Formel 1:Clowns und Helden

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Selten war der Abstand zwischen den Top-Piloten und ihren Teamkollegen in der Formel 1 so groß wie 2006.

Elmar Brümmer

Unter allen Umständen siegen - die Devise, mit der Michael Schumacher und Ferrari beim Überseetrip der Formel 1 den bisherigen Saisonverlauf doch noch zu ihren Gunsten drehen wollten, wurde beim Großen Preis von Kanada vorgelebt. Besser gesagt: Vorgeführt.

Mit gesenktem Kopf: Juan Pablo Montoya setzt seinen McLaren gegen eine Mauer und scheidet aus. (Foto: Foto: AP)

Allerdings vom großen Gegner Fernando Alonso im Renault, der im Jahr seiner unweigerlich näher rückenden Titelverteidigung gegen alle Un-, Zwischen- und Ausfälle resistent erscheint. Von diesen Unwägbarkeiten gab es während der 70 Runden von Montreal so viele, dass sie für die nun beginnende zweite Saisonhälfte locker reichen würden.

Abgesehen vom neuerlichen Alon-Solo, bei dem Michael Schumacher Zweiter und Kimi Räikkönen Dritter wurde, bezieht das Rennjahr seine unterhaltenden Elemente aus glimpflich verlaufenden Patzern. Zuverlässig unzuverlässig geben sich die üblichen Verdächtigen der Grand-Prix-Branche. In chronologischer Reihenfolge: Giancarlo Fisichella (Renault) - Frühstart samt Stop-and-go-Strafe.

Juan Pablo Montoya (McLaren-Mercedes): Rempler mit Nico Rosbergs Williams, später ein Crash mit der Mauer. Ralf Schumacher (Toyota): Sechs Boxenstopps und Ausfall mit einem durch die falsche Reifenwahl kaum steuerbaren Auto. Jacques Villeneuve (BMW): Beim Ausweichen ausgerutscht, Crash in die Mauer. Clowns und Helden.

Wie sehr wünschen sich wohl die drei Spitzenpiloten Fernando Alonso, Michael Schumacher und Kimi Räikkönen endlich adäquate Teamkollegen, die ihnen tatkräftiger zur Hilfe kommen können. Fisichella wurde Vierter, Felipe Massa im Ferrari Fünfter, Montoya fiel aus.

Der Dank der 120000 Zuschauer dürfte den erwähnten Herrschaften und ihren verunglückten Manövern dennoch sicher sein, nur dadurch und den zweifachen Einsatz des Safety Cars wurde ein eigentlich früh zu Gunsten von Fernando Alonso entschiedenes Rennen spannend. Der Spanier lag zwischenzeitlich 25 respektive 40 Sekunden vor den Verfolgern Räikkönen und Schumacher, was viel über die Machtverhältnisse aussagt.

Größter Profiteur der Spannung am Ende war Michael Schumacher, der in den letzten drei Runden Räikkönen den zweiten Platz noch abjagte, begünstigt durch das Safety-Car, eine doppelte Boxenstopp-Panne bei McLaren und einem Ausritt des Finnen in der Haarnadelkurve.

"Fahren wie auf Schnee"

Allen Randstreifen-Ausflüglern muss man zu Gute halten, dass die Bedingungen auf der provisorischen Rennstrecke in Montreal denen einer Rallye glichen. Der Asphalt bekam in der Sonntagshitze bei 48 Grad Temperatur Risse, klumpte, löste sich auf. "Es war ein Fahren wie auf Schnee", klagte BMW-Pilot Nick Heidfeld, am Ende Siebter. Ein bisschen ausgleichende Gerechtigkeit.

All jene, die in der Qualifikation unter den wechselnden, kühleren Bedingungen gelitten hatten, brachten Reifen und Autos wieder in die Balance. Aber auch Michael Schumacher war mit einem Dreher und einem Mauerkontakt zweimal dem Aus näher als dem Podium.

Champions zeichnet es aus, dass sie schwierige Bedingungen so weit wie möglich ignorieren. Alonso kennt die Einsamkeit des Spitzenreiters inzwischen gut, aber die ungewöhnlichen Umstände forderten auch von ihm alles: "Es war nicht leicht, die Konzentration zu halten. Ich hatte einen angenehmen Vorsprung, aber niemals Sicherheit." Die Ideallinie als Rutschbahn.

Schumacher war ungeachtet dessen gezwungen, am Ende volles Risiko zu gehen, und er hielt - anders als Räikkönen - dem Druck stand. Für den Interpretationswettbewerb, ob er seine Karriere über die Saison hinaus fortsetzen wird, lässt die Darbietung zwei Schlüsse zu. A: Schumacher ist gefahren, als ob es kein Morgen mehr gibt. B: So fährt keiner, der aufhören will.

Aus Verzweiflung wird Hoffnung

Aber diese Denkweise wäre dem Kerpener - er kann es nicht oft genug betonen - zu kurzfristig. Im Augenblick denkt er nur an den Titel, den er immer noch als an Alonso ausgeliehen sieht. Das hat was von Unerschütterlichkeit, angesichts von 25 Punkten Rückstand bei noch neun Rennen - zumal Alonso seit genau einem Jahr nicht mehr ausgefallen ist.

Dass müsste vor dem US-Grand-Prix am kommenden Sonntag in Indianapolis den Realitätssinn stärker tangieren, als es Ferrari zugeben kann. Aus Verzweiflung wird Hoffnung.

Pragmatismus dagegen bei Kimi Räikkönen, für den es trotz der ansteigenden technischen Form seines McLaren keinen Unterschied macht, ob er Zweiter oder Dritter wird. Den Titel hat er nicht mehr im Fokus, nur noch Siege. "Schadensbegrenzung", nennt man das wohl, und so nannte auch Michael Schumacher sein Abschneiden.

Vor der Siegerehrung hielt der siebenmalige Weltmeister ein weißes Handtuch zwischen den Fingern, hütete sich vor den Kameras aber, es zu werfen.

© SZ vom 27.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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