Formel 1:Der Milliarden-Dollar-Mann

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In Rekordzeit hat Lewis Hamilton geschafft, wovon jeder Rennfahrer träumt: Als Weltmeister ist er nun Anführer eines Siegerteams.

Rene Hofmann

Lewis Hamilton ist jetzt eine politische Größe. Kurz nachdem der 23-Jährige in Brasilien in dramatischem Stil zum jüngsten Weltmeister der Formel-1-Geschichte aufgestiegen war, meldete sich der britische Premierminister Gordon Brown zu Wort: ,,Das ganze Land freut sich riesig über sein außergewöhnliches Talent. Wir alle sind stolz auf den inspirierenden Lewis Hamilton.'' In seltener Einigkeit pflichtete David Cameron, der Führer der konservativen Opposition, bei: ,,Lewis ist nun offiziell eine Sportlegende und ein Vorbild dafür, was man erreichen kann, wenn man seinem Traum folgt.''

Strahlemann inmitten seines Teams: Lewis Hamilton, Weltmeister (Foto: Foto: dpa)

Eine offizielle, alle inspirierende, außergewöhnliche Legende - mehr Ballast ist selten auf einen jugendlichen Fahranfänger gehäuft worden. Gegen das, was nun auf Hamilton einprasselt, waren die Ovationen bei Michael Schumachers erstem Formel-1-Titel 1994 bescheiden. Weil Hamilton der erste dunkelhäutige Champion ist, muss er damit leben, mit Arthur Ashe und Tiger Woods verglichen zu werden, die dem Tennis und dem Golf eine neue Bevölkerungsschicht erschlossen. Weil er es so jung wie kein anderer in der Fahrerwertung ganz nach vorne geschafft hat, haben die Hochrechnungen begonnen: Wie viele Titel kann er wohl sammeln? So viele wie Ayrton Senna - drei? So viele wie Juan Manuel Fangio - fünf? Oder sogar mehr als die sieben von Michael Schumacher?

Der deutsche PS-Heroe hatte vor dem Finale bereits ausgerichtet: Die Statistik-Spitze bedeute ihm wenig. ,,Niemand - nicht einmal ich - hatte doch daran gedacht, dass ich Fangios Rekord brechen könnte'', hatte Schumacher gesagt: ,,Aber dann habe ich es geschafft. Rekorde sind dafür da, gebrochen zu werden.'' An diesem Montag zeigte Schumacher sich vom Finale begeistert. ,,Ich bin überwältigt'', ließ er auf seine Homepage schreiben: ,,Ich gratuliere Lewis Hamilton.'' Felipe Massa - trotz des souveränen Sieges bei seinem Heimrennen in der Endabrechnung um einen Punkt geschlagen - blieb nur Zuspruch. ,,Felipe kann erhobenen Hauptes aus diesem Rennen gehen'', meint sein Mentor Schumacher: ,,Mit dieser Leistung hat er die letzten Zweifler überzeugt. Er wird im nächsten Jahr sicher wieder angreifen.''

Nach Meinung der meisten Fachleute dürfte er dann aber auf einen noch stärkeren Gegner treffen. Erfahrung zählt viel im Motorsport, und ein Erfolg wirkt oft wie ein Karriere-Turbo. ,,Lewis wird noch weitere Titel gewinnen'', ist Damon Hill überzeugt: ,,Er hat die größte und schwerste Prüfung überstanden, die man sich denken kann.'' Hill weiß, wovon er spricht. Sein Vater Graham holte 1962 und 1968 den Titel. Der Sohn triumphierte 1996. Vor Hamilton war er der letzte Champion aus dem Geburtsland des Sports gewesen. Jackie Stewart, 1969, 1971 und 1973 der Erfolgreichste, sagt: ,,Lewis steht noch am Anfang seiner Karriere - und er hat exzellente Unterstützung.'' Stirling Moss, der 16 Formel-1- Siege feierte, findet: ,,Er ist ein echter Rennfahrer. Er lässt sich nicht beirren.''

