Formel 1:5:4 für Hamilton

Lesezeit: 4 min

Nach dem fünften WM-Titel gibt sich der Brite Lewis Hamilton zunächst demütig - macht dann aber doch noch eine Kampfansage. In der Bestenliste seines Sports könnte er bald Erster sein: "Ich habe noch einiges zu erledigen."

Von Elmar Brümmer, Mexiko-Stadt

Die Frage, die ganz England bewegen soll, war eine altbekannte aus dem vergangenen Jahr. Aber damit muss einer leben, der zum zweiten Mal nacheinander schon im drittletzten Rennen der Saison zum Formel-1-Weltmeister wurde, und dafür nicht mal aufs Podium kommen musste. Wie denn nun, da er als fünfmaliger Champion die zweithöchste Stufe in der Historie seines Sports erreicht hat, die Chancen auf eine Ernennung zu "Sir Lewis" stehen würden?

Bevor Hamilton, dem beim Großen Preis von Mexiko ein vierter Platz zum Triumph reichte, über Union Jack, Queen und Nationalstolz sprach, träufelte er zunächst ein bisschen Häme über den Reporter, der es offenbar nicht immer gut mit ihm gemeint hat: "Schön, dass wir nach Jahren mal wieder sprechen, wir hatten ja keine einfachen Zeiten, aber ich habe ein paar der Geschichten über mich gelesen - vielen Dank auch dafür. . . Aber was das andere angeht: Mir reicht es schon, die Königin ein paarmal getroffen zu haben."

Ist das ein sogenanntes "Victory-Zeichen" oder eine symbolische Ziffer "2", die Lewis Hamilton nach seinem Titelgewinn in Mexiko Stadt zeigt? Zwei Weltmeisterschaften fehlen ihm ja nur noch, um mit dem siebenmaligen Sieger Michael Schumacher gleichzuziehen. (Foto: Dan Istitene/AFP)

Der Korpsgeist der englischen Reporter schwenkte nach dieser Abfuhr um, jetzt musste es um den sportlichen Ritterschlag gehen. Angeführt vom BBC-Experten Jolyon Palmer, dessen Formel-1-Lebensleistung in neun WM-Pünktchen in anderthalb Jahren zu messen ist. Palmer ernannte Hamilton geschwind zum Besten der Besten, denn Michael Schumacher, der mit sieben Titeln immer noch der Rekordchampion ist, sei ja ein höchst kontroverser Pilot gewesen, argumentierte Palmer. Hamilton selbst, der 2013 Schumachers Platz bei Mercedes eingenommen hatte, mochte sich keineswegs als der "Größte aller Zeiten" einordnen: "Da ist immer noch Michael. Ich werde immer ein Fan von ihm sein, aber ich werde versuchen, ihm nahe zu kommen. Ich bleibe ja noch ein paar Jährchen. Ein Schritt nach dem anderen. Ich bin schon stolz, mit ihm und Fangio in einem Atemzug genannt zu werden, auch wenn es sich surreal anfühlt."

"Lass bloß nicht nach, damit ich im nächsten Jahr richtig gegen dich kämpfen kann", bittet Vettel

Lewis Hamilton, der so omnipräsent ist in den Sozialen Medien, lässt einen nur das von seiner Persönlichkeit sehen, was er preisgeben möchte, darin unterscheidet er sich nicht von Gegenspieler Sebastian Vettel. Am Sonntag sagte er: "Ich erlaube es mir nicht, öffentlich zu viele Gefühle preiszugeben. Im Augenblick spüre ich nur Demut, nicht in einer Million Jahre hätte ich geglaubt, hier zu stehen." Das ausgelassene Tänzchen mit seiner Trainerin Angela Cullen auf dem Asphalt enthüllte bei Hamilton die Erlösung von einer inneren Anspannung. Er lachte erst, als sich Fernando Alonso als Journalist ausgab und die Frage stellte: "Heißt du wirklich so? Wie schnell kannst du fahren?" Selbst den drängenden Bitten der Fotografen auf ein Bild mit fünf gespreizten Fingern einer Hand verweigerte er sich. Dreieinhalb Stunden nach Renn-Ende flog er mit ein paar Kumpels im Privatjet nach Los Angeles.

