Fitness und Parolen:Wir! sind! nicht! müde!

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Der Familienurlaub der deutschen Fußball-Nationalmannschaft entpuppt sich als hartes Trainingslager. Nach zwei Tagen auf Sardinien sind die Spieler beeindruckt vom angeblichen Regenerationstraining.

Christof Kneer

Vielleicht ist es ja wirklich so, dass eine Weltmeisterschaft magische Kräfte weckt in Oliver Kahn. Jedenfalls flog dieser Kahn jetzt wild durch den Strafraum, und als der Ball bei ihm ankam, machte er sich lang und noch mal länger, er erreichte den Ball tatsächlich, und dann - ja, dann köpfte er ihn platziert ins Netz.

Oliver Kahn schießt Flugkopfballtore im WM-Trainingslager, so ist das nämlich. Er hat eine Art Rechtsaußen gespielt beim Acht-gegen-Acht-Handballmatch, dessen Regeln gemeinerweise dadurch erschwert wurden, dass Tore nur mit dem Kopf erzielt werden durften.

Manchmal hat sich Kahn auch nach hinten fallen und geschickt die Bälle verteilt, und hinterher sind sich alle einig gewesen, dass Kahn eindeutig der Beste war in diesem Spiel, das er mit der gefühlten kicker-Note von 1,5 abschloss.

Sie machen ganz erstaunliche Dinge, drunten in Sardinien. Man hat ja ohnehin ziemlich gespannt sein dürfen auf diese Veranstaltung, für die es in Deutschland keinerlei Erfahrungswerte gibt. Noch nie hat ein deutscher Bundestrainer seine WM-Spieler in ein Familienurlaubstrainingslager gesteckt, auch das hat sich Klinsmann bei einem seiner Inspiratoren, dem französischen Weltmeister-Trainer Aimé Jacquet, abgeguckt.

Die Spielerfrauen machen umsonst Urlaub

Hierzulande hat jedenfalls niemand gewusst, was Regenerationstrainingslager bedeutet, und manche haben schon darauf gehofft, dass die Spielerfrauen vielleicht bei Mark Verstegens Ententanz mitmachen müssen, während draußen der Animateur Lukas Podolski die Kinder unterhält.

Aber so ist es jetzt doch nicht gekommen. Im Prinzip hat sich das Familienurlaubstrainingslager gerecht aufgeteilt: Die Familien machen Urlaub, die Männer machen Trainingslager. "Für die Frauen ist das gut, die können hier umsonst Urlaub machen", sagt Bastian Schweinsteiger. Und Per Mertesacker sagt: "Meine Freundin ist total zufrieden hier, die Frauen stehen ja auf Sonne."

Es hat jetzt genau zwei Tage gedauert, bis die Spieler den kleinen Etikettenschwindel durchschaut haben. Die Spieler wüssten noch gar nicht, was auf sie zukomme, hatten Klinsmann und Löw schon vor Wochen geraunt, und spätestens jetzt wissen die Spieler, wie das gemeint war.

"Ich habe mir ein Regenerationstrainingslager nicht so hart vorgestellt", sagt Thomas Hitzlsperger. Am Donnerstag haben sie sich unter sengender Mittagssonne 100 Minuten lang von der amerikanischen Fitnesscrew beschäftigen lassen; unter anderem haben sie im Knien Medizinbälle gegen eine Mauer geworfen, und Hitzlsperger weiß schon jetzt, dass ihm das "einen kleinen Muskelkater bescheren" wird. "Die Amerikaner sagen: Das ist Regeneration", sagt Oliver Neuville.

Das Projekt staunt und schwitzt, und ein bisschen beeindruckt ist es auch. "Ich kann mit Sicherheit sagen, dass dieser Kader bei der WM ein sehr kraftvoller sein wird", sagt Jens Nowotny.

Deutschland übt nach dem Masterplan des Amerikaners Mark Verstegen, und in zugespitzter Form wird nun wieder die Idee erkennbar, die Jürgen Klinsmann mit dieser Mannschaft hat. Er will Renner und Läufer haben, kleine Klinsmänner, die im Zweifel genug Kraft haben, um die Welle zu reiten.

Klinsmann will, dass seine Sportler so rennen, dass das Publikum gar nicht anders kann, als sie anzufeuern, und wenn das Publikum in der 89. Minute immer noch feuert, dann sollen die Sportler immer noch sprinten können.

"Ich denke, dass wir in der Lage sein werden, auf einem sehr hohen Niveau 90 Minuten lang Gas zu geben", sagt Nowotny, "und ich glaube, dass sich die eine oder andere Mannschaft verdammt umgucken wird."

Wer die aktive Regeneration von Sardinien nun hochrechnet auf den Tempoaufbau, der am Genfer See folgen wird, der darf sich auf ziemlich intensive Einheiten gefasst machen, und man darf gespannt sein, ob das Feintuning gelingt.

Auch das hat Deutschland in dieser Form zuletzt ja eher selten erlebt, dass Bundesligaspieler nach dem Ende der Saison ihre müden Motoren noch mal richtig hochfahren. "Es wird schon keiner überbelastet werden", sagt Sebastian Kehl, und flankierend versuchen die Projektleiter, den Körper durch den Kopf zu überlisten.

"Sie haben uns gesagt, dass wir das Wort ,müde' aus unserem Wortschatz streichen sollen", sagt Hitzlsperger. "Wir sind nicht müde." Aber wahrscheinlich muss man das so schreiben: Wir! Sind! Nicht! Müde!

Der Hang zur Parole hat die Klinsmänner auch nach Sardinien verfolgt. So hört man unbescholtene Sportler nach den einzelnen Trainingseinheiten "Speed" brüllen oder "Power", und der Neuling Odonkor muss zurzeit nach jeder Übungsstunde in einen Kreis aus Spielern hineintreten und "Wir sind ein..." brüllen, worauf die der Kreis aus Spielern "...Team" ruft, so dass man die Befindlichkeiten von Klinsmanns Deutschland also beruhigt nach Hause melden kann: Wir! Sind! Ein! Team! Und! Wir! Sind! Nicht! Müde!

Am Ende der schweißtreibenden 100 Minuten haben sie dann übrigens noch einen schneidigen Lauf hingelegt. Vorneweg rannte Jürgen Klinsmann.

© SZ vom 19.5.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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