FC Bayern:Sonderling vom Kontinent

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Owen Hargreaves vereint eine Menge Qualitäten in seinem Spiel - im zukünftigen Bayern-Mittelfeld ohne Ballack hat er glänzende Perspektiven.

Philipp Selldorf

Das sind diese Fragen, die Felix Magath so sehr liebt wie Zahnschmerzen. Aufächzen lässt ihn die Einfalt, die er hinter der Erkundigung erkennt.

Owen Hargreaves: physisch stark, zäh im Zweikampf, gutes Pass-Spiel. Drei Qualitäten, mit denen er sich in Englands Nationalteam gespielt hat. (Foto: Foto: AP)

Die Frage lautete: Hat Owen Hargreaves in diesem Frühjahr beim FC Bayern einen Entwicklungssprung gemacht?

Magath antwortet mit einem moralischen Exkurs: "Viele Spieler werden damit überfordert, wenn sie drei, vier gute Spiele machen und es dann gleich heißt: Super! Welche Entwicklung! Dieser Zeitdruck, der heute gemacht wird, ist unsäglich.

Es ist doch keine Entwicklung, wenn einer drei, vier Wochen gut spielt. Wenn er ein halbes Jahr gut spielt - das ist eine Entwicklung!"

Ansonsten will der Trainer aber nicht dementieren, dass Owen Hargreaves, 25, seit Wiederaufnahme der Arbeit nach überstandener Leistenoperation beständig gut spielt und in einer manchmal brüchigen Münchner Elf eine wichtige Stütze ist. Neun Spiele hat Hargreaves seit Mitte März absolviert, und gern würde er am Samstag in Kaiserslautern das zehnte folgen lassen - aber er darf nicht: In der Partie gegen Stuttgart erhielt er die fünfte Gelbe Karte.

Einerseits ist es nun sein Pech, dass er beim möglichen Meisterstück nicht dabei sein kann, andererseits ist es sein Glück, dass er die Verwarnung nicht im Spiel davor erhielt. Denn dann hätte sich Sven Göran Eriksson am Mittwoch den Ausflug zum Spiel gegen den VfB erspart, und Hargreaves hätte seinem Nationaltrainer nicht nachweisen können, dass er die richtige Wahl ist für Englands WM-Kader. Eriksson kam und sah einen stark spielenden Hargreaves. An der Nominierung des Mittelfeldspielers besteht kaum noch Zweifel.

Hargreaves gilt in England als Außenseiter

Vermutlich wird Hargreaves sogar eingesetzt beim WM-Turnier, Erikssons Assistent Tord Grip hat bereits anklingen lassen, dass die Trainer den vielseitig verwendbaren Defensivmann zum Bestandteil von Plan B zählen, was bedeutet, dass sie ihn als Partner der großen Drei - Beckham, Lampard, Gerrard - für den Platz im defensiven Mittelfeld vorsehen. Wobei Plan B eigentlich Plan A ist, nachdem der ursprüngliche Plan A durch Wayne Rooneys Verletzung hinfällig geworden ist. Begeisterung hat Grip damit nicht ausgelöst.

Das Massenblatt Sun empfahl, Plan B zu überarbeiten. Hargreaves gilt als Außenseiter in Englands Nationalelf: Geboren in Kanada, aufgezogen und aktiv in Deutschland. Das stempelt ihn nach populärem Verständnis zum Sonderling vom Kontinent. Zumal da es in der Geschichte des englischen Nationalteams bloß einen Spieler gegeben hat, der für die erste Auswahl berufen wurde, ohne jemals in der englischen Liga gespielt zu haben: Joe Baker ist sein Name, und er spielte in Edinburgh, als er 1960 als 19-Jähriger debütierte. Über den Umweg AC Turin gelangte Baker später zum FC Arsenal, für die seinerzeit hohe Ablöse von 70.000 Pfund.

Wäre es nach Uli Hoeneß gegangen, hätte Hargreaves 2004 den gleichen Weg eingeschlagen (nur ohne italienische Umleitung). Der Manager wollte Hargreaves verkaufen, nachdem dieser in englischen Zeitungen Sehnsüchte nach der Premier League geäußert hatte, und Hoeneß witterte ein Geschäft, weil der FC Arsenal seinen französischen Mittelfeldmatador Vieira zu verlieren drohte und Ersatz benötigen könnte. Sentimentalitäten standen Hoeneß nicht im Weg, obwohl Hargreaves bereits seit 1997 im Verein ist.

Nach Jahren scheint er seine Qualitäten zur Reife zu bringen

Aber diese Delle in der Beziehung ist längst überwunden. Hargreaves hat sich im Herbst bis 2010 an den FC Bayern gebunden, und wenn der Eindruck nicht täuscht, dann werden beide Seiten miteinander glücklich. Nach Jahren der Suche scheint Hargreaves die Qualitäten seines Spiels zur Reife zu bringen - eine Menge Qualitäten, wie zuletzt zu besichtigen war: Er ist ein schneller, physisch starker Spieler, zäh im Zweikampf, mittlerweile auch klar im Pass-Spiel, auf den Flügeln und in der defensiven Zentrale einsetzbar. Kurz: Ein effektiver, moderner Fußballer.

Seine künftige Geltung in einem Mittelfeld ohne den Fixpunkt Michael Ballack bietet Hargreaves in München glänzende Perspektiven. In der Wahl zum Bayern-Spieler der Saison würde ihm seine Entwicklung - trotz zwei langer Verletzungsperioden - einen vorderen Rang verschaffen. Wäre es eine geheime Wahl, bekäme er wohl auch Magaths Stimme.

© SZ vom 6.5.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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