Etwas perplex wirkte er auch, als er nach dem Rennen gerade seinen Silberpfeil in einer Parktasche im riesigen Rennstadion abgestellt hatte und Sebastian Vettel auf ihn zukam. Vettel war ganz froh, den unangenehmen Fragen des Moderators nach dem vierten vergeblichen Anlauf mit Ferrari entfliehen zu können. Er umarmte den Rivalen, die beiden fanden vor der lärmenden Kulisse von 135 000 Zuschauern den innigsten Moment der Zweisamkeit im ganzen Jahr. Vettel nahm Hamilton in den Arm und gratulierte: "Lass bloß nicht nach, damit ich im nächsten Jahr richtig gegen dich kämpfen kann." Zusammen haben die zwei ungleichen Rennfahrer in elf Jahren neun Titel geholt, Zwischenstand 5:4 für Hamilton. Vettel zeigte Größe, er marschierte in die Mercedes-Box und gratulierte auch allen Ingenieuren.

Der Triumph Hamiltons ist nicht ohne das Scheitern Vettels zu betrachten. Der 31-Jährige hatte in Mexiko bei aller Aussichtslosigkeit leidenschaftlich gekämpft und keinen Fehler gemacht. Er wurde Zweiter, hätte aber gewinnen müssen, um die Entscheidung im Titelkampf noch aufzuschieben. Selbstkritisch stellte er fest: "Dieser Moment ist der absolute Horror, nachdem ich so viel reingesteckt habe. Ich habe diese Enttäuschung schon dreimal erlebt. Unterm Strich war es kein einfaches Jahr, vielleicht mein schwierigstes Jahr in der Formel 1. Auch wenn ich das nicht will: Aber es gibt leider Tage, an denen man nicht der Beste ist. Es war der Tag von Max und das Jahr von Lewis. Ich bewundere seine Leistung auf der Strecke."

Mercedes-Teamchef Toto Wolff war so sauer, in Mexiko nur das drittschnellste Auto gehabt zu haben, dass er nicht fähig war, bei der Zieldurchfahrt über Boxenfunk zu gratulieren. Ferrari ist in der Konstrukteurs-Wertung wieder auf 55 Punkte an Mercedes herangerückt. Wolff will auch in diesem Wettbewerb den fünften Titel nacheinander. Deshalb flog die Mannschaft sofort zurück in die Rennfabrik nach Mittelengland. Vorher fand Wolff aber die Zeit, seinen sportlichen Ziehsohn zu würdigen: "Normalerweise preisen wir die Großen erst, wenn ihre Karrieren vorbei sind. Aber heute müssen wir uns einen Moment Zeit nehmen, um die Leistung von Lewis anzuerkennen. Er hat in dieser Saison immer den Unterschied ausgemacht."

In Mexiko kam eine private Last hinzu, die Hamilton erst nach dem Rennen preisgab: Sein Großvater Davidson Augustine Hamilton war am Donnerstag gestorben, weshalb niemand seiner engsten Angehörigen anwesend war - und der Brite ist mindestens so sehr Familienmensch wie Vettel: "Ich werde nie vergessen, was mein Großvater für mich getan hat. Ein starker Mann." Aus der eigenen Geschichte zieht Hamilton Kraft. "Ich habe meine Energie in die richtigen Kämpfe gesteckt und die richtige Balance in mein Leben. Mein letztes Jahr war schon großartig, und ich musste überlegen, wie ich noch mehr herausholen konnte, und ich habe diesen Flow gefunden, bin rundum besser geworden. Es gab einige magische Momente. Ich habe gespürt, dass ich das Auto dahin bringen kann, wo es niemand sonst hinbringt."

Jetzt ist Hamilton als fünfmaliger Weltmeister in einer neuen Dimension angekommen. Eine Dimension, die ihm nicht genügt. Er verabschiedete sich mit einer Kampfansage: "Ich habe noch einiges zu erledigen!" Im Fahrerlager gewannen die Trompeter der Mariachi-Kapelle noch einmal die Oberhand. Es klang wie ein Halali.

© SZ vom 30.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: