FC Bayern siegt weiter - aber mit Mühe:Exponate aus der Rumpelkammer

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Ein Schauspiel aus Meister- und Fehlleistungen: In Hamburg deuten die Bayern nur an, wo diese Rückrunde hinführen kann. Die Verletzung von Jérôme Boateng passt zu einem holprigen Abend.

Von Thomas Hahn, Hamburg

Es hatte Jérôme Boateng erwischt, den Verteidiger und Weltmeister. Draußen, auf dem Rasen des Volksparkstadions, in treuer Erfüllung seiner Pflichten für den FC Bayern, ohne Einwirken des Gegners. Muskelverletzung im Adduktorenbereich lautete die erste Diagnose, die Boateng derart betrübte, dass er nach der Partie gegen den Hamburger SV grußlos in den Mannschaftsbus humpelte. Und der Stürmer Robert Lewandowski wäre ein schlechter Vereinskollege gewesen, wenn er Boatengs Verletzung nicht angemessen bedauert hätte. Lewandowski ließ einen Ausdruck von Sorge über sein Gesicht huschen, er sagte: "Ich hoffe, dass er schnellstmöglich wieder zurückkommt." Aber gleich darauf lächelte er wieder, denn wenn Lewandowski ehrlich sein sollte, war der Abend für ihn ein voller Erfolg gewesen. 2:1 gewonnen. Beide Tore erzielt. Perfekt. Oder?

Ein seltsamer Jahresauftakt ist das gewesen, den der FC Bayern am Freitagabend im Hamburger Frost hingelegt hat. Diese Leistung des Akkordmeisters passte irgendwie nicht in die gängigen Kategorien, sie war wie ein Schauspiel aus Meister- und Fehlleistungen, die sich immer wieder gegenseitig aufhoben, ohne sich je wirklich einzuholen. Die Bayern waren souverän, ließen aber auch Raum für Verwundungen durch die zupackenden Gastgeber. Sie dominierten, ohne zu glänzen. Sie erstickten mit ihrem humorlosen Ballbesitz-Fußball früh jede Spannung, aber schafften es nicht, klare Verhältnisse herzustellen.

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(Foto: Martin Rose/Getty)

"Schon rabiat" findet Bayern-Stürmer Thomas Müller (r.) den Einsatz von HSV-Torwart René Adler, die den Bayern einen Strafstoß einbringt.

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(Foto: Michael Sohn/AP)

Den nutzt Robert Lewandowski (M.) zum ersten Tor der Rückrunde.

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(Foto: Fabian Bimmer/Reuters)

Zuvor beharken sich Hamburg (Lasogga, rechts) und München (Alonso, links) mehr als eine halbe Stunde, ohne Zählbares aufs Tableau zu bringen.

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(Foto: Lukas Schulze/dpa)

Nach der Halbzeit verdüstert sich die Laune des scheidenden Münchner Coaches Pep Guardiola (links) zunehmend.

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(Foto: Martin Rose/Getty Images)

Erst kassiert seine Mannschaft nach einem Freistoß das 1:1 - Alonso (links) trifft unglücklich ins eigene Netz -,...

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(Foto: Christian Charisius/dpa)

...dann muss Jérôme Boateng (Nr. 17) nach einem Zweikampf mit Schmerzen im Adduktorenbereich ausgewechselt werden.

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(Foto: Stuart Franklin/Getty Images)

Einige Zeit später hat der FC Bayern aber wieder Grund zum Jubeln: Lewandowski (vorn) lenkt einen Müller-Schuss zum 2:1-Siegtreffer ins Hamburger Tor.

Die Tore? Zufallsgeburten

Ihre Tore fielen zwangsläufig, trotzdem wirkten sie wie Zufallsgeburten. Man wäre geneigt, dieses Zwei-Eins einen Arbeitssieg zu nennen. Aber dazu bewegte sich das Ensemble dann auch wieder zu geschmeidig über den Platz und streichelte den Ball, wie das kein anderes Team in der Bundesliga könnte. Diese Bayern-Vorstellung von Hamburg war keine Freude für Freunde der schnellen Gute-Nacht-Kritik.

Die Wahrheit ist wahrscheinlich, dass diese doppelbödige, fast rätselhaft unbestimmte Leistung genau das war, was Trainer Pep Guardiola brauchte zum Start ins letzte halbe Jahr seines Münchner Abenteuers: eine Darbietung, die bei voller Punktzahl erst eine Andeutung dessen ist, was später noch möglich sein kann. Das Bundesliga-Tagesgeschäft kann Guadiola nicht außer Acht lassen beim Versuch, seine kurze Bayern-Ära zu einem versöhnlichen Abschluss zu bringen. Seit er im Sommer 2013 hier ankam, ist er immer Meister geworden, da wäre es schon eine seltene Ohrfeige, wenn er zum Abschied den aktuellen Vorsprung nicht ins Ziel bringen könnte.

Guardiola sagt: "Wir sind noch nicht in unserer perfekten Kondition"

Kein Sieg ist banal, jeder bringt Ruhe im Bayern-Kosmos. Ohne funktionierende Bundesliga-Buchhaltung kann nichts werden aus dem erklärten Jahresziel der Erfolgsfabrik FC Bayern, ein Triple zu verbuchen. Dass der FC Bayern in Hamburg mit Glück, Fehlern und einer gewissen Selbstverständlichkeit gewann, gab Guardiola das gute Gefühl, dass seine Mannschaft nach der Winterpause im Kern intakt ist. "Wir sind zufrieden mit dem Sieg", sagte er, "aber wir sind noch nicht in unserer perfekten Kondition."

Es gibt eben Jahreszeiten, in denen es gar nicht nötig ist, ein Feuerwerk der Fußballkunst abzuschießen. Der Winter ist so eine Jahreszeit. Makellose Schönheit hat das Bayern-Spiel in Hamburg tatsächlich nicht ausgezeichnet. Allein die beiden Münchner Treffer waren Ausstellungsstücke aus der Rumpelkammer des Mannschaftssports. Der erste folgte einem Einsatz des Hamburger Torwarts René Adler gegen Thomas Müller, den Müller "schon rabiat" fand, ehe er Lewandowski den fälligen Strafstoß überließ (37.). Der zweite entsprang der Fügung, dass Lewandowski bei einem Müllerschen Distanzversuch direkt in der Schussbahn stand und den Ball unhaltbar abfälschte (61.). Auch Guardiola tat nicht so, als sei das Absicht gewesen. "Wir waren glücklich, das zweite Tor zu schießen", sagte er in seinem hinreißenden Spanien-Deutsch.

Die Zusammenarbeit Lewandowski/Müller ist fruchtbar

Aber er trug die Holprigkeiten mit Fassung. Alle Bayern trugen sie mit Fassung. Der Gala-Alarm folgt erst später im Jahr. Vorerst geht es für die Münchner darum, eine Form zu entwickeln, mit der man nicht nur die Bundesliga-Kundschaft auseinandernehmen kann, sondern auch die Größen der Champions League bezwingen. "Wir können nicht heute schon in bester Form spielen und 5:0 gewinnen, es ist besser, wenn wir in den wichtigen Spielen die Topform haben", sagte Lewandowski. "Du kannst nicht sagen, heute zelebrieren wir wieder Fußball", ergänzte Müller und zählte dann die Pluspunkte auf: "Das Ergebnis, unsere Einstellung, der Teamspirit." Die Potentiale der aktuellen Guardiola-Bayern waren in Schemen zu erkennen. Die Zusammenarbeit Lewandowski/Müller ist fruchtbar. Das Flügelspiel mit dem feinfüßigen Sprinter Kingsley Coman aus Frankreich verheißt Feuer fürs Angriffsspiel. Verteidiger Holger Badstuber ist nach seinen unwirklichen Verletzungskrisen der vergangenen Jahre ein Sicherheitsfaktor. Zur Not entfaltet der Bayern-Dusel seine Kraft. Und eine übertriebene Frühform kann man den Münchnern auch nicht unterstellen. Alles in Ordnung beim Rekordmeister.

Allenfalls die medizinische Abteilung könnte etwas weniger zu tun haben. Boatengs Verletzung passt zu einer ganzen Reihe von Unpässlichkeiten, wobei es in dieser Angelegenheit offensichtlich unterschiedliche Meinungen gibt zwischen Trainer und Spielern. "Viele Spieler mit muskulären Verletzungen? Nein", sagte Pep Guadiola. "Da muss ich Ihnen recht geben", sagt Kapitän Philipp Lahm dagegen auf die gleiche Frage. Aber verunsichert wirkte wegen des neuerlichen Ausfalls niemand. Auch wenn Jerome Boateng vielleicht gerne gehört hätte, dass er unverzichtbar ist. "Ohne Boateng haben wir ein Problem", sagte Pep Guardiola zwar, aber versicherte sofort: "Wir werden eine Lösung finden."

© SZ vom 24.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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