Fis-Präsident Gian-Franco Kasper:"Andere Orte werden leiden müssen"

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Der Präsident des Internationalen Skiverbands über die Rotation der Weltcup-Strecken, den engen Terminkalender, die Rolle der Nachhaltigkeit - und die Kritik von Christian Neureuther in der SZ.

Interview von Johannes Knuth

Gian Franco Kasper lädt ins Raucherzimmer zum Gespräch, er zündet sich eine Zigarette an, für ausgiebige Pausen zum Nikotinkonsum hat der 72-Jährige gerade kaum Zeit. Der Präsident des Internationalen Skiverbands (Fis) ist gefragt in Sölden, wo die alpinen Skirennfahrer am Wochenende ihre neue Saison eröffnen. Es ist ein Jubiläumsjahr, der Weltcup feiert seinen 50. Geburtstag. Es ist in diesen Tagen von vielen schönen Erinnerungen die Rede, von der guten alten Zeit. Es ist aber auch die Rede von: Risiken des zehrenden Alpingeschäfts, Verletzungen, Umweltzerstörung. Es gibt einiges zu besprechen.

SZ: Herr Kasper, der Wintersport, dessen Tradition tief in Europa wurzelt, bricht in eine, nun ja, interessante Zukunft auf. Erst die Winterspiele 2018 in Südkorea, 2022 ist dann gleich Peking dran.

Gian Franco Kasper: Ich freue mich darauf, dass es für uns nach Asien geht. Das war eine Notwendigkeit. Das hat sich ja schon in den vergangenen Jahren gezeigt, dass die Asiaten in allen Sportarten stark geworden sind, nicht nur im Wintersport. Vor allem die Chinesen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass sie mit ihren Vorbereitungen für 2022 weiter sind als die Koreaner für 2018. Aber nicht nur Asien entwickelt sich, auch ganz Osteuropa, vor allem im Alpinbereich. Die bauen gerade mit viel Elan ihre Mannschaften und potenzielle Weltcup-Standorte auf, in Ungarn, Weißrussland, Bulgarien. Wer dadurch gerade Angst bekommt, sind natürlich die traditionellen europäischen Organisatoren ...

... die ungern ihre Weltcups verlieren wollen ...

... richtig, aber es ist nun mal so: Wir können den Winter nicht verlängern. Wir können den Athleten aber auch nicht noch mehr Wettkämpfe zumuten. Also muss irgendjemand etwas aufgeben.

Wer wird das sein?

Wir werden um ein Rotationssystem nicht herumkommen. Die Bulgaren, die etwa mit Bansko einen aufstrebenden Standort bei den Alpinen haben, kommen jetzt alle zwei, drei Jahre dran. Andere Orte werden leiden müssen. Welche genau das sein werden, muss man sehen. Ich möchte da noch keine konkreten Angaben machen. Aber eine Rotation wird sich nicht vermeiden lassen.

Im südkoreanischen Skigebiet Jeongseon entsteht ein neues Sportzentrum für die Olympischen Winterspiele 2018. Ob es dabei nachhaltig genug zugeht, ist umstritten. (Foto: Jeon Heon-Kyun/dpa)

Auch bei den traditionellen Sammelpunkten?

Wir müssen vernünftig bleiben. Wenn wir einen Interessenten von den Malediven haben, der gerne eine Abfahrt ausrichten möchte, werden wir sicherlich nicht die Streif in Kitzbühel ausfallen lassen. So blöd sind wir auch nicht (lacht).

Sie haben den randvollen Wettkampfkalender bereits angesprochen, über den viele Fahrer in der Vorbereitung wieder geklagt haben.

Schauen Sie, über diese Problematik reden wir seit vielen, vielen Jahren. Wir haben jetzt schon weniger Rennen als vor einigen Jahren. Ich erinnere mich auch an Zeiten, als die Abfahrer zu uns kamen und klagten: Wir trainieren elf Monate und fahren dann sechs Abfahrten, auf denen wir zehn Minuten im Winter zu sehen sind. Am Ende muss man ein gesundes Mittelmaß finden, darum bemühen wir uns gerade. Ich sage es letztlich immer wieder: Es ist niemand gezwungen, teilzunehmen.

Aber diese Wahl hat ein Berufsskifahrer ja nicht.

Schon richtig. Ich erwarte ja auch gar nicht, dass jemand freiwillig verzichtet. Wir sind gegenüber den Athleten an einem Limit. Aber ganz so einfach ist das alles auch nicht. Wir können schon sagen, dass wir Weltcuprennen streichen, die deutschen zum Beispiel. Aber wollen das die Deutschen dann auch? Und hilft das auch, unseren Sport bekannter zu machen? Ich glaube kaum.

Dass die Fis in neue Märkte expandiert, birgt aber nicht nur Chancen. Allein für die Olympiaabfahrt in Südkorea wurde viel Wald gerodet. Christian Neureuther mahnte gerade im SZ-Interview, dass sich das Internationale Olympische Komitee einem grünen Gigantismus verschreiben sollte. Wie steht es um die Nachhaltigkeit des Wintersports?

