Formel 1:Der Spuk nach der Scheidung

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Trio auf Zeit: Am Ende der Saison wird sich Sebastian Vettel bei Ferrari von Teamchef Mattia Binotto und Charles Leclerc (v.l.) verabschieden. (Foto: Kenzo Tribouillard/AFP)

Nach einer turbulenten Woche, geprägt vom Ende der Liaison zwischen Vettel und Ferrari, bleiben viele Fragen offen.

von Philipp Schneider, München

Sicher, möglich ist es. Nun, da sich die Anzeichen mehren, dass die Formel 1 in diesem Jahr eine zwar sehr geisterhafte Saison auf die Bühne bringen wird. Aber doch eine, die einst in den Chroniken tatsächlich als ordentliche Weltmeisterschaft geführt werden könnte. Acht Rennen müssen mindestens gefahren werden, auf drei verschiedenen Kontinenten. Das ist die Voraussetzung laut der Statuten.

Am Freitag gab der wallonische Ministerpräsident Elio Di Rupo bekannt, dass der Große Preis von Belgien im August wohl trotz des bestehenden Versammlungsverbots ohne Zuschauer stattfinden könne. Wenn die britische Regierung zustimmt, soll in Silverstone zweimal gefahren werden - auch der Hockenheimring, der in diesem Jahr gar nicht vorgesehen war im Rennkalender, verhandelt weiter mit der Formel 1 über die Austragung von bis zu zwei Grand Prix. Und wenn es schon eine ordentliche Weltmeisterschaft gibt, na klar: Theoretisch könnte Sebastian Vettel Ende des Jahres auch als Weltmeister abtreten bei der Scuderia Ferrari.

Doch jenseits aller Überlegungen, ob der Kommandostand Vettel in dessen Abschiedssaison frei fahren und Charles Leclerc, dem 22-jährigen Teamkollegen mit einem Vertrag bis 2024, enteilen lassen würde: Der Plan dürfte schon allein daran scheitern, dass der rote Rennwagen mit der Jubiläums-Kennzahl SF1000 vermutlich noch weniger konkurrenzfähig sein wird als der SF90 des Vorjahres. Weil der Automobil-Weltverband Fia den Zufluss des Benzins zu den Motoren der Ferraris von 2019 als nicht regelkonform beanstandet hatte, mussten die Ingenieure aus Maranello auch den Antrieb des diesjährigen Modells sehr kurzfristig umplanen. Bei den Wintertests hinterließ der SF1000 nicht den schnellsten Eindruck, im Rennbetrieb war er wegen der Corona-Pandemie noch gar nicht zu sehen.

Zweifelsfrei wäre ein Titelgewinn Vettels eine humorvolle Pointe nach den heftigen Turbulenzen, die die Formel 1 in dieser Woche durchgeschüttelt haben. Auf die Bekanntgabe der Scheidung zwischen Ferrari und Vettel zum Saisonende am Dienstag folgte nur 48 Stunden später die Enthüllung von zwei Transfers, die schon vorher ausgehandelt worden sein dürften: Carlos Sainz junior steigt in Vettels Ferrari um. Und seinen McLaren übergibt Sainz an Daniel Ricciardo, der seinerseits einen Renault zurücklässt. Steigt Vettel dort ein?

Dem Vernehmen nach wartet Vettel nun ab, prüft seine Optionen, beobachtet die Entwicklung in der Formel 1. Noch weiß niemand, wie gravierend die wirtschaftlichen Schäden ausfallen, die die Pandemie an der Statik der Rennserie hinterlassen wird. Am Freitag bestätigte Teamchef Mattia Binotto, die Scuderia prüfe, ob man in die amerikanische IndyCar-Serie einsteigen werde - und zwar zusätzlich zum Engagement in der Formel 1. Expansion in Zeiten einer drohenden Rezession? Klingt paradox. Der Zug ist aber auch als Folge der Sparmaßnahmen zu deuten, die die kleineren Teams gegen den anfänglichen Widerstand Ferraris durchgedrückt haben.

Ab 2021 müssen vor allem die drei großen Teams - Mercedes, Red Bull und Ferrari - mit ihren Heerscharen an Mitarbeitern und Jahresetats von mehr als 300 Millionen Euro die Ausgaben drosseln. Der vereinbarte Kostendeckel beträgt dann 145 Millionen Dollar pro Team und Saison. Binotto argumentiert nun, er erwäge den Sprung nach Übersee, um die Mitarbeiter zu halten, denen gegenüber Ferrari "eine hohe soziale Verantwortung" verspüre. Das klingt fein - zumal am Ende einer Woche, in der er sich von seinem führenden Angestellten getrennt hat. Man wolle nun, wie Binotto sagte, einen "Zyklus des Sieges" mit Leclerc und Sainz einleiten.

Ferraris Pläne zeigen auch, wie groß die wirtschaftliche Verunsicherung in der Formel 1 ist. Im Zuge der vergangenen Finanzkrise zogen sich BMW, Toyota und Honda aus der Serie zurück. Solange Mercedes die auslaufenden Verträge mit Lewis Hamilton und Valtteri Bottas nicht verlängert und so ein klares Zeichen zum Verbleib in der Formel 1 setzt, zugleich ein Cockpit bei Renault unbesetzt ist, hat Vettel Optionen. Zumindest in der Theorie.

Mark Webber, Vettels ehemaliger Teamkollege bei Red Bull, hat gerade auf Twitter eine kryptische Botschaft verschickt, die wohl so gedeutet werden soll, dass ein Engagement Vettels bei Renault aus Webbers Sicht kein Abstieg wäre. Denn wenn ab 2021 der Kostendeckel greift - könnte Vettel dann nicht eines fernen Tages auch in einem bisherigen Mittelklassefahrzeug um den Titel fahren? Auch dies: bloße Theorie. Wie das Gespenst Fernando Alonsos, das zwei Jahre nach seinem Abschied aus der Formel 1 mal wieder umherspukt und bei Renault gesichtet worden sei soll.

Theorie, wie alle Planspiele im Jahr der Pandemie, in dem die Formel 1 Mitte Mai noch keinen Notkalender verschickt hat - für eine Saison, die schon in sieben Wochen mit zwei Geisterrennen in Spielberg starten soll.

© SZ vom 17.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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