Als er nämlich mit dem Williams von Lance Stroll kollidierte und sich dabei das Heck rund um die linke Hinterradaufhängung aufriss. Das erst am Freitag veröffentlichte Video-Material aus Strolls Bordkamera legt die Vermutung sehr nahe, dass der Kanadier kaum verantwortlich war für den Crash. Stroll hatte nach der Zieldurchfahrt die Ideallinie verlassen, er fuhr sehr langsam, um mit den Reifen etwas Gummi aufzusammeln, wollte friedlich um die Kurve biegen, übersah allenfalls das drohende Unheil im Rückspiegel. Dieses Unheil war ein roter Rennwagen, der mit höherer Geschwindigkeit von hinten angesaust kam, einlenkte und Stroll so dicht vor den Wagen bog, dass er nicht mehr ausweichen konnte. Vettel sah das natürlich wieder anders. "Ich nehme es nicht persönlich. Ich denke, dass er nicht in den Spiegel geschaut hat", sagte er.

Das vom Crash betroffene Getriebe an Vettels Wagen, das eigentlich sechs Rennen halten soll, wurde zur Überprüfung nach Maranello geschickt. Dem ersten Anschein nach hat es keinen Schaden genommen. Es musste also nicht getauscht werden, was Vettel eine Strafversetzung um fünf Plätze eingebracht hätte. "Endlich mal eine gute Nachricht nach lauter schlechten", befand Ferraris Rennleiter Maurizio Arrivabene. Dazu muss man wissen, dass Arrivabene nicht mehr für allzu viele schlechte Nachrichten sorgen darf. Im Hintergrund tobt sein Boss Sergio Marchionne, der nach dem Crash von Singapur und den Motorschäden von Malaysia angekündigt hat, "an der Qualitätskontrolle" zu arbeiten und "ein paar organisatorische Veränderungen" vorzunehmen. "So ein Problem während des Rennens zu haben, macht uns sehr wütend", so Marchionne.

"Die Schlinge der Sorgen legt sich um den Hals der Ferarristi", dichten italienische Medien

Er ging nicht weiter ins Detail, doch für die Qualität ist in Ferraris Organigramm in letzter Instanz Arrivabene verantwortlich. "Die Schlinge der Sorgen legt sich um den Hals der Ferraristi und nimmt ihnen den Atem", dichtete La Repubblica etwas pathetisch. Jenes Teil, das Ferraris Qualitätskontrolle niemals hätte passieren dürfen, das Vettel in die letzte Startreihe verbannte und das auch für den Ausfall von Teamkollege Kimi Räikkönen noch vor dem Start in Malaysia sorgte, war ein schlichter Schlauch aus Karbon, der den Turbolader mit dem Motor verbindet. Er hatte einen Riss. Ob Ferrari das Problem nun im Griff hat? "Man kann nie ganz sicher sein, die Probleme gelöst zu haben", sagt Ferraris Technikchef Mattia Binotto.

Im ersten freien Training am Freitag setzte Vettel die Bestzeit. Mehr als zwei Zehntelsekunden war er schneller als Hamilton. Die Session am Nachmittag taugte dann nicht zur Diagnose, ob der Mercedes des Briten tatsächlich zur Unzeit ins technologische Hintertreffen geraten ist, ob Toto Wolffs Gremlin-Jagd weitergeht. Weil sich bei Dauerregen nur fünf Piloten für wenige Minuten auf die Strecke wagten.

"Mein Auto ist ein bisschen wie ich", hat Hamilton in Suzuka erzählt: "Es hat großartiges Potenzial, aber es macht nicht immer das, was es soll." Die Saison dauere nun schon sehr lange, aber er könne leider "immer noch nicht abschätzen: Wird mein Auto auf der kommenden Strecke sehr gut oder schwierig sein?"

So großartig Hamiltons Potenzial auch sein mag, er weiß genau: Sollte sein Gegner im Ferrari alle fünf ausstehenden Rennen gewinnen und Hamilton jeweils Zweiter werden, Vettel wäre zum fünften Mal Weltmeister. Mit einem Punkt Vorsprung.

© SZ vom 07.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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