Mir ist bei dieser Thematik eine Geschichte im Kopf geblieben. Von den Olympischen Winterspielen 2010 in Vancouver. Wir waren oben mit einer Delegation, wo sie die Schanzen und das Langlaufzentrum gebaut hatten. Ich stand neben dem Indianerhäuptling, dem dort das ganze Land gehört. Ich habe ihn gefragt, ob ihm das nichts ausmache, dass dort Tausende Bäume gefällt wurden. Er sagte nur: "Wissen Sie, auf den sechstausend Kilometern dahinter stehen auch nur Bäume." Was ich damit sagen will: Man muss immer schauen, wo man einen Baum fällt. In Norwegen spielt das fast überhaupt keine Rolle. In Deutschland, Österreich und der Schweiz schon. Die Asiaten sind nun mal im Kommen. Ob die Nachhaltigkeit da gegeben ist, sei mal dahingestellt.

"Man muss immer schauen, wo man einen Baum fällt." Fis-Präsident Fian-Franco Kasper, 72, verteidigt sich gegen Vorwürfe, die Fis nähme es nicht ernst genug mit der Nachhaltigkeit. (Foto: Lehtikuva/Reuters)

Müsste man die Nachhaltigkeit nicht noch verbindlicher in den Bewerbungsprozess für Olympische Spiele schreiben?

Aber wie wollen sie das formulieren, damit man das wirklich für jeden Bewerber anwenden kann? Man sollte natürlich schon von Fall zu Fall schauen und genau prüfen, wie ernst es der Bewerber mit der Nachhaltigkeit meint. Schon ganz früh im Bewerbungsprozess.

In Sachen Winterspiele wäre das zuletzt kein schweres Unterfangen gewesen. In Peking und Almaty gab es nur zwei Bewerber.

Die Auswahl war natürlich zu gering, keine Frage. Bei der Wahl Pekings haben sicherlich auch kommerzielle Interessen eine Rolle gespielt. Aber im Nachhinein muss ich sagen: Gott sei Dank. Ich denke, nach der Erdölkrise wären die Kasachen nicht mehr in der Lage gewesen, das Geld für Olympia aufzubringen. Wir machen uns natürlich schon große Sorgen für die Zukunft, was die Zahl der Kandidaten für die Winterspiele betrifft. Ich hoffe, dass wir für 2026 eine ordentliche Zahl zusammenbekommen. Sonst leiden auch unsere Reputation und die Glaubwürdigkeit. Wir haben derzeit vier bis sechs Nationen, die Interesse zeigen: Österreich (mit Innsbruck, Anm.), Japan mit Sapporo, die Schweiz, Schweden, die Norweger werden noch dazukommen. Momentan sieht es wieder ganz gut aus. Aber für 2022 hatten wir auch erst sieben Interessenten, und am Ende standen wir mit zweien da.

Wo sehen Sie die Ursachen?

Zunächst einmal ist der Sport als solcher nicht mehr ganz so beliebt beim Publikum. Diese Ablehnung hat nicht nur mit Olympia oder mit dem Wintersport zu tun. Und dann wirkt der Schock der Spiele von Sotschi 2014 noch immer nach. 51 Milliarden Dollar an Kosten, das ist einfach ... da muss jedes Land, das derzeit über eine Entscheidung berät, ja fast zwangsläufig erst mal Nein sagen. Wenn heutzutage ein Politiker kommt und bei seiner Bevölkerung für Olympische Spiele wirbt, wird sofort gefragt, was das kostet. Und dann fordern die Bürger, das Geld anderweitig einzusetzen, für die öffentliche Infrastruktur etwa. Die Agenda 2020 von IOC-Präsident Thomas Bach, die neue, kostensparendere Konzepte der Bewerber ermöglichen soll, ist da sicherlich der richtige Weg.

Aber das ist ja eine bequeme Ansicht, dass das Ansehen des Sports in der Bevölkerung leidet. Tatsächlich ist doch weniger der Sport, sondern die Glaubwürdigkeit der Sportorganisationen massiv beschädigt, durch Skandale und fragwürdige Entscheidungen. Vor allem IOC-Präsident Bach hat sich durch sein Auftreten in Rio angreifbar gemacht.

Kritisieren kann man immer (lächelt). Es sind schwierige Zeiten, ganz klar. Aber nehmen wir mal die Innsbrucker als Beispiel, die jetzt eine Kandidatur prüfen. Die sind für alle Disziplinen bereits gerüstet, mit Ausnahme der Eissportarten. Dafür könnten sie zum Beispiel München dazunehmen, oder Salzburg und Bozen. Warum nicht? Wir denken immer nur an uns, die vor Ort sind, die Journalisten, auch wir als IOC-Familie. Wir reden ständig über die Reiserei, die langen Wege. Wen kümmert das? In Europa könnte man so mehrere Städte und Zuschauer einbinden, das wäre auch eine Form der Nachhaltigkeit. Und dem Fernsehpublikum ist es egal, woher das Bild kommt.

© SZ vom 23.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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