In der Tat ragt dieser Wesenszug bei jeder Charakterstudie des Emporkömmlings heraus. Der Wunsch, es im Leben zu mehr zu bringen als die Vorgängergeneration, zieht sich bei den Hamiltons durch die Familien-Biographie. Die Vorfahren seines Vaters Anthony wanderten in den fünfziger Jahren von der Insel Grenada nach Großbritannien ein. Der Großvater arbeitete bei der U-Bahn, der Vater ging teilweise zwei Jobs nach, um die Rennfahr-Leidenschaft finanzieren zu können, die er mit einem ferngesteuerten Auto in seinem Sohn geweckt hatte, als der sechs Jahre alt gewesen war.

Mit kleinen Spielzeugautos hielt Lewis Hamilton sich nicht lange auf. Schnell saß er in größeren. Als er als Zehnjähriger für seine Erfolge im Go-Kart geehrt wurde, sprach er auf einer Preisverleihung frech McLaren-Chef Ron Dennis an: Eines Tages wolle er für den berühmten Rennstall fahren. ,,Melde dich in einigen Jahren wieder'', entgegnete Dennis ihm, der heute sagt: ,,In seinen Augen war damals schon eine enorme Leidenschaft zu erkennen.'' Keine drei Jahre nach der ersten Begegnung hatte Hamilton so viele Rennen gewonnen, dass Dennis selbst zum Telefon griff und den 13-Jährigen unter Vertrag nahm. Wie einst bei Michael Schumacher, dessen Talent in der Sportwagen-WM reifte, spielte Mercedes als Geldgeber auch bei Hamiltons Aufstieg eine Rolle.

So gewissenhaft und lange wie Hamilton wurde zuvor aber noch keiner auf eine Motorsport-Karriere vorbereitet. Vor seinem Formel-1-Debüt im März vergangenen Jahres lernte er das Reglement auswendig und absolvierte Tausende Testkilometer - auf der Strecke und im Simulator. Den Neuling in ein siegfähiges Auto zu setzen, war eine gewagte Nummer. Sie ging auf. In seinem ersten Formel-1-Lauf wurde Hamilton auf Anhieb Dritter. Im Laufe der Saison entzauberte er seinen Teamkollegen, den zweimaligen Meister Fernando Alonso. Am Ende verlor Hamilton den Titel in seinem Premierenjahr nur um einen Punkt - weil er zu oft seinen Instinkten folgte und lieber auf Sieg fuhr, als seinen komfortablen Vorsprung klug zu verwalten. Dass ihm der gleiche Fehler in diesem Jahr nicht wieder unterlief, unterstreicht seine Lernfähigkeit. Dass er sich auch von zum Teil schwer nachvollziehbaren Urteilen der Rennkommissare nicht aus der Bahn werfen ließ, zeigt seine Abgebrühtheit. ,,Ich weiß nicht, wie ich cool geblieben bin'', gab er in São Paulo an, als er aus dem Auto geklettert war. In Zukunft weiß er es.

Alonso hat er aus dem Team gedrängt, das in den vergangenen zehn Jahren regelmäßig um den Titel kämpfte. Heikki Kovalainen, der auch 2009 den zweiten McLaren fahren darf, ist für Hamilton in etwa das, was Rubens Barrichello für Michael Schumacher war: ein treuer Begleiter. In Windeseile hat Hamilton sich geschaffen, wovon jeder Rennfahrer träumt: Er ist der unumstrittene Anführer einer Siegermannschaft. ,,Wir sind eine ideale Kombination'', findet Mercedes-Sportchef Norbert Haug. Um die Bindung zu festigen, erhöhte das Team zuletzt Hamiltons Bezüge freiwillig deutlich. Im Gegenzug schwor der Pilot öffentlich, seinem Arbeitgeber immer treu bleiben zu wollen. Im Moment sieht es nach einer für viele gewinnbringenden Verbindung aus. Der Titel 2008 ist der erste für McLaren seit Mika Häkkinens Erfolg 1999. Das Finale verfolgten in England 13,1 Millionen Fans am Fernseher, woraus Marketing-Experten errechneten, was Hamilton künftig verdienen könnte. Im kommenden Jahr sollen es 100 Millionen Dollar sein. In seiner ganzen Karriere könnte mehr als eine Milliarde zusammenkommen.

© SZ vom 4.11.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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