Fifa:Abgang des Alleswissers

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Marco Villiger, Chefjurist der Fifa, verlässt den Weltverband in einer kritischen Phase. Offenbar war er nicht mehr bereit, alle Entwicklungen mitzutragen.

Von Thomas Kistner, München

Marco Villiger und die Fifa haben sich getrennt. Der Chefjurist und stellvertretende Generalsekretär des Fußball-Weltverbandes war der letzte hohe Amtsträger aus der Ägide des Schweizers Sepp Blatter, die heute als Skandal-Ära der Sportchronik gilt und von Strafermittlern in aller Welt aufgearbeitet wird. Villigers erzwungene Demission nährt allerdings den Verdacht, dass die neue Fifa-Ära unter dem autokratischen Schweizer Gianni Infantino eine noch heftigere Affärendichte birgt. Villiger, 43, oblag insbesondere die Arbeit mit der US-Justiz, die Korruptionsermittlungen rund um den Weltverband führt. Am Ende wurde er immer seltener in Entscheidungsprozesse eingebunden; auch habe er manche Vorgänge nicht mehr mit seinem Rechtsverständnis vereinbaren können, heißt es in Fifa-Kreisen.

Offenbar zählt dazu der jüngste Eklat um die Fifa-Spitze: die Aufweichung ihres Ethikcodes. Mithilfe der umstrittenen Ethik-Chefermittlerin Maria Claudia Rojas, einer Verwaltungsrichterin aus Cali mit einer ungeklärten Nähe zu kolumbianischen Fifa-Funktionären, gegen die ermittelt wird, wurde die Verjährung von Korruptionsdelikte auf zehn Jahre limitiert. Überdies wurden für Whistleblower, die Fehlverhalten anzeigen wollen, jetzt Hürden hochgezogen, die praktisch unüberwindbar sind. Der Trick: Eingeführt wurde ein Passus, dass "verleumderische Aussagen zu Fifa-Personen" sanktioniert werden - mit Sperren und mit saftigen Geldstrafen ab "mindestens 10 000 Schweizer Franken". Parallel wurde eine Kernklausel aus dem früheren Ethikcode klammheimlich getilgt. Bisher musste jedes Angebot oder die Annahme eines Geschenkes automatisch gemeldet werden, sobald es "symbolische oder triviale Werte" übersteigt. Nun ist jede Meldepflicht verschwunden.

Die WM in Katar soll aufgebläht werden - die Fifa lässt das prüfen

Das ermöglicht aus Sicht von Governance-Experten die Rückkehr ins alte System: die Aushändigung üppiger Geschenke im Fifa-Dunstkreis. Es bestünden nun ja kaum mehr Risiken, sagt der 2017 von Infantino geschasste Governance-Chef Miguel Maduro (Portugal), ein früherer EU-Generalanwalt. Mit Selbstanzeigen korrupter Fifa-Leute sei nicht zu rechnen, andererseits werde nun das Whistleblowertum mit massiven Job- und Finanzrisiken bedroht. Als klassisches Beispiel gilt Infantino selbst, der sich 2016 ob diverser Privatjet-Flüge eine Vorermittlung durch die damaligen, ebenfalls bald abservierten Chefethiker eingefangen hatte: Aus dem Fifa-Reisebüro kamen Hinweise auf Ungereimtheiten zu den Reisepraktiken des Präsidenten. Und zu denen seiner Generalsekretärin Fatma Samoura. Die Senegalesin hatte der Boss 2016 an allen Gremien vorbei ins höchste Hauptamt geboxt. Dabei war die langjährige UN-Entwicklungshelferin frei jeder Kenntnisse im Fußballgeschäft. Ob das Defizit nach zweijähriger Amtszeit behoben ist, war bisher nicht feststellbar. De facto führt Infantino mit engem Gefolge die Geschäfte - anders als per Reform festgelegt, die das Generalsekretariat stärkte.

Mit Villiger ist nun der Mann weg, der fast alles wusste in der Fifa, aber immer weniger mitzutragen bereit war. Dabei sah es um die Jahreswende noch so aus, als würde er nach der Russland-WM auf den Posten der gefühlt unsichtbaren Samoura nachrücken. Doch Infantino, der auch innerhalb der Fifa umstritten ist und mit wachsenden Widerständen zu kämpfen hat, agiert mit immer härteren Bandagen. Seine größte Rochade ist im Frühjahr gescheitert. Da wollte er das Fifa-Council regelrecht überrumpeln, mit bis heute völlig unbekannten Großinvestoren zwei neue Turnierformate zu realisieren: Eine Klub-WM und eine Nations League sollten 25 Milliarden Dollar in die klammen Fifa-Kassen spülen. Der Umstand, dass Infantino bis heute keinen hinter diesem - erkennbar wirtschaftlich höchst unrentablen - Geschäft nennen will, machte Rechtsexperten überall in der westlichen Welt stutzig; zuvorderst Juristen, die sich mit Fragen transnationaler Geldwäsche befassen. Infantinos trickreicher Lobyarbeit zum Trotz scheiterte der anonyme Milliardencoup, große Widerstände gab es auch in der Fifa.

Dass Infantino einen neuen Anlauf machen will, gilt als ausgemacht. Das zeigt schon die enge Liaison mit Saudi-Arabien. Investoren aus Riad sollen auch hinter dem 25-Milliarden-Deal stehen. Zugleich strecken die Saudis nun die Hände in Richtung des von ihnen seit 2017 wirtschaftlich und politisch boykottierten Katar aus: Die dortige WM 2022 soll von 32 auf 48 Teilnehmerteams aufgebläht und so in eine Golf-WM umgemodelt werden; Infantino lässt das gerade wohlwollend prüfen.

Auch der nächste saudische Coup ist eingefädelt: Verbandschef Adel Ezzat hat soeben das Amt niedergelegt, er will für den Thron des Asien-Verbandes AFC kandidieren. AFC-Präsident Salman Al-Khalifa aus Bahrain zählt zu Infantinos mächtigsten Gegnern; bei der Fifa-Präsidentenkür 2016 war er Infantino unterlegen. Gemeinsam mit Uefa-Chef Alexandar Ceferin, der die Europa-Union in ruhige Gewässer geführt hat, steht Salman bisher als mächtiges Bollwerk gegen Infantino, der 2019 wiedergewählt werden will. Uefa und AFC allein wären durch ihre Stimmenmehrheit in der Lage, das weitere Abdriften der Fifa in Infantinos undurchsichtige Milliarden-Welt zu verhindern. Käme aber der im Fußball quasi unbekannte Ezzat an die AFC-Spitze, würde dies die Machtverhältnisse ändern. Auch die Front ist jetzt eröffnet: Der Herausforderer werde es nicht schaffen, ließ Salman am Dienstag mitteilen.

© SZ vom 22.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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