FC Bayern:Ein Herbstmärchen

Lesezeit: 3 min

Sechs Spieltage lang war Prinz Poldi dem Schatz hinterher gejagt, hatte sich in und gegen fremde Länder Meriten erworben. Nur vor dem König blieb ihm die Erfüllung versagt. Doch dann wurde am Samstag alles gut: Lukas Podolski schoss sein erstes Tor für den FC Bayern.

Thomas Becker

Sommer-, Winter- und jetzt auch noch das Herbstmärchen: Es war einmal ein kitschig himmelblau beleuchteter Spätsommertag, als sich der Prinz um kurz nach fünf in Siebenmeilenstiefeln aufmachte Richtung Happy End.

Am Ziel: Lukas Podolski hat getroffen. (Foto: Foto: AFP)

Der Tag war bis dahin wohl gelungen, wie bereits die ganze Woche. Die Getreuen des ach so lange schon nach Erfüllung suchenden Prinzen standen ihm felsenfest zur Seite.

Sein edler Knappe, den das Volk Schweini rief, brach eine Lanze nach der anderen für seinen traurigen Prinzen. Dem fehlte nur eines im neuen Zauberreich: die Anerkennung des gestrengen Königs, am besten in Form eines Tores.

Sechs Spieltage und 78 Minuten lang war der Prinz dem Schatz hinterher gejagt, hatte sich in und gegen fremde Länder Meriten erworben, nur vor dem König blieb ihm die Erfüllung versagt. Und als denn der Prinz um kurz nach fünf die Kugel von halblinks aus zwölf Metern mit laut Anzeigetafel 75,7 km/h ins rechte Eck geschossen hatte, da war endlich alles gut. Das Volk erhob sich von den Sitzen und spendete Applaus. Als Erster war sein Knappe bei ihm, wer sonst? Und der Prinz? War froh.

Bayern - Hertha 4:2. 18. Heimsieg im 24. Spiel gegen Berlin. Keine Niederlage seit 29 Jahren. Torverhältnis: 64:22. Magaths 50. Sieg im 75. Bundesligaspiel als Bayern-Trainer, 153:72 Tore, zehn Niederlagen, Siegquote: 66,6 Prozent. Selten waren Zahlen unwichtiger als bei diesem wunderbaren Spiel in der von Freude erfüllten Allianz Arena.

Schon oft in den vergangenen Jahren hatten die Chefs des Rekordmeisters nicht nur von Titeln gesprochen, sondern auch vom sogenannten Spaß-Fußball. Eine Art der Samstagnachmittagsunterhaltung, die den Zuschauer nicht nur mit drei Punkten, sondern auch mit vollem Herzen in den Alltag zurückschickt. Erlebt hatten ihn die Bayern-Fans nur als Fata Morgana, aber in den ersten 30 Minuten der Partie gegen Hertha eine Ahnung davon bekommen, wie er sich anfühlt. Selbst der wahrlich nicht zum Schwärmen neigende Felix Magath musste zugeben: "So stellen wir uns das größtenteils vor."

Ein denkwürdiges Spiel, das den ersten Knaller schon vor dem Anpfiff bereit hielt: die Mannschaftsaufstellung. Die 10, die 11 und die 14 standen da untereinander: Makaay, Podolski, Pizarro, die gemeinsam als schwer vermittelbar geltende Sturm-Trias. Noch nie waren sie zusammen aufgelaufen - zu ähnlich in der Spielanlage, hieß es. Und so wirkte Magaths Entscheidung nicht nur überraschend, sondern nach dem wöchentlichen Gewittergrollen im Verein fast schon fatalistisch.

Vorstands-Chef Rummenigge hat per Stadionzeitung einen anderen Stil für die Heimspiele gefordert, und nun könnte der Eindruck entstehen, Magath hätte hackenschlagend den Befehl entgegen genommen und "Wird gemacht, Chef" gegrummelt.

Doch genau besehen ist Magaths Schachzug nur ein weiteres Experiment. Denn: Mit drei Stürmern haben die Bayern auch in dieser ballacklosen Saison schon öfter gespielt, nur war stets der lauf- und einsatzschwache Roque Santa Cruz dabei, was selten ein ersprießliches Angriffsspiel entstehen ließ.

Ganz anders nun Poldi, Pizza & Roy. Bis dahin hatten sie es gemeinsam auf gerade mal drei Bundesligatore gebracht, doch so wie sie in der ersten Halbzeit rochierten und rotierten, müssen sich die Berliner wie auf der Oktoberfest-Achterbahn vorgekommen sein: kein Halt, nirgends.

So viele Kombinationen und Zuckerpässe, so viel Spielfreude und Laufbereitschaft hatten die Bayern-Stürmer in der gesamten Spielzeit nicht gezeigt. Dabei kam die Abteilung Attacke fast komplett ohne die Mittelfeldkollegen aus: Pizza auf Roy (7.Minute), Poldi auf Roy (10.), Pizza auf Sagnol (15.), Roy auf Poldi (17.), Pizza auf van Bommel (19.), Roy auf Poldi (44.) - Hertha war mit dem 0:2-Halbzeitstand (Makaay und Sagnol trafen) gut bedient. Hertha-Keeper Fiedler fasste zusammen: "Das war ne schöne Lehrstunde. Schon gut anzusehen, wie die uns auseinander gespielt haben."

Falko Götz, der zuvor am Spielfeldrand durch eine erstaunliche Vielfalt an Armbewegungen aufgefallen war, sah das ähnlich: "Das haben wir uns ein bisschen anders vorgestellt. Wir sind mit den vielen Positionswechseln der Bayern nicht klargekommen. Da wusste ich schon, dass das ein ordentlicher Hieb wird."

Schade nur, dass es danach nicht mehr lange so weiter ging. Pizarro machte gegen die schockgefrorene Hertha-Abwehr noch das dreinull (53.), danach schalteten die Bayern angesichts der bevorstehenden Englischen Wochen auf Energiesparmodus. Und so hieß es nach dem Kopfball von Fathi und dem mächtigen Schuss von Pantelic nur noch 2:3 - bevor Prinz Poldi nach schönem Sagnol-Pass seine Renaissance als Bundesliga-Torjäger feiern durfte.

Danach war der Jubel über die Tore schießenden Stürmer groß. Der zu Schonungszwecken ausgewechselte van Bommel konstatierte: "Das Sturmproblem ist weg." Magath nahm die Erkenntnis mit, dass "wenn sie sich ergänzen, harmonieren und die Positionen durchwechseln, ist es problemlos, drei unserer vier Stürmer aufzustellen".

Makaay entzauberte gewohnt trocken die Mär von der genialen Taktik: "Wir sollten im Sturm selbst ausmachen, wer wo spielt." Woran Lukas Podolski locker anschloss: "Fußball kann manchmal so einfach sein." Philosophieren kann er auch noch, der Prinz!

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: