Flügelflitzer: Fußballernächte:Aus der Tiefe des Schlafes

Lesezeit: 2 min

Alkohol, Mitternachtsbummel und Kabinenschläfer: Im nächtlichen Zeitfenster können sich Fußballer noch stark verbessern.

Johannes Aumüller

Seit sich die modernen Fußballtrainer von heute unverschämterweise erdreisten, die Anwesenheitszeiten eines Fußballers auf dem Vereinsgelände zu erhöhen und den Arbeitstag in ein Acht-Stunden-Gerüst zu pressen, haben die Klinsmann'schen "Zeitfenster" besondere Bedeutung gewonnen. So ein Zeitfenster-Tag sieht beispielweise vor, von zehn bis halb zwölf zu trainieren, von halb zwölf bis halb eins was zu essen, von halb eins bis halb zwei zu regenerieren, dann Spanisch zu lernen, wieder zu trainieren, bei einer Partie Schafkopf zu relaxen und so weiter (Toilettenpausen sind variabel).

Es gibt sicherlich bequemere Schlafstätten als eine kahle Fußballkabine. (Foto: Foto: ddp)

Die noch moderneren Fußballtrainer von morgen wissen aber längst, dass das entscheidende Zeitfenster nicht irgendwo zwischen acht Uhr morgens und 22 Uhr abends liegt - sondern in der Zeit dazwischen. Aus der Tiefe des Schlafes können große Erfolge entstehen, doch sind die Fußballer natürlich auch nur Menschen und verbringen die Zeit zwischen Sonnenauf- und Sonnenuntergang eben nicht nur mit erholsamem Dösen.

Doch all das Schöne des nächtlichen Lebens ist dem Fußballer untersagt. Alkohol und Pokern sind verpönt, spätestens seit Paul Breitner & Co. die Nächte des WM-1982-Trainingslagers am Schluchsee zum kräftigen Einprosten nutzten und das schöne Gewässer im Schwarzwald als "Schlucksee" die Skandalgeschichte der Nationalelf bereichert. Sex ist auch nicht so dolle, wie der deutsche Mannschaftsarzt Tim Meyer bei der EM 2004 sagte, weil die körperliche Belastung zwar nicht größer sei als bei einem normalen Training, aber es daneben ja auch noch die emotionale Anstrengung gebe und er Sex wenige Stunden vor dem Spiel deshalb für problematisch halte. Selbst ein ausführlicherer Mitternachtsspaziergang ist nicht mehr drin, wie Berlins Patrick Ebert und Dortmunds Kevin Prince Boateng in der vergangenen Woche erfahren mussten.

Und selbst die naheliegendste Nachtbeschäftigung ist nicht ohne Probleme. Schließlich bleibt immer die Frage, wo jemand schläft. Reform-Trainer Klinsmann wäre nicht Reform-Trainer Klinsmann, wenn er dem Fußball nicht schon eine Heimschläfer-Debatte geschenkt hätte. Zunächst durften die Münchner Kicker vor Heimspielen zu Hause schlafen, dann mussten sie doch wieder ins Hotel, und sie können nur froh sein, dass ihnen bisher nicht das Schicksal der Herren Heiner Backhaus und Adriano Grimaldi vom Regionalligisten FC Sachsen Leipzig widerfuhr: Die nächtigten vor dem Auswärtsspiel bei Hansa Rostock II nämlich weder zu Hause noch im Hotel, sondern in der Kabine.

Tim Meyer hat sich bis jetzt noch nicht geäußert, wie emotional anstrengend es ist, vor einem Spiel in einem engen und ungemütlichen Kabuff auf Schlafsack und Isomatte zu pennen, in einem Raum, der ungemütlicher ist als die Rückbank eines VW Golf und den allerhöchstens ein paar Bierchen erträglich machen würde - doch das wäre auch nicht im Sinne des Erfinders (siehe Breitner, siehe Schlucksee). Sachsen Leipzig verlor jedenfalls mit 2:3, die Rostocker Reserve war deutlich spielüberlegen, und Rückschlüsse der Leistung auf die Schlafstätte sind naheliegend.

Und Schuld hat die Finanzkrise

Backhaus und Grimaldi müssen aber nicht mit Sanktionen rechnen. Denn der ungewöhnliche Übernachtungsort war nicht ihre Schuld, sondern die des Vereines. Um Hotelkosten zu sparen, waren die Sachsen nicht wie gewohnt am Vorabend an die Küste gefahren, sondern erst am Spieltag selbst. Und weil der Team-Bus schon am frühen Sonntagmorgen abfuhr, nächtigte das sonst im nahen Halle untergebrachte Spielerduo in der Kabine. "Sonst hätten wir im Morgengrauen aufstehen müssen. Besondere Situationen erfordern eben besondere Maßnahmen", sagte Backhaus der Leipziger Volkszeitung.

Das Schlimme ist: Man kann den Verantwortlichen von Sachsen Leipzig nicht einmal mangelnde Weitsicht nach dem Motto "Wenn die Mannschaft komplett fit gewesen wäre, hätte sie vielleicht gewonnen und würde in der Tabelle besser stehen" vorwerfen. Denn selbst ein Sieg hätte die Lage des Klubs kaum verändert, Sachsen Leipzig ist insolvent und steht bereits als erster Regionalliga-Absteiger fest. Die Finanzkrise nimmt dem Fußball also alles, von den Scouts des FC Chelsea bis zu den Hotelübernachtungen von Sachsen Leipzig, und vielleicht rationalisiert sie ihm bald auch noch den Acht-Stunden-Tag weg.

© sueddeutsche.de/hum - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: